Die rasante Entwicklung digitaler Technologien und die sich verändernden Märkte stellen zwingen auch die HR-Abteilungen dazu, alte Denkweisen über Bord zu werfen und sich den disruptiven Vorgängen zu stellen, die ständig neue Anforderungsprofile an die Fachkräfte mit sich bringen. Marc Lutz, Managing Director beim Personaldienstleister und Personalvermittler Hays (Schweiz), erläutert im CEO-Gespräch mit ICTkommunikation unter anderem die zentralen Pfeiler des modernen Workplace-Managements und die Herausforderung, die gesamte Klaviatur des Workflow-Mix durchzuspielen.

Interview: Karlheinz Pichler

ICTkommunikation: Unternehmen müssen heute immer flexibler und agiler operieren, um am Markt überleben zu können. Damit ändern sich auch die Anforderungen an die Beschäftigten permanent. Wie schwierig ist es in diesem Umfeld für die Betriebe, ein effektives Workforce-Management zu betreiben? Welches sind aktuell die zentralen Säulen des Workforce-Managements?

Marc Lutz: Das Talentmanagement sollte grundsätzlich eng mit der strategischen Ausrichtung des Unternehmens verknüpft sein. Das ist aber bei weitem nicht überall so. In vielen Betrieben herrschen noch alte Strukturen und Denkweisen vor – da spricht man zum Beispiel über die Flexibilisierung der Arbeitszeit bei Festanstellungen. Das ist natürlich kein Workforce-Management.

Wenn wir von Workforce-Management sprechen, geht es zunächst darum, sich eine ganze Reihe von Fragen zu stellen und zu beantworten. Was ist unsere Strategie? Wie erreichen wir unsere Unternehmensziele mit den Talenten, die uns zur Verfügung stehen? Nutzen wir alle vorhandenen Möglichkeiten, die richtigen Spezialisten in der richtigen Form bei uns im Unternehmen einzusetzen? Gibt es zum Beispiel wiederkehrende Tätigkeiten, die sich in Services kapseln liessen? Brauchen wir diese wiederkehrenden Dienste inhouse, oder können wir sie vielleicht auch nach aussen verlagern? Und was brauchen wir zusätzlich, um unsere Ziele zu erreichen?

Die Beantwortung dieser Fragen führt zwangsläufig dazu, dass man über den Workforce-Mix nachdenkt – was wiederum zu weiteren Fragen führt: Wo können wir von zeitlich befristeten externen Spezialisten profitieren? Wie eng wollen wir mit Freiberuflern und Agenturen zusammenarbeiten? Wie können wir hochspezialisierte Freiberufler über Contracting einsetzen, um externes Know-how zu gewinnen?

Es ist also durchaus eine Herausforderung, die gesamte Klaviatur des Workflow-Mix zu spielen. Als Personaldienstleister können wir diesen Prozess natürlich beratend unterstützen. Für die grössten Schweizer Unternehmen – allen voran die Banken, die Pharmabranche und die Telekommunikation – ist das heute eine Selbstverständlichkeit. Auch mittlere und kleine Firmen können von den inzwischen gewonnenen Erfahrungen profitieren. Viele tendieren aber noch dazu, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

Dabei gibt es durchaus auch kleinere Unternehmen, für die ein zeitgemässes Workforce-Management mit externer Unterstützung zielführend wäre. Zum Beispiel solche, die gerade einen grösseren Auftrag für ein befristetes Projekt gewonnen haben und nun innerhalb von wenigen Monaten ein diversifiziertes Team etablieren müssen. In aller Regel lohnt es sich dann, einen Personalvermittler beizuziehen, der sie in der Rekrutierungsstrategie berät und vielleicht sogar eine Zeitlang einen hochspezialisierten Recruiter vor Ort einsetzt. Sobald wieder business as usual herrscht, reichen die eigenen etablierten HR-Prozesse aus.

