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Der Druck auf politische und wirtschaftliche Systeme wächst. Macht und Grösse von Unternehmen werden zu immer wichtigeren Instrumenten, Forderungen durchzusetzen. In Zeiten der digitalen Revolution können Social Media binnen kürzester Zeit Öffentlichkeit schaffen und dabei helfen, Anliegen zu artikulieren und zu kanalisieren.

"Die klassischen Machtstrukturen geraten ins Wanken. Wir haben eine Welt, die sich immer stärker vernetzt. Und mit dem Web 2.0 ist ein Turbolader draufgekommen", so Peter Kruse Organisationspsychologe und Geschäftsführer der deutschen Nextpractice. Und dennoch: Die Logik der Netze arbeitet dem Experten zufolge gegen eine ideologische Vereinheitlichung. Zudem würden sich die Gewichte und Regelwerke umkehren. Nicht mehr der Anbieter habe Macht, sondern der Nachfrager. Kruse bezieht das vor allem auf die Kommunikation. Jeremy Rifkin geht in seinem Buch "Die dritte industrielle Revolution" noch einen Schritt weiter. Er sieht in der Information und Energie den Schlüssel für eine Ära des dezentralen Kapitalismus. Bislang dominieren noch die hierarchisch-bürokratischen und zentralistischen Organisationen, wie man sie aus der Pionierzeit der Eisenbahn kennt.

"Grosse, zentral organisierte Eisenbahnen wirkten sich unmittelbar auf alle Industrien aus, mit denen sie Geschäfte machten. Der schiere Umfang der Aktivitäten, die nötig sind, eine Schienen-Infrastruktur aufzubauen, förderte die Entstehung riesiger Generalunternehmen, die wiederum Hunderte von Subunternehmen anheuerten, die alle am Bau beteiligt waren", meint Rifkin. Vorteile der Massenproduktion wurden demnach zum entscheidenden Merkmal des aufkommenden Industriezeitalters. Man kopierte die Organisationsstruktur der Eisenbahngesellschaften in fast allen relevanten Wirtschaftsbranchen.

Mit dem Ölzeitalter verstärkte sich dieser Trend. Es war von Anfang an von Gigantismus und Zentralisierung geprägt, so der Fachmann. Die Erschliessung und Nutzung von Öl sowie von anderen elitären fossilen Energien sei nur möglich mit enormen Kapitalmengen. Es mache Befehls- und Kontrollstrukturen unabdingbar. Im 21. Jahrhundert werde sich die Kontrolle über die Verteilung und Produktion von Energie radikal verschieben, glaubt Rifkin: Grosse Riesenkonzerne verlieren an Bedeutung. Millionen kleine Erzeuger produzieren ihre eigene erneuerbare Energie zu Hause. "Mit anderen über intelligente Stromnetze geteilt, garantieren sie optimale Energielevels und die Versorgung einer nachhaltigen Hochleistungswirtschaft."

Kooperation statt Befehl und Kontrolle

Zusammenarbeit ist das Zauberwort, nicht Befehl und Kontrolle. Diese neue laterale Energieordnung schafft laut Rifkin und Co das Organisationsmodell für die zahllosen ökonomischen Aktivitäten, die sich aus ihr ergeben. Sie führe auch zu einer dezentraleren Aufteilung des erzeugten Wohlstands. "In immer mehr Industrien konkurrieren Netze mit Märkten, wird quelloffenes Gemeingut zur Herausforderung für das proprietäre Geschäftsmodell", so Rifkin. Das Webunternehmen Etsy dafür ein gutes Beispiel. Die Site hat sich zum globalen virtuellen Verkaufsraum entwickelt.

Dies hat zu einer enormen Belebung von Handwerkszweigen geführt, die mit dem Aufkommen des modernen Industriekapitalismus verschwunden waren. Das Prinzip der Einzelfertigung unter Umgehung fast aller Transaktionskosten erlaube es der handwerklichen Produktionsweise, mit den Preisen der Massenfertigung zu konkurrieren. Gleiches werde sich beim Peer-to-Peer-Austausch von grünem Strom abspielen. Die Nutzung der Web-Technologie sei dabei unabdingbar, um das Stromnetz auf jedem Kontinent in ein Energy-Sharing-Netz (Intergrid) zu verwandeln.

Der Trend zu einer Dezentralisierung der Energieproduktion hat ein Smart-Grid-Ökosystem mit vielen lokalen und virtuellen Marktplätzen zur Folge. "Viele neue Dienstleistungen werden sich an der integrierten Energie- und Informations-Wertschöpfungskette etablieren", so Bernd Stahl von Nash Technologies. Das bedeute nicht, dass die grossen Energieproduzenten verschwinden. "Sie werden sich wandeln und durch eine Vielzahl kleinerer Mitspieler ergänzt. "Zur Erstellung und zum nachhaltigen Betrieb von grossen Energiespeichern, Geothermie-Kraftwerken oder weltraumgestützten Solaranlagen braucht man einfach Kapital, dass nur Grossen zur Verfügung steht", sagt Stahl.

Das ändere allerdings nichts an der Dezentralisierung der Energieproduktion. Der Schwarmstrom werde über Mobilfunk intelligent, sekundengenau und flächendeckend gesteuert. "Das Stromnetz, eng verwoben mit dem Internet der Energie, entwickelt sich wie eine Art DNA-Doppelhelix zum Rückgrat der Energieversorgung. Diese Lebensader wird den hohen Anforderungen genügen müssen, wie wir sie aus der Telefonie unter dem Begriff 'Carrier Grade' kennen - es muss also ein hohes Niveau an Ausfallsicherheit garantiert sein", erläutert Stahl.