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Die Industrieproduktion von Morgen soll fähig sein, bis auf Einzelaufträge hinunter flexibel, wirtschaftlich und ressourcenschonend zu produzieren. "Cyber-physische Systeme" (CPS) sollen das möglich machen. Diese Betriebsmittel kombinieren die "reale" und die "virtuelle" Welt. Sie sind intelligent, vernetzt und tauschen eine Vielzahl unterschiedlicher Informationen aus. Die IT gilt zwar als Innovationstreiber, sie wird jedoch zahlreiche neue Anforderungen erfüllen müssen.

Gastbeitrag von Daniel Liebhart, Dozent für Informatik an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und Solution Manager der Trivadis GmbH

"Flexibilität ist in der Fertigung ein Schlüsselfaktor", sagte der Forschungsleiter Automation der ABB in Dättwil bereits vor einem Jahr in einem Interview in der Fachzeitschrift "Technica". Diese Flexibilität wird durch den Einsatz neuer Technologien, die unter dem Begriff "Cyber-physische Systeme" (CPS) zusammengefasst werden, ständig verbessert. CPS-Technologien in der Fertigung sind eine Kombination aus vernetzten Produktionsmaschinen, Lager und andere Betriebsmitteln, eindeutig identifizierbaren Produkten und adaptiven Steuersystemen zu einem intelligenten Ganzen. CPS basierende "Smart Factories" sollen Flexibilität bis hin zur Einzelfertigung erlauben. Im Idealfall heisst das: Der Auftrag steuert sich selbst – von der Bestellung des erforderlichen Rohmaterials über die Reservation der Bearbeitungsmaschinen, Montagekapazitäten, Lagerhallen und erforderlichen Logistikleistung bis hin zur Qualitätskontrolle und Auslieferung.

Was CPS genau sind

"Cyber-Physical Systeme stehen für die Verbindung von physikalischer und informationstechnischer Welt", definiert die Acatech (Deutsche Akademie der Technikwissenschaften) in ihrer Studie "Agenda CPS" den Begriff. Damit sind technische Geräte wie Werkzeugmaschinen, Fliessbänder, Diagnosesysteme, Industrieroboter, Verlesestationen und Montagelinien gemeint – also sämtliche an einer Fertigung beteiligten Komponenten. Darüber hinaus zählen auch Geräte, die zwar nicht speziell für eine Produktion vorgesehen sind, jedoch direkt oder indirekt daran beteiligt sind (wie beispielsweise Kameras, Mobile Computer oder Smartphones) dazu. Sie alle sind mit Mikroprozessoren ausgestattet sowie vernetzt. Sie bilden Systeme, die in Echtzeit durch Sensoren Produktionsdaten erfassen und mittels Aktoren auf die Produktion einwirken.

An der diesjährigen Hannover Messe hat das DFKI (Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz) in Zusammenarbeit mit verschiedenen Herstellern eine funktionierende Modellfabrik gezeigt, die auf CPS-Komponenten basiert (www.smartfactory.de). Sie besteht aus fünf Produktionsmodulen, einem Handarbeitsplatz und einer Vielzahl von Informationssystemen. Zudem realisiert die Modellfabrik drei Grundideen: das intelligente Produkt, die kommunizierende Maschine und der assistierte Bediener. Das intelligente Produkt kennt seine Auftrags- und Produktionsdaten und beeinflusst damit die Produktion. Die kommunizierende Maschine ist eine CPS-Komponente, die mit dem intelligenten Produkt interagiert. Der assistierte Bediener ist der Mensch, der vom Produkt informiert wird, wie die Montage zu erfolgen hat.