ICTkommunikation: Karriereportale wie Linkedin oder Xing sehen sich heute zunehmend auch als Jobbörsen. Wie wirkt sich dies auf einen klassischen Personaldienstleister und -vermittler wie Hays aus? Sehen Sie in solchen Netzwerken eher eine Konkurrenz oder eine hilfreiche Ergänzung zu Ihrem Geschäft?

Marc Lutz: Man muss sicher beobachten, wie sich diese Portale in Zukunft strategisch aufstellen, denn theoretisch könnten sie tatsächlich zur Konkurrenz werden. Zurzeit sind das für uns allerdings in erster Linie Datenbanken. Nutzer von Xing und Linkedin bekommen laufend Anfragen, ohne dass sie deswegen ständig die Position wechseln. Letztlich ist die entscheidende Frage, wie man es hinbekommt, dass sich die Talente auf diesen Plattformen wirklich angesprochen fühlen und Vertrauen in die Ansprache haben.

Wir nutzen diese Plattformen selbst und haben mit Linkedin und Xing sogar weitreichende Kooperationen. Sie sind Teil unserer Strategie, künstliche Intelligenz einzusetzen, um die Arbeit unserer Consultants noch effizienter zu machen. Angenommen, jemand aktualisiert sein Foto bei Xing und lädt sich anschliessend bei uns eine Gehaltsstudie herunter. Die Algorithmen sehen darin Anzeichen dafür, dass sich diese Person mit hoher Wahrscheinlichkeit weiterentwickeln möchte. So rutscht der Kandidat im Suchergebnis ganz automatisch weit nach oben, wenn einer unserer Consultants nach einem Spezialisten mit den entsprechenden Fähigkeiten sucht. Alles in allem sind die Karriereportale für uns also derzeit eine Unterstützung und keine Konkurrenz.

Hier kommt auch unser Motto "Find & Engage" ins Spiel. Technologie setzen wir hauptsächlich beim "Find" ein, weil wir das Aufspüren von geeigneten Fachkräften mit Algorithmen erleichtern können. Die Technologie hilft uns zu erkennen, wie es um die Wechselwilligkeit der Spezialisten steht. Beim "Engage" kommt dann unter anderem unser Kandidatennetzwerk zum Tragen. Wir hoffen natürlich, dass die Kandidaten unsere Firma schon kennen, zum Beispiel weil wir ihnen in der Vergangenheit einen guten Job vermittelt haben.

ICTkommunikation: Wie werden sich die stark im Vormarsch befindlichen technologischen Entwicklungen wie etwa der Einsatz von künstlicher Intelligenz auf den Rekrutierungssektor auswirken? In welchen Bereichen erwarten Sie die grössten Umwälzungen?

Marc Lutz: Im niedrigqualifizierten Segment, im sogenannten Blue-Collar-Bereich, läuft die Rekrutierung heute in weiten Teilen immer automatisierter ab. Schon bald wird sie vollautomatisch und vielleicht sogar über Chatbots stattfinden. In diesem Segment entscheiden fast ausschliesslich Verfügbarkeit, Einsatzradius und Preis. Arbeitskraft und Job werden über das Tool zusammengebracht und der Auftrag wird, ähnlich wie bei Ebay, bis hin zur Abrechnung automatisch abgewickelt. Die Stellenvermittler im Blue-Collar-Segment investieren zurzeit stark in solche Technologien, was die Entwicklung rasant vorantreibt.

"IM BLUE-COLLAR-BEREICH LÄUFT DIE REKRUTIERUNG SCHON BALD VOLLAUTOMATISCH UND ÜBER CHATBOTS AB!" (Marc Lutz)

Im hochspezialisierten Segment hingegen, in dem wir tätig sind, ist die Beratung absolut massgebend. Die Kandidaten sind extrem anspruchsvoll. Sie wollen wissen, welche Firmen für sie tatsächlich infrage kommen und wo sie am besten hineinpassen. Dabei zählen nicht nur harte Fakten, sondern insbesondere auch die Firmen- und Führungskultur. Hier helfen Algorithmen nicht weiter. Einzelne Teilprozesse werden natürlich auch im Spezialistensegment automatisiert, aber die persönliche Beratung als Kern unserer Dienstleistung ist weiterhin von entscheidender Bedeutung.

