Philipp Rohe, Managing Partner von Retailsolutions (Bild: zVg)

Die bestehenden SAP Retail Systeme auf die neue Lösung SAP S/4HANA zu transformieren und die durch die "Cloudifizierung" notwendigen Anpassungen in den Organisationen sieht Philipp Rohe, Managing Partner des Zuger Retail-Beratungshauses für SAP-Lösungen, Retailsolutions, als grosse Herausforderungen für den Handel an. Wie sein Unternehmen hier strategisch vorgeht und wie es mit der weiteren Expansion von Retailsolutions vorangeht, verrät Rohe im Interview mit ICTkommunikation.

Interview: Karlheinz Pichler

ICTkommunikation: Retailsolutions hat gerade die Eröffnung einer neuen Niederlassung in Rumänien bekanntgegeben. Was sind die Gründe für die Wahl in einem osteuropäischen Land und welche Pläne haben Sie im Bezug auf die weitere internationale Expansion?

Philipp Rohe: Bei Retailsolutions haben wir von Anfang an unseren Fokus auf den Handel ausgerichtet. Hier ist allerdings der Preisdruck in den deutschsprachigen Märkten stark gestiegen. Auch weil seit der Corona-Pandemie grosse Player mit Off- und Nearshore Niederlassungen in diesen Markt drängen. In erster Linie müssen wir uns daher dem Markt anpassen.

Wir haben deshalb eine Niederlassung in Siebenbürgen gegründet und dort eine kleine aber feine Entwicklungsmannschaft aufgebaut. Wir profitieren von der sehr guten Qualität der dortigen Mitarbeiter und der deutschen Sprache, die unsere Mitarbeiter sprechen.

Ansonsten betreiben wir unsere Expansion eher opportunistisch. Es ist wichtig, dass man die Internationalisierung managen kann, das braucht gute und vertrauenswürdige Mitarbeitende in den einzelnen Ländern. Das zeigt auch die Vorgehensweise bei der Gründung unserer Niederlassung in Kapstadt, die wir letztes Jahr als erste aussereuropäische Niederlassung eröffnet haben. Wir haben dort erst Kunden akquiriert, ein Team aufgebaut und dann gegründet.

ICTkommunikation: Wie hat sich das erste Halbjahr businessmässig in der Schweiz und international entwickelt? Wie schwierig ist es, Neukunden zu generieren?

Philipp Rohe: Aktuell ist es sehr schwierig neue Kunden zu akquirieren. Wir profitieren in der Schweiz noch von der langjährigen Beziehung zu unseren Bestandskunden. Diese schätzen nach wie vor die fachliche Kompetenz im Handel und unsere pragmatische und flexible Herangehensweise.
International konnten wir uns aufgrund der Spezialisierung auf den Handelsmarkt gut etablieren. Dort werden wir oft von SAP oder den grossen Beratungshäusern, welchen dieses spezifische Knowhow fehlt, weiterempfohlen.

ICTkommunikation: Was für Ziele haben Sie im Ausblick auf den Rest des laufenden Jahres?

Philipp Rohe: Neben Services und Support von SAP-Lösungen wollen wir uns stärker auch im Lizenzverkauf etablieren, um unsere Kunden ganzheitlich aus einer Hand beraten zu können. Deshalb sind wir auch zertifizierte SAP Rise und SAP Public Cloud Partner geworden. Wir sehen ein grosses Potential vor allem im Mittelstand. Dies ist jedoch für uns Neuland, welches wir jetzt verstärkt angehen wollen.

ICTkommunikation: Wo sehen sie mittelfristig und längerfristig die grössten Herausforderungen – sowohl in der Schweiz als auch international?

