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Mitte Juni fand Urs Brülisauer, Gastgeber im Drehrestaurant Hoher Kasten (Alpsteingebirge), beim Aufräumen in seinem Haus in Appenzell zu seiner Überraschung einen rätselhaften Gegenstand voller Zahlen: eine 15-Meter-Loga-Rechenwalze.

Gastbeitrag von Herbert Bruderer, Bruderer Informatik

Was ist das für ein Gerät? Wohin damit, aufbewahren oder entsorgen? Hat das Ding einen Wert? Dank der Markenbezeichnung "Loga Calculator" kam Urs Brülisauer der Sache auf die Spur. Die eigenartige Trommel entpuppte sich als sehr seltene, über 100-jährige logarithmische Rechenwalze. Sie wurde wahrscheinlich im Appenzeller Textilunternehmen Alba Albin Breitenoser AG verwendet.

Die Datierung von Rechenwalzen ist schwierig. Die Ortsbezeichnung Zürich auf dem Metallring weist jedoch darauf hin, dass das Rechenhilfsmittel spätestens 1911 gefertigt wurde. Denn in diesem Jahr verlegte die Firma Loga-Calculator ihren Sitz nach Uster ZH.

Jahrhundertealte Rechenschieber verschwanden fast über Nacht

Bis in die 1970er Jahre waren Rechenschieber ein weit verbreitetes Alltagswerkzeug von Handwerkern, Technikern, Kaufleuten und Forschenden. Wie die mechanischen Rechenmaschinen und die Logarithmentafeln wurden die jahrhundertealten Geräte jäh durch elektronische Taschenrechner verdrängt und gerieten in Vergessenheit. Mächtige Rechenwalzen wurden in Versicherungen und Banken etwa für Währungsumrechnungen benutzt.

Es gibt mehrere Ausführungen von logarithmischen Rechenschiebern: z. B. Rechenstäbe, Rechenscheiben, Rechenwalzen. Kreisrunde Rechenscheiben und besonders die zylinderförmigen Rechenwalzen sind genauer als die geraden Rechenstäbe, weil sie längere Skalen haben. Rechenstäbe und ab und zu auch Rechenscheiben sind heute noch auf Flohmärkten aufzuspüren. Die seinerzeit sehr teuren Rechenwalzen sind noch in einigen Museen zu finden.

Rechenschieber sind Analogrechner. Sie erleichterten das Rechnen erheblich. Denn dank der logarithmischen Skala lassen sich die Multiplikation und die Division auf die Addition bzw. Subtraktion von Strecken zurückführen.

Was ist ein Logarithmus?

In der Gleichung ab = c muss man die vorgegebene Zahl a (Basis, Grundzahl) mit der gesuchten Zahl b (Exponent, Hochzahl) potenzieren, um die vorgegebene Zahl c (Numerus, Potenzwert) zu erhalten. Der Logarithmus ist ein Exponent. b = Logarithmus von c zur Basis a (b = loga c). Weit verbreitet sind Zehnerlogarithmen mit der Basis 10. Statt b = log10 c schreibt man kurz b = lg c. Beispiele: 0 0
lg1 =lg101=0 denn101=1 lg10 = lg102 = 1 denn102 = 10 lg100 = lg103 = 2 denn103 = 100 lg1000= lg10 = 3 denn10 = 1000.

Toggenburger Universalgenie Jost Bürgi, Mitentdecker der Logarithmen
Um 1600, vor über 400 Jahren, entdeckten der schottische Gelehrte John Napier und der Schweizer Jost Bürgi unabhängig voneinander die Logarithmen. Der aus Lichtensteig (SG) stammende Bürgi war ein Universalgenie: Uhrmacher, Instrumentenbauer, Mathematiker und Astronom zugleich. Er arbeitete am kaiserlichen Hof in Prag mit dem berühmten deutschen Astronomen Johannes Kepler zusammen.

Wie rechnet man mit einer Rechenwalze?

