Philosoph Philipp Tingler (Bild: zVg)

Wie die Arbeitskultur heute aussehen sollte, damit sie zum Unternehmenserfolg beiträgt, ist ein komplexes Thema, wie sich am 3. New Work Forum der Fachhochschule St.Gallen (FHS) zeigte. Das Thema lautete: Neue Arbeitswelt – Human Work Culture? Die Gastgeber und Co-Leitenden des HR-Panel New Work der FHS, Alexandra Cloots und FHS-Rektor Sebastian Wörwag, haben eine Studie zum Thema Arbeitskultur der Zukunft durchgeführt und präsentierten die Resultate. Die rund 200 Teilnehmenden diskutierten in interaktiven Beitragsformen, welche Arbeits- und Organisationskulturansätze für die neue Arbeitswelt geeignet sind.

"Heute steht die Sinnhaftigkeit der Arbeit im Zentrum," erläutert der Philosoph Philipp Tingler. Es zähle Wertschätzung und Einzigartigkeit, denn die künstliche Intelligenz erkenne zwar Muster, der Mensch könne aber viel mehr. Zum Beispiel Ausnahmen machen. Und das gelte es im Kopf zu behalten. Seine Aussage bestätigt sich auch in der Studie von Alexandra Cloots und Sebastian Wörwag. Schweizweit wurden 540 Mitarbeitende in Unternehmen unterschiedlicher Branchen befragt. Auf die Frage, warum sie jeden Morgen zur Arbeit gehen, antworteten 86 Prozent: wegen der Selbstverwirklichung. Herausgestochen sind dabei die 21-25-Jährigen und die 61- 65-Jährigen. Wogegen den 36-40-Jährigen der Zusammenhalt in der Gemeinschaft wichtiger ist und den 26-30-Jährigen die Sinnorientierung sowie Freiräume (Balance). Spannend sei die Erkenntnis, dass die Sicherheitsorientierung im Alter abnehme. Also anders, als man erwarten würde.

"Wir müssen aufpassen mit der Stereotypisierung; die älteren Mitarbeitenden nicht mehr zu fördern, ist ein Fehler", so Wörwag. Sie haben ihre soziale Sicherheit bereits aufgebaut, bringen grosse Erfahrung mit und wollen sich verwirklichen. Frappant ist auch: Nur 47 Prozent der Mitarbeitenden sind mit der gelebten Arbeitskultur (überwiegend) zufrieden. Viele wünschen sich eine moderne Arbeitskultur und eine inspirierende Führung. Es wird zwar deutlich, dass nicht alle Mitarbeitenden zur selben Zeit die gleichen Arbeitswerte teilen, die Studie zeigt aber, dass die Menschen am häufigsten nach Entwicklung, Verwirklichung und Gemeinschaft in der Arbeit streben. "Diese Werte müssen glaubhaft auf allen Ebenen gelebt werden", so Cloots.

In der Studie hat sich zudem ein neuer Wert herauskristallisiert: "perfect imperfection". Er steht für mehr Vertrauen, mehr experimentieren können und eine menschenorientierte (Fehler)-Kultur. Zusammengefasst zeigt die Studie: Es besteht noch Handlungsbedarf, denn nur jede vierte bis fünfte Person geht motiviert zur Arbeit, durchschnittlich jede vierte Person hat ein Identifikationsproblem mit dem Unternehmen, zwei von drei Mitarbeitenden können sich entwickeln. Für die wirkungsvolle Entwicklung einer Kultur empfehlen Cloots und Wörwag bereits bei der Rekrutierung neuer Mitarbeitender auf eine Übereinstimmung der Werte zu achten. Ausserdem müsse die Kultur von den Führungskräften konsequent sowie authentisch vorgelebt und mit einem modernen Führungsstil kombiniert werden.