Philipp Rohe: Als Retailsolutions entwickeln wir uns mit der Strategie der SAP. Im Moment findet bei SAP der Wechsel in die Cloud statt. Das heisst, alle zukünftigen Anwendungen werden in der Cloud entwickelt. Dies hat sicherlich enorme Vorteile für die Kunden, vor allem im Mittelstand. Man profitiert von der Skalierbarkeit, Cyber Security und der permanenten Fortentwicklung der Applikationen. Auf der anderen Seite bedeutet dies sowohl für unsere Kunden, aber auch für uns ein Umdenken in den Lizenzmodellen, der Projektumsetzung und auch der Operational Excellence. Dies hat oft organisatorische Anpassungen zur Folge und bringt neue Abhängigkeiten. Es gibt also noch einige Herausforderungen zu meistern, bei uns, unseren Kunden und der SAP.

ICTkommunikation: Retailsolutions zählt mittlerweile zu den führenden SAP Retail-Beratungshäusern in Europa. Warum eigentlich hat sich Retailsolutions ausschliesslich auf den Handel ausgerichtet?

Philipp Rohe: Als wir die Unternehmung gegründet haben, wollten wir unsere Handelsexpertise nutzen, um schnell in den Markt zu kommen. Das hat sich nicht nur damals bewährt, sondern wir können unser spezifisches Wissen als Boutique-Beratung auch heute noch sehr gut positionieren. Unsere Kunden wissen zu schätzen, dass wir die Themen und Anforderungen, die den Handel umtreiben, genau kennen. Und mit unserer technologischen Expertise und unserer Nähe zur SAP können wir sie im Hinblick auf die neuesten innovativen Möglichkeiten kompetent beraten. Als Nischenanbieter ist der Wettbewerbsdruck nicht so gross, wie wenn man sehr breit aufgestellt ist.

ICTkommunikation: Wie wichtig ist für Retailsolutions die Zusammenarbeit mit Partnern?

Philipp Rohe: Wenn es um arrondierende Themen des Handels geht, arbeiten wir immer mit bewährten Partnern zusammen. Wir wollen unsere Kunden im gesamten Prozess mit hoher Qualität bedienen und können das auch. Deshalb setzen wir auf langjährige Partnerschaften und nicht auf Agenturen, welche Freelancer vermitteln.

ICTkommunikation: In welchen Bereichen sind für den Handel in Bezug auf SAP-Anwendungen momentan die grössten Herausforderungen zu sehen?

Philipp Rohe: Aktuell sind viele Händler dabei, ihre bestehenden SAP Retail Systeme auf die neue Lösung SAP S/4HANA zu transformieren oder haben diesen Prozess gerade abgeschlossen. Doch "nach der Transformation ist vor der Transformation" – jetzt gilt es, die neuen Cloud-Anwendungen zu implementieren. Diese Anwendungen sind noch sehr neu und decken aktuell nicht den Funktionsumfang der SAP on-prem Lösungen ab.

Dies und die durch die "Cloudifizierung" implizierten Organisationsanpassungen scheinen aktuell mit die grössten Herausforderungen darzustellen. Aber ich bin zuversichtlich, dass der Handel auch das schaffen wird. Letztlich ist das Thema nicht neu. Auch die Umstellung von SAP R/2 zu SAP R/3 ist damals gelungen.

ICTkommunikation: SAP ist ja bei ganz grossen Retailern wie Migros, Coop und anderen sehr gut vertreten. Nun hat der Walldorfer Konzern mit "SAP S/4HANA Public Cloud for Retail, Fashion & vertical Business" speziell für mittelständische Handelsunternehmen eine neue Public-Cloud-Lösung lanciert. Weshalb sollen mittelständische Unternehmen denn ihre bestehenden ERP-Lösungen durch eine neue Lösung von SAP ersetzen?

"ALS SOFTWARE AS A SERVICE
IST DIE SAP S/4HANA CLOUD EINE
ECHTE ALTERNATIVE ZUR
KLASSISCH BETRIEBENEN
ERP-LÖSUNG!"