Rechenschieber erlauben anspruchsvolle mathematische Berechnungen, z.B. auch das Wurzelziehen. Bei einem Rechenstab stellt man die Zahlenwerte mit der Zunge ein und liest die Ergebnisse mit dem Läufer ab, bei der Rechenscheibe werden die Skala und der Zeiger gedreht. Die Rechenwalze funktioniert grundsätzlich gleich. Die Handhabung ist jedoch deutlich schwieriger. Trommel und Käfig (Manschette) werden ebenfalls gedreht, der Käfig zusätzlich hin- und her bewegt. Verwirrend sind die vielen Skalenabschnitte, in denen man sich zurechtfinden muss. Bei einer 15-Meter-Walze sind es 60 parallele Abschnitte zu 50 cm, die sich jeweils überlappen. Bei einer 24-Meter-Trommel gibt es 80 Abschnitte zu 60 cm. Die Überschneidungen sind eine Voraussetzung, damit man überhaupt damit rechnen kann.

Nachschlagewerk mit Bedienungsanleitungen

Es sind – auch im Internet – kaum Gebrauchsanweisungen für Rechenwalzen zu finden. Eine ausführliche Schritt-für-Schritt-Anleitung ist im folgenden Werk enthalten: Herbert Bruderer: Meilensteine der Rechentechnik. Zur Geschichte der Mathematik und der Informatik, de Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston 2015, 850 Seiten (http://www.degruyter.com/view/product/432414).
Der Verfasser erteilt gerne Auskünfte über historische Rechenger+te (Telefon 071 855 77 11, brude- rer@inf.ethz.ch).

24-m-Loga-Walzen: Grösste Rechenwalzen der Welt in Zürich und Basel

Die Loga-Calculator AG hat Rechentrommeln mit folgenden Skalenlängen hergestellt: 1,2 m, 2,4 m, 7,5 m, 10 m, 15 m und 24 m. Die 24-m-Walzen sind die grössten und genauesten Rechenzylinder der Welt. Ein Exemplar befindet sich im Konzernarchiv der UBS in Basel, ein zweites im Gebäude des Informatikdepartements der ETH Zürich. Ein Teil des Loga-Firmennachlasses wird im Schweizerischen Wirtschaftsarchiv in Basel aufbewahrt. Wie viele 15-m-Walzen erhalten sind, ist unbekannt.

Rätsel auch im Museum Romanshorn

In Romanshorn (TG) tauchte vor ein paar Monaten ein ähnliches mathematisches Instrument auf. Auch hier stand man lange Zeit vor einem Rätsel, niemand konnte sich an so imposante Werkzeuge erinnern. Ein grosses Problem: In manchen Sammlungen gibt es zwar historische analoge und digitale Rechenhilfsmittel, aber fast immer fehlt eine Dokumentation.

Seit dem 17. Jahrhundert haben vor allem Uhrmacher vielfältige und äusserst geistreiche Rechenhilfen gebaut. Leider wurden die meisten vernichtet. Rechenwalzen sind wertvolle technische Kulturgüter, die es zu erhalten gilt. Bei der Vermarktung wird man in der Regel aber nicht reich.

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15-Meter-Loga-Rechenwalze. Diese Rechentrommel wurde vor über 100 Jahren in Zürich hergestellt. Sie hat eine Skalenlänge von 15 Metern. Der rote Ring in der Mitte der Trommel kennzeichnet Anfang und Ende der logarithmischen Skala (Bild: Urs Brülisauer, Appenzell)
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24-Meter-Loga-Rechenwalze: Grösste und genaueste Rechenwalze der Welt. Bis vor wenigen Jahren waren weltweit nur drei überlebende Geräte bekannt, seit kurzem sind es sechs. Die über 100-jährigen Analogrechner sind immer noch voll funktionsfähig (Bild: UBS)
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Nachschlagewerk mit Bedienungsanleitungen: Cover des Buches von Herbert Bruderer