Das Roboterbein springt über unterschiedliches Terrain. (Bild: Thomas Buchner / ETH Zürich und Toshihiko Fukushima / Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme)

Forschende der ETH Zürich und des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme haben ein Roboterbein mit künstlichen Muskeln entwickelt. Inspiriert von Lebewesen, springt es wendig und energieeffizient über verschiedene Terrains.

Seit bald 70 Jahren tüfteln Erfinder und Forschende an der Entwicklung von Robotern. Alle von ihnen gebauten Maschinen, die heute in Fabriken und anderswo stehen, haben eines gemeinsam: Sie werden von Motoren angetrieben, eine Technologie, die schon 200 Jahre alt ist. Selbst Laufroboter treiben ihre Arme und Beine nicht mit Muskeln an, wie wir es bei Mensch und Tier kennen, sondern mit Motoren. Deshalb fehlt ihnen teilweise die Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit von Lebewesen.

Ein neues, mit Muskeln angetriebenes Roboterbein ist nicht nur energieeffizienter als ein herkömmliches, sondern kann auch hohe Sprünge und schnelle Bewegungen ausführen, sowie Hindernisse erkennen und darauf reagieren – und das alles ohne komplexe Sensoren. Entwickelt haben es Forschende der ETH Zürich und des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme (MPI-IS) im Rahmen der Forschungspartnerschaft namens Max Planck ETH Center for Learning Systems, kurz CLS. Das CLS-Team wurde von Robert Katzschmann von der Soft Robotics Lab, ETH Zürich und Christoph Keplinger vom MPI-IS geleitet. Ihre Doktoranden Thomas Buchner und Toshihiko Fukushima sind die Co-Erstautoren der Publikation des Teams über ein von Tieren inspiriertes muskuloskelettales Roboterbein in der Fachzeitschrift externe SeiteNature Communications.

Elektrisch geladen wie bei einem Luftballon

Wie bei Mensch und Tier sorgen auch beim Roboterbein ein Streck- und ein Beugemuskel dafür, dass Bewegungen in beide Richtungen möglich sind. Diese elektrohydraulischen Aktuatoren, die die Forscher HASELs nennen, sind über Sehnen am Skelett befestigt.

Die Aktuatoren sind mit Öl gefüllte Kunststoffbeutel, ähnlich den Plastikbeuteln, mit denen man Eiswürfel herstellen kann. Etwa die Hälfte des Beutels ist beidseitig mit einer schwarzen Elektrode, also einem leitfähigen Material, beschichtet. Buchner erklärt: "Sobald wir Spannung an die Elektroden anlegen, ziehen sie sich aufgrund statischer Elektrizität gegenseitig an. Wenn ich einen Luftballon an meinem Kopf reibe, bleiben meine Haare aufgrund der gleichen statischen Elektrizität am Ballon haften". Wenn man die Spannung erhöht, ziehen sich die Elektroden näher zusammen und schieben das Öl im Beutel auf eine Seite, wodurch der Beutel insgesamt kürzer wird.

Paare dieser Aktuatoren, die an einem Skelett befestigt sind, führen zu den gleichen paarweisen Muskelbewegungen wie bei Lebewesen: Wenn sich ein Muskel verkürzt, verlängert sich sein Gegenstück. Über einen Computercode, der mit Hochspannungsverstärkern kommuniziert, steuern die Forschenden, welche Aktuatoren sich zusammenziehen und welche sich verlängern sollen.

Effizienter als Elektromotoren

Die Forschenden verglichen die Energieeffizienz ihres Roboterbeins mit der eines herkömmlichen Roboterbeins, das von einem Elektromotor angetrieben wird. Sie untersuchten dazu unter anderem, wie viel Energie unnötig in Wärme umgewandelt wird. "Auf dem Infrarotbild sieht man schnell, dass das Motorbein viel mehr Energie verbraucht, wenn es zum Beispiel in einer gebeugten Position gehalten werden muss", erklärt Buchner. Im Gegensatz dazu bleibt die Temperatur im elektrohydraulisch angetriebenen Bein gleich. Das liegt daran, dass der künstliche Muskel elektrostatisch ist. "Das ist wie beim Beispiel mit dem Ballon und den Haaren, wo die Haare auch ziemlich lange am Ballon haften", ergänzt Buchner. "Elektrische Motoren brauchen eine Hitzeregulierung, wodurch zusätzliche Kühlaggregate oder Ventilatoren für das Ableiten der Wärme in die Luft notwendig sind. Unser System benötigt solche Komponenten nicht", sagt Fukushima.

Agile Fortbewegung über unebenes Terrain

Die Sprungfähigkeit des Roboterbeins beruht auf seiner Fähigkeit, sein eigenes Gewicht explosionsartig anzuheben. Die Forschenden konnten auch zeigen, dass das Roboterbein über eine hohe Anpassungsfähigkeit verfügt, was für die Soft Robotik besonders wichtig ist. Nur wenn der Bewegungsapparat genügend Elastizität aufweist, kann er sich agil an das jeweilige Terrain anpassen. "Das ist bei Lebewesen nicht anders. Wenn wir zum Beispiel unsere Knie nicht beugen können, haben wir grosse Schwierigkeiten, auf einer unebenen Oberfläche zu gehen", sagt Katzschmann. "Man denke nur an die Stufe vom Gehweg auf die Strasse."