ICTkommunikation: Speziell im ICT-Bereich herrscht ja nach wie vor ein grosser Mangel an Fachkräften. Wie gehen Sie als Personaldienstleister damit um? Wird Hays da nicht verstärkt zum Beratungshaus?

Marc Lutz: Das ist definitiv so. Wir stellen auch fest, dass unsere Kunden immer mehr Beratung wünschen. Auch das hängt mit der Ressourcenknappheit zusammen: Für ein Unternehmen ist es absolut erfolgsentscheidend, dass es für jedes einzelne Projekt das richtige Team zur Verfügung hat. Wir kommen an die entsprechenden Spezialisten heran. Wir haben vor diesem Hintergrund auch unser Service-Know-how verstärkt und Spezialisten aus dem IT-Service engagiert, die für unsere Kunden ganze Projektteams zusammenstellen.

Wenn unsere Kunden solche Beratungsprojekte vergeben, stellen wir fest, dass sie die Rekrutierungskompetenz extrem hoch gewichten. Die Frage ist immer: Hat die Firma, die uns da berät, die richtigen Spezialisten? Dank unserer Erfahrung können wir jederzeit ein Hochleistungsteam zur Verfügung zu stellen – und zwar vom ersten Tag an. Persönlich bin ich davon überzeugt, dass wir das besser können als die grossen Beratungsdienstleister. Wir haben keine Mitarbeiter, die wir dringend irgendwo unterbringen wollen, und müssen auch keine Spezialisten aus anderen Projekten abziehen, weil uns die Ressourcen ausgehen. Wir versuchen wirklich in jedem einzelnen Fall treffsicher und perfekt zu rekrutieren und können dabei auf erfahrene Spezialisten zugreifen.

Es gibt heute die Tendenz, Hochschulabgänger in die Projektteams einzubringen, damit sie an der Aufgabe wachsen können. Das geht meistens schief. Wir achten aber andererseits auch darauf, nicht sicherheitshalber auf zu hoch qualifizierte Leute zurückzugreifen, wenn die Anforderungen im mittleren Segment liegen. Letztlich geht es darum, dem Kunden die gewünschte Leistung zum richtigen Preis zu vermitteln.

ICTkommunikation: Wie hat sich das Verhältnis zwischen Beratung und Rekrutierung generell in den vergangenen Jahren für ein Haus wie die Hays AG entwickelt?

Marc Lutz: Rekrutierung ist natürlich unsere Kernkompetenz. Das Beratungsgeschäft hat allerdings deutlich zugenommen und wird heute im Rahmen der gesamten Personalplanung nachgefragt. Viele Unternehmen denken zum Beispiel darüber nach, das Workforce-Management zu einem gewissen Grad outzusourcen. Aber wie genau soll so etwas ausgeschrieben werden?

"VIELE UNTERNEHMEN DENKEN DARÜBER NACH, DAS WORKFORCE-MANAGEMENT ZU EINEM GEWISSEN GRAD OUTZUSOURCEN!" (Marc Lutz)

Bei solchen Themen wünschen sich die Kunden oft eine Begleitung über einen längeren Zeitraum. Es geht dabei um die Fragen, wie man externe Dienstleister managt und wie man die Personalvermittler mit der Rekrutierungsstrategie in Einklang bringt. Ein Beratungsprojekt kann also auch eine Vorstufe zum Outsourcing sein.

ICTkommunikation: In Zeiten von personellen Knappheiten ist es wohl eine zentrale Aufgabe für ein Unternehmen, die Mitarbeitenden im Betrieb zu halten. Was empfehlen Sie den Firmen, damit sie die Talente bei der Stange halten können?

