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Am Vorabend des STIU (Schweizer Tag für den Informatikunterricht), der vor kurzem an der Kantonsschule Limmattal in Urdorf über die Bühne ging, fand unter dem Patronat der SIRA (Swiss Informatics Research Association) eine gemeinsam vom ABZ und der ICT Berufsbildung Schweiz organisierte Vortragsreihe zum Thema "Informatik und die Schule des 21. Jahrhunderts"statt. Ausgangspunkt war die weitgehend fehlende Vertretung der beiden Buchstaben "I" (Informatik) und "T" (Technik) des Leitwortes MINT im heutigen obligatorischen Schulunterricht.

Gastbeitrag von Dr. Irena Kulka, Kommunikationsbeauftragte Ausbildungs- und Beratungszentrum für Informatikunterricht ABZ der ETH

Redner aus England und Russland berichteten über erfolgreiche Initiativen zur Förderung der Informatik in der Schule ihres Landes, mit dem Effekt der ernüchternden Erkenntnis, dass die Schweiz diesbezüglich im Hintertreffen und damit im Nachteil ist. Die Fragestellung müsste heute eigentlich nicht lauten "Wollen wir die Informatik im Schulunterricht einführen?" sondern "Wie können wir es uns leisten, dies nicht zu tun?".

ETH-Informatikprofessor Jürg Gutknecht gehört zu den Initiatoren der erwähnten Vortragsreihe. Für ihn gilt es, das „I“ und das „T“ der MINT-Fächer im Schulunterricht ebenso zu verankern wie das „M“ und das „N“. Die Umsetzung brauche jedoch viel Kreativität um neue Modelle der Zusammenarbeit an der Schnittstelle zwischen Schulen und Hochschulen zu entwickeln. Die relativ weit fortgeschrittenen Umsetzungsstrategien in England, in Russland und in den USA wurden von Professor Simon Peyton-Jones (Microsoft Cambridge), Informatikprofessor Willy Zwaenepoel (EPFL), und Nuklearphysikprofessor Fyodor Tkachov (Russische Akademie der Wissenschaften) vorgestellt. Auch am diesjährigen STIU zeigte Lernforscher und Game-Designer Prof. Alexander Repenning (University of Colorado spannende Unterrichtsansätze aus den USA. Doch mit dem in den letzten Jahrzehnten weltweit propagierten „ICT-Anwendungsunterricht“ sei es so, „als lernten Kinder Lesen statt Schreiben, Konsumieren statt Kreieren, Autofahren statt Physik“, schildert Simon Peyton-Jones und greift sich fassungslos an den Kopf – für ihn ist eine Schule ohne Informatik im 21. Jahrhundert unvollständig.

Informatik ist eine vollwertige wissenschaftliche Disziplin mit eigenständigen und langlebigen Konzepten. Idealerweise kann und sollte daher bereits ab dem Primarschulalter entsprechende Denkmuster der Informatik in kindergerechter Form vermittelt werden, was auch ETH- Lernforscherin Elsbeth Stern deutlich befürwortet. Prof. Hromkovic und Simon Peyton-Jones stellten dabei den allgemeinen Bildungswert des konstruktiven Denkens und Planens für die Jugend in den Vordergrund. Ausserdem müssten gewisse Informatikgrundkurse von der Hochschule auf die Sekundarstufe II verschoben werden, fordert ETH- Professor Hans Hinterberger und spricht an dieser Stelle von einer Verschwendung von Bildungsressourcen der Gesellschaft. Von verschiedenen Seiten ertönt der Ruf, dass man wesentlich weitergehende Massnahmen an die Hand nehmen und unbürokratisch umsetzen soll.

Simon Peyton-Jones spricht ausführlich von seiner Initiative Computing at Schools (CAS) (http://www.computingatschool.org.uk/) in Grossbritannien, welche seit der Gründung 2007 auf ein imposantes Netzwerk von 2500 Interessenten angewachsen ist. Eine kleine Kerngruppe erarbeitete konkrete Unterrichtskonzepte, welche inzwischen das volle Vertrauen der Regierung besitzen. Bei der Erarbeitung herrschte volle Transparenz und das ganze Netzwerk konnte seine Ideen jederzeit einbringen. Dabei war die Situation in Grossbritannien bis vor kurzem ähnlich verworren wie hierzulande, mit gegenseitiger Zuweisung der Verantwortung und einer Huhn-Ei-Problematik.

Dank der Unterstützung durch eine frische Regierung und deren Erkenntnisse, dass mit dem oberflächlichen ICT-Unterricht niemand wirklich glücklich war, kam es Anfang anfangs 2012 zur Wende. Bereits 2014 soll der bisherige Unterricht durch einen Informatiklehrplan mit mehr Tiefgang ersetzt werden.

Weitere Vorträge von Fachexperten in der Informatikgrundausbildung, im Wissenschaftlichen Rechnen sowie in der Schweizerischen Berufsbildung machten die Dringlichkeit der Informatikausbildung auch für andere Wissenschaftler sowie allgemein in der Wirtschaft und Gesellschaft klar. Die Professoren Simon Peyton Jones (Cambridge) und Willi Zwaenepoel (EPFL) forderten das Publikum auf, eine gemeinsame Vision „Informatik an Schulen“ zu entwickeln, für einmal inhaltliche Differenzen beiseitezuschieben und mit einer Stimme zu sprechen. Die Stimmung in der Diskussion war entsprechend positiv und fast harmonisch. In einem Blog sollen die beschriebenen Ansätze vertieft diskutiert werden. Gleichzeitig wurden Folgeveranstaltungen und weitere Vorstösse angedacht.

Der Diskussionsanlass „Informatik und die Schule des 21. Jahrhunderts“ war der Auftakt zu einer Bündelung der Visionen und Initiativen für den Informatikunterricht in den kommenden Jahren, was ausgehend von den Hochschulen, der Wirtschaft und der Hasler Stiftung im Austausch mit den
verantwortlichen Schulen bildungspolitischen Stellen angestrebt wird. Organisiert wurde das Event als Kooperation vom Ausbildungs- und Beratungszentrum für Informatikunterricht ABZ der ETH, der ICT-
Berufsbildung Schweiz und unter dem Patronat der SIRA (Swiss Informatics Research Association). Alle Referate und der Blog sind unter folgendem Link online abrufbar: www.nativesystems.inf.ethz.ch/Main/InformatikSchule21

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STIU: Diskussion mit geladenem Publikun