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Selfies sind ein Trend. Von dem ich bereits genug habe. Der aber viel über uns und unsere Zeit aussagt. Und der vielleicht produktiv genutzt werden kann. Normalerweise machen Menschen diese Bilder mit Hilfe von Smartphones und Digitalkameras und stellen sie in soziale Netzwerke, Blogs und Microblogs sowie auf Bilderplattformen. Was wäre, wenn Roboter von sich Selfies anfertigen würden? Wozu wäre das gut? Wohin könnte das führen? Und ist das überhaupt neu?

Weltraum-Selfies

Von Weltraumrobotern kennt man Selfies bereits seit längerer Zeit. Sie sind in der Ferne unterwegs, sie sind allein, geradezu einsam, und was liegt näher, als ein Foto von sich selbst zu knipsen und es an die daheimgebliebenen Kohlenstoffeinheiten zu schicken. Begriffe wie "space robot selfies" und "rover selfies" verdeutlichen das Spektrum der "space selfies". Auch der eine oder andere selbstreferenzielle Schnappschuss eines metallenen Erdenbürgers ist im Web zu finden und der eine oder andere autobiografisch anmutende Maschinenfilm.

Auf news.discovery.com kann man die Top 10 der Weltraumroboterselbstbildnisse bewundern. Curiosity beeindruckte im Jahre 2012 mit grosser Schärfe und komplexer Schönheit. Hinter dem Roboter erhebt sich ein Marsberg. Am staubigen Boden fallen die Abdrücke der Reifen auf. Das Foto auf der Website wurde, so der Autor des Beitrags, mit einem der Arme aufgenommen. Ein Selfie par excellence. Ein früheres Marserkundungsfahrzeug muss ein bisschen tricksen. Die Kamera von Viking 2 ist fest verbaut, kann aber vom Höhenunterschied profitieren. Offenbart werden geradezu intime Bereiche. Kein Wunder im Jahre 1976.

Die Roboter haben sich nicht nur auf dem Mars von ihrer besten Seite gezeigt. Auch auf der Venus haben sie sich abgelichtet, wie Venera 13 im Jahre 1982. Im Hintergrund sieht man den Planeten, der früher Luzifer hiess und den man heute noch, je nach Tageszeit, als Morgen- oder Abendstern begrüsst. Der zwischen der Kamera und der steinigen Oberfläche sichtbare Teil der Maschine wirkt wie ein Strahlen- oder Zahnradkranz. Es handelt sich um das gezackte Landegerät, das wie zufällig in das Sichtfeld geraten ist. Eine besonders schöne Variante hat Hayabusa im Jahre 2005 gewählt. Als das Gefährt den kartoffelförmigen Asteroiden Itokawa erreicht, hat es die Sonne in seinem Rücken. Es fackelt nicht lange und fängt seinen Schatten ein, der an die japanische Flagge oder einen römischen Katamaran aus dem Punischen Krieg erinnert.

Auf dem Weg zur Selbsterkenntnis

Es fragt sich, ob die "robot selfies" einem bestimmten Zweck dienen und zur Weiterentwicklung und zum Selbstlernen beitragen können. Die Weltraum-Selfies sind für die Ingenieure da, die den Zustand der Instrumente überprüfen möchten. Man verlässt sich nicht allein auf Rückmeldungen, sondern nimmt etwas in Augenschein. Der Boden, die Berge, das All geraten ebenfalls mit aufs Bild, sehr zur Freude des Weltraumforschers, der auf die Eitelkeiten des Roboters gerne verzichten würde. Wobei ihm diese die Einschätzung der Grössenverhältnisse erleichtern. Zudem können die Reflexionen auf der Aussenhaut etwas über die Lichtverhältnisse und die Atmosphäre aussagen, die Abdrücke auf dem Boden etwas über dessen Beschaffenheit.

Auch in Bezug auf den Roboter selbst sind die Selfies von Bedeutung. Zumindest kann man mit etwas Phantasie und ein paar Grundkenntnissen in Robotik relevante Fragen aufwerfen: Kann der Roboter neues Wissen über die ihn unmittelbar umgebende Umwelt gewinnen? Kann er dieses zur Optimierung der Fortbewegung einsetzen, wie die Einsicht, dass Gefahren sowohl vor einem als auch hinter einem lauern? Kann er seine Mimik und Gestik interpretieren und sein Verhalten reflektieren und optimieren? Kann er zum Beispiel, im Vergleich mit den Gesichtern von Menschen, seinem Lächeln, das er anhand des Selfies studiert, zu mehr Glaubwürdigkeit verhelfen? Kann er nach und nach ein "Selbstbewusstsein" (ein Bewusstsein von sich selbst) erlangen oder sich zumindest selbst im Spiegel erkennen?

Ein Spiegel, wird man einwenden, reicht dem gewöhnlichen Roboter vollkommen aus. Dieser friert die Reflexion ein, die er wahrnimmt, und wertet sie so lange aus, wie er möchte. Mit Selfies (ob mit Hilfe des Arms oder des Spiegels geschossen) vermag er aber noch mehr: Er kann anderen Maschinen (und Menschen) zeigen, wie er aussieht, er kann auf sich aufmerksam machen, er kann für sich werben. Er kann Eindruck schinden und Feedback erhalten. Wenn Android und Gynoid eines Tages eine Entenschnute ziehen, weiss der Robotiker, dass der Durchbruch geschafft ist.