Während ein Sensor dem Elektromotor ständig mitteilen muss, in welchem Winkel sich das Roboterbein befindet, passt sich der künstliche Muskel adaptiv durch die Interaktion mit der Umgebung an. Als Antrieb erhält er konstant die gleichen zwei Eingangssignale: eines für die Beugung und eines für die Streckung des Gelenks. Fukushima erklärt: "Die Anpassungsfähigkeit an das Terrain ist ein zentraler Aspekt. Wenn eine Person in die Luft springt und landet, muss sie sich nicht erst überlegen, ob sie ihre Knie im 90- oder im 70-Grad-Winkel beugen soll." Dasselbe Prinzip gelte für das muskuloskelettale Roboterbein: Ist die Umgebung weich, erreicht das Roboterbein einen anderen Gelenkwinkel als bei hartem Untergrund.

Aufkommende Technologie eröffnet neue Möglichkeiten

Das Forschungsfeld der elektrohydraulischen Aktuatoren ist noch jung und existiert erst seit rund sechs Jahren. "Der Bereich der Robotik macht rasche Fortschritte in der Regelungstechnik und maschinellem Lernen; im Gegensatz dazu wurden bei der ebenso wichtigen Entwicklung von Roboterhardware weit weniger Fortschritte erzielt. Unsere Publikation erinnert eindringlich daran, wie viel Potenzial für bahnbrechende Innovationen in der Einführung neuer Hardware-Konzepte liegt, wie z. B. der Einsatz künstlicher Muskeln", sagt Keplinger. Katzschmann ergänzt, dass elektrohydraulische Aktuatoren wahrscheinlich nicht in schweren Maschinen auf Baustellen zum Einsatz kommen werden, sie aber spezifische Vorteile gegenüber Standard-Elektromotoren bieten, insbesondere in Anwendungen mit Roboterhänden, wo die Bewegung sehr individuell und adaptiv sein muss, je nachdem, ob es sich zum Beispiel um einen Ball, ein Ei oder eine Tomate handelt.

Katzschmann schränkt allerdings ein: "Das aktuelle System ist im Vergleich zu Laufrobotern mit Elektromotoren noch limitiert. Derzeit ist das Bein an einer Stange befestigt, hüpft im Kreis und kann sich noch nicht frei bewegen." Zukünftige Arbeiten sollen diese Einschränkungen überwinden, so dass echte Laufroboter mit künstlichen Muskeln entwickelt werden können. Er führt weiter aus: "Wenn wir die Technologie des Roboterbeines zu einem vierbeinigen Roboter oder einem humanoiden Roboter mit zwei Beinen kombinieren, können wir es eines Tages, sobald es batteriebetrieben ist, auch als Rettungsroboter einsetzen."
https://ethz.ch

Effektive internationale Zusammenarbeit:
Das Max Planck ETH Center for Learning Systems (CLS) ist eine Partnerschaft zwischen dem Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme (MPI-IS) in Deutschland und den ingenieurwissenschaftlichen Departementen der ETH Zürich, Schweiz. Das CLS befasst sich mit interdisziplinären Forschungsfragen zur Gestaltung und Analyse natürlicher und künstlicher Lernsysteme. Die oben beschriebene Studie ist ein ideales Beispiel für ein kollaboratives Forschungsprojekt zur physischen Intelligenz unter dem Dach des CLS.
Seit 2015 treibt diese Partnerschaft die Forschung voran und bildet zukünftige Forschungsleitende aus. Das Kernelement ist ein gemeinsam betreutes Doktoratsstipendienprogramm. Jede:r Stipendiat:in hat eine:n Betreuer:in von der ETH Zürich und vom MPI-IS und ist in erster Linie in der Gruppe seines oder seiner Hauptbetreuer:in untergebracht, wobei er oder sie einen 12-monatigen Austausch am Standort des Co-Beraters verbringt. CLS-Stipendiat:innen erhalten ihren Doktortitel von der ETH Zürich. Mehr als 60 junge Forschende haben nach diesem Modell bereits promoviert.

Wenn Roboterbeine eine bestimmte Position lange halten müssen, fliesst viel Strom durch den antreibenden Gleichstrommotor (links). Mit der Zeit geht Energie in Wärme verloren. Im Gegensatz dazu bleiben die künstlichen Muskeln kalt (rechts). Die künstlichen Muskeln arbeiten mit dem Prinzip der Elektrostatik und sind effizient, da sie keinen Stromfluss bei konstanter Belastung haben. (Bild: Thomas Buchner / ETH Zürich und Toshihiko Fukushima / MPI-IS)
Wenn Roboterbeine eine bestimmte Position lange halten müssen, fliesst viel Strom durch den antreibenden Gleichstrommotor (links). Mit der Zeit geht Energie in Wärme verloren. Im Gegensatz dazu bleiben die künstlichen Muskeln kalt (rechts). Die künstlichen Muskeln arbeiten mit dem Prinzip der Elektrostatik und sind effizient, da sie keinen Stromfluss bei konstanter Belastung haben. (Bild: Thomas Buchner / ETH Zürich und Toshihiko Fukushima / MPI-IS)