(Philipp Rohe)

Philipp Rohe: Als börsennotiertes Unternehmen muss die SAP Erwartungen erfüllen und hier eröffnet der Mittelstand ein enormes Potential an neuen Umsätzen. Mit der Cloud ist es nun endlich möglich, diesen Markt wirklich anzugehen. Als "Software as a Service" ist die SAP S/4HANA Cloud eine echte Alternative zur klassisch betriebenen ERP-Lösung. Ein mittelständisches Unternehmen kann jetzt den kompletten Betrieb der Software direkt mit dem Erwerb der Lizenzen outsourcen und bekommt so alles aus einer Hand, ohne sich um Themen wie Hardware, Wartung oder Betrieb kümmern zu müssen. Vorkonfigurierte branchenspezifische Best-Practice-Prozesse sind sofort einsatzbereit, auch kann diese Software erweitert und nahtlos integriert werden.

ICTkommunikation: Speziell für den Einzelhandel ist es heute entscheidend, rasch auf die schnell wechselnden Bedingungen des Marktes zu reagieren. Was empfehlen Sie diesen Unternehmen?

Philipp Rohe: Es ist richtig, die Konsumenten reagieren aktuell sehr schnell auf Trends und dem muss sich der Einzelhandel anpassen. Ich finde es deshalb wichtig, stabile Kernprozesse zu etablieren und diese im SAP System abzubilden. Die kundenspezifischen Prozessteile lassen sich dann über Cloud-Anwendungen flexibel erweitern. Hierzu bietet gerade die SAP innovative Tools an, welche eine Integration in das stabile Backend erleichtern. Auch können Partner wie wir spezielle Branchenlösungen entwickeln und über den SAP Marketplace den Kunden als Plug-and-Play-Lösung zur Verfügung stellen.

ICTkommunikation: Künstliche Intelligenz spielt ja nicht erst seit der Verbreitung von ChatGTP eine zentrale Rolle in der Unternehmensinformatik. Was für Einsatzszenarien sind mit Künstlicher Intelligenz im Retailbereich denkbar?

Philipp Rohe: Künstliche Intelligenz ist im Handel schon länger im Einsatz. Und sowohl unsere Kunden als auch SAP entwickeln sich kontinuierlich weiter. Was vor vielen Jahren mit der Prognose von Abverkäufen mit Hilfe intelligenter Algorithmen begann, übernimmt heute teilweise die KI. Die Verifizierung oder Anlage von komplexen Artikelstammdaten kann und wird durch KI unterstützt. Mit der Integration und Kombination von KI-Modellen lassen sich aber auch Prozesse automatisieren, was angesichts des Fachkräftemangels und der ausscheidenden Generation der Babyboomer zunehmend an Bedeutung gewinnt. So können einfache, sich wiederholende Prozesse automatisiert werden. Beispiele aus der Praxis sind hierfür Themen wie Rechnungsprüfung, automatisiertes Anlegen von Bestellungen via Email und/oder Fax oder die Erzeugung von Texten und Bildern für die Onlineshops, um nur einige Einsatzszenarien zu nennen.

ICTkommunikation: Die Datenqualität spielt bei den Analysen einen wichtigen Faktor. Wie kann man die Qualität der Daten optimieren? Wie sind Echtzeitdatenanalysen im Retail-Bereich möglich? Was für Lösungen setzten Sie dafür ein?

Philipp Rohe: Ja genau, die Datenqualität entscheidet am Ende auch über die Qualität der Prozesse. Im Handel ist vor allem die Qualität der Artikeldaten extrem wichtig. Heute muss diese nicht nur wegen den Auswertungen, der Vergleichbarkeit, sondern auch wegen den gesetzlichen Bestimmungen exzellent sein. Gerade im Lebensmittelbereich braucht es eine enorme Vielzahl von Daten um die Gesetzes-Konformität im Onlineshop darstellen zu können.

Nur wenn diese Daten stimmen, können Handelsunternehmen auch mit Echtzeitdaten, wie Bestände, Preise, Abverkaufszahlen, Angebote, Margenberechnungen, optimierte Lieferwege, Nachschub, etc. arbeiten. Das Stammdaten-Management ist das Fundament für diese Analysen und bestimmt die Qualität sämtlicher Warenwirtschaftsprozesse. Um diese sicherzustellen, bieten wir eigene Tools an, welche auch die Möglichkeiten der KI konsequent nutzen. Daneben bietet die HANA-Datenbank der SAP aufgrund der Architektur die Möglichkeit, Daten in Realtime für diverse Auswertungen bereitzustellen.

