Virtual Brother is watching: Das tangiert eigentlich keinen (Foto: ubc.ca)

Virtual Reality (VR) ist als Werkzeug im Kommen, um das Verhalten von Menschen zu erforschen und vorherzusagen. Die Reaktionen von Piloten in Extremsituationen sind ein Klassiker. Es gibt auch die Idee, mit VR einzuschätzen, wie Fussgänger auf selbstfahrende Autos reagieren werden. "VR zu nutzen, um zu beurteilen, wie Menschen im realen Leben denken und sich verhalten, könnte zu Schlüssen führen, die fundamental falsch sind", warnt jetzt aber Alan Kingstone, Psychologieprofessor an der University of British Columbia (UBC). Indiz dafür sei die Tatsache, dass VR-Nutzer vor virtuellen Avataren hemmungslos gähnen.

Damit VR-Simulationen wirklich taugen, um das Verhalten von Menschen zu beurteilen, müssten sie sich in der virtuellen Welt genau so verhalten, wie sie es auch in der realen tun würden. Ob das auch der Fall ist, haben Kingstone und Kollegen mithilfe des bekanntlich ansteckenden Gähnens zu ergründen versucht. "Die Studie zeigt, dass es einen grossen Unterschied macht, ob man in der realen Welt oder einer VR-Welt ist", meint nun der Studienleiter. Denn virtuelle Avatare sind anscheinend nicht wirklich präsent genug, um unser Verhalten zu beeinflussen.

Für das Experiment haben die Forscher Trägern von VR-Headsets Gähn-Videos gezeigt. Völlig unbeachtet haben sich 38 Prozent der Nutzer davon anstecken lassen, was im normalen Bereich liegt. Wussten die Nutzer, dass ein - für sie unsichtbarer - Forscher im realen Raum ist, haben sie eher versucht, den Gähnimpuls zu unterdrücken. Das ist ein normaler sozialer Impuls, denn die meisten Menschen werden nur ungern beim Gähnen beobachtet. Ein virtueller Avatar, der für Testpersonen klar sichtbar als Beobachter im virtuellen Raum steht, hatte dagegen keinen Effekt auf das Gähnen. Die VR-Nutzer haben auf den sichtbaren Avatar also eindeutig nicht wie auf eine reale Person reagiert.

Für die Nutzung von VR für die Verhaltenspsychologie und andere Forschungzwecke ist diese Erkenntnis ein potenzieller Stolperstein. "Erlebnisse für VR sind womöglich ein schlechter Ersatz für das reale Leben", warnt Kingstone. Forscher müssen also besser verstehen, wo die Grenzen der Technologie liegen und das berücksichtigen. Würde es andererseits gelingen, die offenbar bestehende Lücke zwischen virtueller und echter Realität zu schliessen, würde VR für die Wissenschaft ein noch viel interessanteres Mittel.
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