Auf den ersten Blick: MES

Auf den ersten Blick ist die CPS-Technologie nichts anderes als ein weiterer Schritt Richtung "Industrial IT", der schrittweisen Computerisierung der industriellen Produktion. Das würde bedeuten, dass die heute in der Fertigung üblichen Informationssysteme einfach angepasst werden müssten. Im Klartext heisst das, dass zwischen den beiden klassischen IT-Systemen, die für die Produktion eingesetzt werden – dem ERP für die Produktionsplanung und dem SPS für die Produktionssteuerung – ein weiteres System zum Einsatz kommt. Dieser neue Systemtyp heisst Manufacturing Execution System (MES). Seine Aufgabe ist gemäss der "Richtlinie VDI 5600" des Vereins Deutscher Ingenieure das Management der Fertigung und insbesondere die Feinplanung und Feinsteuerung, das Betriebsmittel-, Material-, Personal-, Qualitäts- und Informationsmanagement und die Datenerfassung sowie die Leistungsanalyse. Dieser Systemtyp wird eine Konsolidierung der vielen verschiedenen Anwendungen zur Folge haben, die heute für die Realisierung der entsprechenden Funktionalität eingesetzt werden.

Auf den zweiten Blick: Informationsumgang

Bei genauerem Hinsehen verändert die CPS-Technologie jedoch die Art und Weise, wie eine Unternehmens-IT mit Informationen umgeht. Die Dimensionen Ort, Menge und Zeit spielen nicht mehr dieselbe Rolle. Es existiert heute kaum mehr eine Fertigung, die nicht auf Zulieferer angewiesen ist. Die Steuerung der Produktion durch das Produkt selbst würde in einem solchen Fall eine Steuerung über die gesamte Wertschöpfungskette vom Rohstoff bis hin zum Fertigprodukt bedeuten und damit den intensiven Austausch von sensitiven Daten über Firmengrenzen hinweg. Darauf ist heute kaum eine Unternehmens-IT eingerichtet. Der Ausbau der Datenlogistik über Firmengrenzen hinweg ist damit eine zentrale Aufgabe, die jede IT zu bewältigen haben wird.

Für die zweite Dimension – die Menge – bestehen heute viele gute Lösungsansätze, die unter dem Begriff Big Data zusammengefasst werden. Es gilt, sehr grosse Datenmengen, die aus einer Vielzahl von Quellen in unterschiedlichsten Formen angeliefert werden, so zu verarbeiten, dass sie für die Steuerung von Produktion und Logistik verwendet werden können.

Die dritte Dimension der Veränderung betrifft die Zeit. Produktionssysteme, die mit der Umwelt interagieren, sollten dies vorzugsweise in Echtzeit tun. Der Umgang mit Informationen in Echtzeit stellt jede konventionelle Unternehmens-IT vor Probleme. Standardprodukte wie beispielsweise ERP Systeme sind nicht daraufhin ausgelegt. Der renommierte Professor Edward A. Lee der Universität Berkeley sagt sogar, dass das exakte Timing eines der zentralen Probleme ist, die es für den sinnvollen Einsatz von CPS-Technologien noch zu lösen gilt.

Konsequenzen

Eine CPS-Ready Enterprise verfügt über eine IT, die automatisierte Wertschöpfungsnetzwerke über Firmengrenzen hinweg unterstützt. CPS-Technologien sind sehr anspruchsvoll, was den Informationsaustausch betrifft. Zudem setzen sie voraus, dass die Produktionslogistik nicht mehr zentral, sondern dezentral über den Kundenauftrag oder das Produkt selbst gesteuert werden kann. Eine IT, die bis heute die Aufgaben hatte, weitgehend standardisierte zentrale Informationssysteme intern möglichst kostengünstig und effizient zu verwalten, wird morgen die Aufgabe haben, firmenübergreifend vernetzte dezentrale Systeme bestehend aus einer Vielzahl unterschiedlichster CPS-Modulen und anderen über das Netz verbundene Geräte und Plattformen zu betreiben. Eine solche Veränderung ist tiefgreifend und erfordert ein klares Gesamtbild des Aufbaus sowie der Struktur der bestehenden unternehmenswichtigen Prozesse, Anwendungen und Informationsflüsse. In den meisten Fällen werden damit umfangreiche Aufräumarbeiten verbunden sein.

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