thumb

Die Maschinenethik, eine Gestaltungsdisziplin mit Nähe zu Künstlicher Intelligenz (KI) und Robotik, hat ihre eigenen Workshops und Tagungen, in den USA und in Polen, und immer mehr Publikationen erscheinen. Im März 2016 trafen sich ihre Vertreter in Stanford im Rahmen der AAAI Spring Symposia, im Juli will man sich in New York bei der IJCAI16 austauschen, etwa über Roboterautos.

Gastbeitrag von Prof. Dr. Oliver Bendel, der als Professor für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule für Wirtschaft FHNW lehrt und forscht

Die Automobilindustrie reagiert auf die Überlegungen und Vorschläge zum Teil aufgeschlossen, zum Teil abwehrend. Sie wittert ein Milliardengeschäft und rüstet sich für die Herausforderungen und die Auseinandersetzungen. Der Verfasser erklärt im vorliegenden Beitrag zentrale Begriffe und Ansätze der Maschinenethik, wobei er Äusserungen aus der Wirtschaft einbezieht, und spricht sich für autonome Autos in bestimmten Bereichen aus.

- Manche Industrievertreter bestreiten, dass im autonomen Verkehr überhaupt Unfälle in der Form von Dilemmata auftreten werden. Nun sind Dilemmata in diesem Kontext philosophische Gedankenexperimente, und es liegt in deren Natur, dass sie häufig in den Köpfen sind und selten ausserhalb von diesen. Man will damit Extremsituationen untersuchen und Moralvorstellungen überprüfen.

- Die Maschinenethik hat die Moral von (teil-)autonomen Maschinen zum Gegenstand. Man kann den Begriff der Moral in diesem Zusammenhang kritisieren, so wie man den Begriff der Künstlichen Intelligenz zu kritisieren pflegte. Man kann genauso betonen, dass es eben eine maschinelle Moral ist, und sich auf die metaphorische Verwendung einigen. Ein moralisches Auto will vielleicht niemand, weder sprachlich noch tatsächlich, zumindest nicht mit uns als moralischen Objekten.

- In der Maschinenethik geht es um moralische, selten auch unmoralische Maschinen. Es wird nicht behauptet, dass es überall solche Subjekte der Moral braucht, und ebenso wenig, dass sie überall sinnvoll sind. Einige Experten fordern, dass die Dilemmata der Strasse im Prinzip bewältigt werden, andere bezweifeln, dass sie zur Zufriedenheit gelöst werden können. Es sind eben Zwangslagen, und es ist schwierig, ihnen zu entkommen.

- Das autonome oder automatische Auto ist nur ein Anwendungsbeispiel, und vielleicht nicht einmal das interessanteste. Man kann sich genauso mit Chatbots beschäftigen und mit Servicerobotern. Tatsächlich haben Maschinenethiker ein breites Spektrum, und sie versuchen zusammen mit KI-Experten, Robotikern, Informatikern und Ingenieuren neuartige Maschinen zu konzipieren und zu implementieren.

- Die philosophisch-technischen Lösungen sind in der Regel nicht in auf dem Markt erhältlichen Produkten, sondern allenfalls in Prototypen enthalten. Wenn die Automobilhersteller oder -zulieferer betonen, dass die heutigen Fahrzeuge keine moralischen Urteile fällen, haben sie sicherlich Recht. Die Frage ist freilich, was morgen und übermorgen geschehen wird.

- Das Roboterauto wird nicht ständig in Dilemmata geraten. Es wird einfach in Unfälle verwickelt sein. Dabei wird es eine aktive Rolle spielen, und zwar in dem Sinne, dass es Menschen umfährt und umbringt. Vermutlich kann man im autonomen Verkehr die Unfallzahlen senken. Dennoch muss man den Einzelfall betrachten. Dass ein selbstständig fahrendes Auto einen Menschen tötet, ist etwas, das weder das Umfeld noch die Gesellschaft ohne Weiteres verkraftet.

- Am besten verkraftet die Gesellschaft diejenigen Katastrophen, die ausgesprochen selten vorkommen. Wir steigen in Flugzeuge, obwohl sie hin und wieder abstürzen. Der Nutzen ist sehr hoch (der Schaden auch, was die Umwelt anbetrifft), und insgesamt sind diese Verkehrsmittel sehr sicher. Es ist weniger die rationale Übereinkunft, die zur Akzeptanz beiträgt, sondern es sind die nackten Zahlen. Eine solche Bilanz muss aber erst einmal erreicht werden.

- Meine Einschätzung ist, dass sich Roboterautos in den nächsten Jahren auf Autobahnen sehr gut zurechtfinden, in Städten eher schlecht. Autobahnen sind für Autos gebaut, Städte für alle, für Autos, Fahrräder und Fussgänger. Dort sind die Situationen übersichtlich, hier nicht. Auf den Autobahnen werden durch autonome PKW verursachte Unfälle nicht an der Tagesordnung sein, in den Städten durchaus. In ihnen sehe ich zu viele bewegte Objekte, zu viele Lichtsignale und -reflexe, zu viele Zeichen, insgesamt zu viele Gefahren. In ihnen müssten die Autos über Leben und Tod von Menschen bestimmen.

- Meine Forderung ist, dass nur in Ausnahmefällen moralische Maschinen entwickelt werden, die über Leben und Tod von Menschen entscheiden. Ich konzentriere mich auf solche Anwendungen, die Tierleid vermeiden helfen, auf tierfreundliche Saugroboter und Fahrerassistenzsysteme. Menschenfreundliche Chatbots habe ich auch im Angebot.

Roboterautos werden in den Medien, von den Wissenschaften, den Unternehmen und unter den Menschen eifrig diskutiert. Wenn sie sich durchsetzen, durch Angebot und Nachfrage, mit Unterstützung der Politik und Begleitung der Gesetzgebung, werden sie das Fahren und Gefahrenwerden völlig verändern. Am Ende ist es wichtig, dass sich mit den neuen Autos keine neuen Ängste verbreiten. Und dass sowohl weniger Tote auf den Strassen als auch die Lebenden nicht den Maschinen ausgeliefert sind.

21585-21585googleauto20151030flickrtraviswise.jpg
Googles Beispiel für ein selbstfahrendes Auto (Bild: Flickr/Travis Wise)
21585-21585fhnwbendeloliver20150207low.jpg
Gastautor Prof. Dr. Oliver Bendel lehrt und forscht als Professor für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule für Wirtschaft FHNW mit den Schwerpunkten E-Learning, Wissensmanagement, Social Media, Mobile Business, Informationsethik und Maschinenethik