Transformers

Ganz nebenbei sind wir bei humanoiden Robotern angelangt, haben uns weit entfernt von den Weltraumrobotern, die eine Mischung aus Industrierobotern und Flug- bzw. Fahrzeugen sind. Wir haben im Ungewissen gelassen, ob wir Pflege- und Therapieroboter meinen, die sich immer mehr verbreiten, oder Sexroboter, die erst eine Nische besetzen, geradezu ein Séparée. Wir sollten einen weiteren Blick in die Zukunft werfen. Die Selfies, mit denen wir uns heute schmücken, zeigen uns morgen, wie alt und anders wir geworden sind. Wir sind von Natur aus transformierende Wesen. Wir wachsen heran und bilden uns aus, wir zerknittern und zerfallen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Transformation auch für Roboter eine Rolle spielen wird.

Softwareroboter, also Bots, haben damit schon heute kein Problem. Der Avatar ist die Hülle, die sich ein Gott übergestreift hat, um die Welt zu erkunden, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Der Computergott kann jede Hülle aussuchen, die ihm gefällt. Hardwareroboter werden die Transformation ebenfalls beherrschen, wie die bekannten Spielzeugfiguren, die über Zeichentrick- und Spielfilme vermarktet werden.

Man müsste nun weit ausholen, um diese These zu erklären und zu erhärten. Man müsste 3D-Drucker erwähnen, die Idee der Produktion von Teilen, die in verschiedener Weise kombiniert werden können, eine alte Idee, die eine alte Spielzeugfirma genial umgesetzt hat. Man müsste auf Roboter eingehen, die andere Roboter zusammenbauen, auseinanderbauen, wieder zusammenbauen, man müsste die Zukunft als Umwelt schildern, die sich ständig verändert und an die sich eine moderne Maschine anpasst, ganz alleine oder eben mit der Hilfe ihrer Artgenossen. Eine nicht immer freundliche Umwelt, wo es ums Überleben geht, ums Weiterexistieren, im Unterschied zu den Menschen, die irgendwann nicht mehr sind. Wo man sich an einem Tag klein machen muss, an einem anderen gross, wo man in einer Stunde schnell sein muss, in einer anderen langsam, in einer Sekunde hässlich, in einer anderen schön. Damit der Roboter nicht vergisst, wer er ist, wem er mit diesem Aussehen begegnet ist und was er in dieser Hülle getan hat, fertigt er Selfies von sich an. Sie zeigen ihm, wie alt und anders er geworden ist, und sie helfen ihm damit, seine Identität zu bewahren.

Facebook für Maschinen

Wir haben uns nun nicht nur von den Weltraumrobotern weit entfernt, sondern auch von der Gegenwart. Und womöglich von der Realität. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass man einen Trend, wenn er ausgereizt zu sein scheint, in einen anderen Kontext übertragen kann, und dass er dort für Bewegung sorgt, Zustimmung und Ablehnung erntet, ganz wie die Nabelschau in den sozialen Medien. Dabei ist das Thema längst nicht zu Ende gedacht, und vielleicht stehen wir am Anfang einer spektakulären Aktion: Robotiker aus der ganzen Welt bringen ihre Geschöpfe dazu, Selfies zu produzieren. Diese landen auf einer Plattform, die Facebook nicht unähnlich ist. Aber statt Menschen präsentieren sich Maschinen. Diese vernetzen sich untereinander und tauschen Daten und Funktionen aus. Nicht Herkunft und Aufgabe spielen eine Rolle, sondern ... Vor allem aber lernen wir über diese Aktion hunderte, ja tausende künstliche Wesen kennen. Wir blicken in ihr Gesicht, wenn sie eines haben, wir bekommen mit, ob sie einen Arm benutzen beim Fotografieren oder ob sie auf einen Spiegel angewiesen sind. Ich fände diese Verewigungen auf jeden Fall spannender als die Selfies der Menschen.

Links
Top 10 der Space Selfies: http://news.discovery.com/space/history-of-space/top-10-space-robot-self...
Selfie-Film: http://www.youtube.com/embed/IpYTOpJbFOE?rel=0
Roboter- und Maschinenethik: http://www.maschinenethik.net

Autor
Oliver Bendel ist Philosoph und Wirtschaftsinformatiker. Er lehrt und forscht als Professor für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule für Wirtschaft in Brugg und Olten (Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW), mit den Schwerpunkten Wissensmanagement, Social Media, Mobile Business, Informationsethik und Maschinenethik. Seit Jahren benutzt er ein Selfie als Autorenbild. Allmählich hat er Lust, es auszutauschen.

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Bild: Curiosity (Quelle: commons.wikimedia.org)
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Autor Oliver Bendel ist Philosoph und Wirtschaftsinformatiker. Er lehrt und forscht als Professor für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule für Wirtschaft in Brugg und Olten (Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW), mit den Schwerpunkten Wissensmanagement, Social Media, Mobile Business, Informationsethik und Maschinenethik. Seit Jahren benutzt er ein Selfie als Autorenbild. Allmählich hat er Lust, es auszutauschen.