Marc Lutz: Das ist ein wichtiger Punkt. Neben der Personalplanung ist der Umgang mit den internen Arbeitskräften erfolgsentscheidend. Bisher dachte man hier an Essensgutscheine, flexible Arbeitszeiten oder einen Laptop auf Firmenkosten. Das ist aber kein Workforce-Management – oder allenfalls ein nur sehr kleiner Teil davon. Natürlich sind flexible Arbeitszeiten wichtig, aber der Schwerpunkt liegt heute woanders: Es geht den Arbeitnehmenden nicht mehr darum, einfach irgendwo angestellt zu sein, administriert zu werden und am Ende des Monats Geld zu erhalten. Der Fachkräftemangel führt zu ganz neuen Anforderungen. Die guten Mitarbeiter wollen inspiriert werden und Spass bei der Arbeit haben; sie wollen echten Teamgeist erleben und sich gegenseitig ergänzen. Ich glaube übrigens, dass deswegen die Anforderungen an die Führungskräfte extrem gestiegen sind. Sie müssen eng an den einzelnen Mitarbeitern dran sein, deren Bedürfnisse kennen und Inspiration für das grosse Ganze vermitteln. Mit durchschnittlichen Führungskräften wird man den Kampf um Talente nicht gewinnen und daher auch keine überdurchschnittlichen Ergebnisse erzielen können.

ICTkommunikation: Glauben Sie, dass im Zuge der Digitalisierung Jobs, die in den vergangenen Jahren im Zuge von Near- und Offshoring ausgelagert wurden, wieder in die Schweiz zurückkommen werden?

Marc Lutz: Ja, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Und zwar weil die Schweiz ein hervorragendes Gesamtpaket liefert und die Fähigkeit hat, Spezialisten anzuziehen. Es gibt hier komplett durchdigitalisierte Fabriken, in denen zum Beispiel Aufträge für individualisierte Verbrauchsgüter wie Turnschuhe digital an die Maschine geliefert werden und das einzeln angefertigte Schuhpaar schliesslich im Paket automatisch ausgeliefert wird. Um solche Produktionsprozesse zu entwickeln, sind natürlich Spezialisten und eine gute Infrastruktur erforderlich – und die Schweiz bietet beides. Darauf sind auch schon manche weltweit tätige IT-Startups aufmerksam geworden.

"DIE SCHWEIZ HAT DIE FÄHIGKEIT, SPEZIALISTEN ANZULOCKEN!" (Marc Lutz)

Voraussetzung ist allerdings, dass der Arbeitsmarkt nicht deutlich stärker reguliert wird. Dass sich internationale Arbeitskräfte relativ leicht anlocken lassen, weil sie wirklich hier arbeiten und leben möchten, ist ein Alleinstellungsmerkmal der Schweiz. Erfolgsgeschichten wie Google sind nur möglich, weil Zürich attraktiv ist und hohe Löhne bezahlt werden. Innerhalb Europas gibt es vermutlich kein anderes Land, das in dieser Hinsicht so stark aufgestellt ist.

ICTkommunikation: Welchen Einfluss hat die Digitalisierung generell auf die Prioritäten im HR-Bereich?

Marc Lutz: Da die Talentsuche immer enger mit der Unternehmensstrategie verknüpft ist, erhält auch das HR zunehmend eine strategische Komponente. Die Frage, woher ein Unternehmen die Talente bekommt, wird immer wichtiger – und damit gewinnt das HR automatisch an Bedeutung. Durch die Digitalisierung werden sich ausserdem die Tools verändern, mit denen gearbeitet wird. Sie werden effizienter und generieren immer schneller verlässliche Entscheidungsgrundlagen. Letztlich glaube ich aber nicht, dass sich die Prioritäten in der Personalplanung gross verschieben werden.

Marc Lutz, Managing Director Hays (Schweiz) AG (Fotos: zVg)