Millennials als treibende Kraft

So bleibt die grosse Frage, wie Kulturveränderung in Unternehmen gelingt. Laut Sascha Demarmels und Reto Kessler von Now.New.Next gibt es drei Kernpunkte: Jeder beeinflusst die Unternehmenskultur, aber keiner kann allein die Kultur festlegen. Kultur entsteht, wenn etwas immer (wieder) gleich gemacht und akzeptiert wird. Und Kulturveränderung ist nie abgeschlossen, sie ist mit fortlaufender Arbeit und Reflexion verbunden. Steffi Burkhart sieht die Millennials als entscheidende Treiber. "Erfahrung allein kann uns heute nicht mehr helfen, wir brauchen neue Denkweisen", so die "Stimme der Millennials". Man müsse junge Menschen in Entscheidungen und Entwicklungen einbeziehen, das zeige AirBnB beispielhaft. Vor zehn Jahren von Millennials gegründet, stieg der Umsatz rasant und überholte die Hilton-Kette. Millennials seien die digitalen Anwender, Könner und Creative-ups, folglich ein wichtiger Teil, um die Firmenkultur auf die Zukunft vorzubereiten. Denn 65 Prozent der Jobs, in denen die Generation Z arbeiten werde, existierten heute noch gar nicht. "Sie sind der Schlüssel für unseren künftigen Fachkräftemangel", so Burkhart.

Räumliche Vielfalt

Zur Arbeitskulturveränderung gehört auch die Arbeitsraumveränderung. Stephanie Wackernagel vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation machte dies am Beispiel des neuen Projekthauses der AOK in Ludwigsburg deutlich. Das Unternehmen habe vorher als sehr konservativ gegolten, mit dem neuen innovativen Gebäude und den verschiedenen Raumkulturen klang es aber plötzlich so aus der Belegschaft: "eine inspirierende Arbeitsumgebung", "ich habe leuchtende Augen, wenn ich die Firma betrete", "das ist eine tolle Motivation für die Arbeit". Viele Unternehmen sind noch nicht so weit, denn laut der Studie "Office Analytics" leisten 48 Prozent der Befragten noch konzentrierte Stillarbeit am fixen Arbeitsplatz. Es müsse aber heute neue Formen der Zusammenarbeit geben, hin zur Arbeitsteilung und Kooperationsarbeit in räumlicher Vielfalt, so Wackernagel. Das Dilemma sei jedoch, dass viele Unternehmen eine partizipative Organisationskultur scheuen. Sie fragt daher die Teilnehmenden in einer der 12 Themen-Sessions: "Warum scheuen Sie sich?" Die Antworten aus den Reihen decken sich ziemlich eindeutig – es ist die Angst vor Veränderungen, die Angst vor Machtverlust, das fehlende Vertrauen in die Mitarbeitenden und die Problematik, es nicht allen recht machen zu können. Abgesehen von Budgetfragen, die mitspielen.

Auch Heiko Stahl von der Vitra sowie Marc Künzle von Domus Leuchten und Möbel plädieren für eine neue Arbeitslandschaft. Es müsse jedoch kein Google-Campus kopiert, sondern eine eigenständige Kultur sichtbar gemacht werden. Dabei sei die Zusammengehörigkeit untereinander zunehmend wichtiger. Ein gutes Beispiel dafür liefert Gabriela Manser, die Inhaberin der Goba: "Wir pflegen in unserem Betrieb einen partizipativen Führungsstil und Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden. Es ist wichtig, dass wir sie gernhaben und jene fördern, die es wollen." Genauso Reto Rutz von der Valantic CEC Schweiz. Im hellen, offenen Büro stehe ein "Tschüttelikasten" und am Freitag gebe es schon mal eine Game-Session zwischen einigen Mitarbeitenden. Das Credo: Mit Sinn arbeiten. Einzige Regel: Bis Freitagabend müssen die Beratungsstunden der Woche erfasst sein.

"Akzeptieren wir verschiedene Kulturen, aber leben wir sie authentisch", lautete denn auch das Fazit von Wörwag. Es gelte, alte Strukturen loszulassen und miteinander Werte zu erarbeiten. Letztlich bedeute Kultur, immer in Bewegung zu sein. Wichtig sei es dafür, so Cloots, "Experimentierräume für Mitarbeitende zuzulassen und die Führung entsprechend inspirierend und im Team nach Kompetenzen verteilt zu gestalten". Mögen sich künftig noch viele Entwicklungen als erfolgreich herausstellen, im Kleinen wie im Grossen, auf digitale, haptische und menschliche Weise. In einer neuen Arbeitswelt.

Grafik: FHSG
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