ICTkommunikation: Wie kann eigentlich der Kunde im Laden oder im Online-Shop vom KI-Einsatz profitieren?

Philipp Rohe: Natürlich kann KI die Optimierung der Sortimente, Preise und Angebote im Laden und Online-Shop verbessern und so den Kunden optimal bedienen. Im Allgemeinen braucht es dazu aber Technik, die der Kunde nutzt, um KI-gestützte Vorteile in Realtime zu transportieren. Dies ist im Online-Shop per se gegeben und kann im Laden über ein kundeneigenes Mobiltelefon oder ein vom Händler bereitgestelltes Device geschehen.

Dann können automatische Einkaufslisten, personalisierte ad hoc Angebote, kundenspezifische Kaufempfehlungen, Preisvergleiche, Wegbeschreibungen zum Produkt im Regal KI-gestützt generiert werden.

ICTkommunikation: Welche Rolle spielt KI mittlerweile in der Lieferkette und Logistik aus Sicht des Handels?

Philipp Rohe: Das ist in der Tat eines der wichtigsten Einsatzgebiete für KI. Aufgrund von Parametern wie Abverkäufe in der Vergangenheit, Wetter, Feiertage, Lieferantenkalendern, Mindesthaltbarkeiten, Logistikkosten, etc. können heute die Mengen und Lieferwege prognostiziert werden, welche am effektivsten sind. Dies ermöglicht es die Ressourcen für Kunden und Händler optimal einzusetzen.

ICTkommunikation: Lassen sich mit Hilfe von KI "Zero Waste"-Szenarien umsetzen und damit die Nachhaltigkeit proben?

Philipp Rohe: Ich verweise auf die vorangegangene Frage. Mit der Optimierung der Lieferkette werden nicht nur Kosten gespart, sondern auch dafür gesorgt, dass die richtige Menge eines Produktes zur richtigen Zeit am richtigen Ort vorhanden ist und verkauft werden kann. Dies verringert Abschreibungen und Liquidationen von Ware und unterstützt die "Zero Waste"- Szenarien. SAP hat solche Anwendungen im Einsatz und die meisten unserer grossen Handelskunden setzen diese erfolgreich ein.

ZUR PERSON
Philipp Rohe hat Retailsolutions als Spin-off der SAP mitbegründet. Als geschäftsführender Gesellschafter verantwortet er heute die Bereiche Vertrieb und Marketing. Da ihm der persönliche Kundenkontakt am Herzen liegt, ist er zudem weiterhin im Projektmanagement und in der Strategieberatung aktiv.
Ursprünglich absolvierte Rohe ein Maschinenbau-Studium in Duisburg. Diese technischen Kenntnisse erweiterte er durch ein zweites Studium des Wirtschaftsingenieurwesens in Mannheim und Ludwigshafen um betriebswirtschaftliches Know-how.
Seinen beruflichen Werdegang startete Philipp Rohe 1995 als Controller bei Mercedes Benz. Ab 1998 war er für SAP als Consulting Manager zunächst im Bereich Retail Solutions in Deutschland, später in der Schweiz tätig. Bis zum Jahr 2007 leitete er zahlreiche Projekte bei namhaften Handelsunternehmen.

ZUM UNTERNEHMEN
Retailsolutions zählt zu den führenden Retail-Beratungshäusern für SAP-Lösungen in Europa. Von den Standorten in der Schweiz, Deutschland, Österreich, Rumänien, Schweden, Spanien, Südafrika und dem Vereinigten Königreich aus betreuen mehr als 350 Consultants Einzelhandelsunternehmen im gesamten europäischen Raum. Das Portfolio umfasst Lösungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Seine umfangreiche Expertise verdankt das Unternehmen nicht zuletzt der engen Partnerschaft mit dem Software-Hersteller SAP, aus dem es 2005 durch einen Spin-off hervorgegangen ist.

Symbolbild: SAP
Symbolbild: SAP