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Erst langsam wird sichtbar, in welch umfassendem Ausmass führende westliche Nationen die Telefonate und E-Mails von Hunderten Millionen Bürgern überwachen. Am Wochenende gab es eine neue Enthüllung durch den Ex-US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden: Die Briten seien noch „schlimmer als die USA“.

Der britische Geheimdienst überwacht nach Angaben von Snowden demnach in ungeahntem Ausmass weltweit Telefon und Internet. Der Abhördienst GCHQ (Government Communications Headquarters) könne täglich mit dem Programm "Tempora" bis zu 600 Millionen Telefonverbindungen erfassen, zitiert die britische Tageszeitung „Guardian“ den in Hongkong untergetauchten IT-Spezialisten Snowden. GCHQ sei „schlimmer als die US(-Kollegen)“. Seit Mai 2012 hätten 300 britische Spezialisten mit 250 Kollegen des US-Geheimdienstes NSA die GCHQ-Daten ausgewertet. Das alles geschehe wohl im Rahmen britischer Gesetze, hiess es. Neben E-Mails, Einträgen im Sozialen Netzwerk Facebook oder auch Telefongesprächen werden laut „Guardian“ für das britische Spionageprogramm „Tempora“ auch persönliche Informationen der Nutzer 30 Tage lang gespeichert.

Angeblich sollen insgesamt 850.000 NSA-Mitarbeiter und Mitarbeiter privater Firmen, die von der US-Regierung beauftragt wurden, Zugang zu den britischen Überwachungsdaten haben. Nähere Erläuterungen zu dieser riesigen Personenzahl wurden nicht gemacht.

Datenschutzorganisationen in Grossbritannien reagierten schockiert auf den Bericht und forderten eine Überarbeitung der entsprechenden Paragrafen. Grossbritannien komme einer „zentralen Datenbank all unserer Internetkommunikation“ gefährlich nahe, sagte Nick Pickes von der Gruppe Big Brother Watch. „Diese Frage muss dringend im Parlament diskutiert werden.“ Schatten-Aussenminister Douglas Alexander von der sozialdemokratischen Labour-Partei betonte, dass der Geheimdienst GCHQ von Parlament und Ministerium effektiver beaufsichtigt werden müsse. Der zuständige parlamentarische Ausschuss arbeite bereits daran.

Die umfassende Überwachungsaktion namens „Tempora“ von GCHQ läuft laut „Guardian“ seit etwa eineinhalb Jahren. Demnach haben sich die britischen Geheimdienstler direkten Zugang zu jenen Glasfaserkabeln verschafft, über die der transatlantische Datenverkehr läuft. Dabei werden von den Kabeln auf britischem Boden nicht nur die Daten von Briten abgezweigt, sondern aller Internetnutzer weltweit - darunter vermutlich auch Daten von zahlreichen Schweizern.

Die Informationen dürften bis zu einem Monat lang ausgewertet und gespeichert werden. „Tempora“ besteht demnach aus zwei Teilen: „Mastering the Internet“ (Das Internet beherrschen) und „Global Telecoms Exploitation“ (Globale Telekomverwertung). Die Ziele der Programme liessen sich schon aus den Bezeichnungen ablesen, so die Zeitung.

Wie der „Guardian“ unter Berufung auf Snowden berichtet, kann der britische Geheimdienst mittels „Tempora“ Telefonanrufe, Inhalte von E-Mails, Facebook-Einträge und den Verlauf der Internetnutzung von Verdächtigen gezielt abrufen - ausgespäht würden aber auch völlig unbescholtene Bürger. Demnach sind die Aktionen auch völlig unbekannt. Laut den Dokumenten soll GCHQ im vergangenen Jahr pro Tag 600 Millionen „Telefonevents“ behandelt und Zugang zu 200 Glaskabeln gehabt haben. Von zumindest 46 Kabeln soll der britische Geheimdienst auch Daten abgezapft haben. Jedes dieser Kabel transportiert zehn Gigabits an Daten pro Sekunde.

Der „Guardian“ veröffentlichte auch eine interne Mitteilung vom 19. Mai 2009 an hochrangige Mitarbeiter, in dem dazu aufgerufen wurde, Ideen zu entwickeln, wie die rasant explodierenden Telefonie- und Internetdatenmassen effizient und umfassend überwacht werden könnten. Verfasst wurde die Mitteilung vom Leiter des topgeheimen GCHQ-Programms „Mastering the Internet“ und einem hochrangigen Mitglied der Cyberabwehrabteilung des Geheimdienstes.

Der „Guardian“ publizierte auf seiner Website einen Ausschnitt des Originals - darin geht es um allgemeine Hinweise für all jene, die Zugang zu den „Tempora“-Daten bekamen. Neben Warnungen wie „Sie haben Zugang zu einer Menge sensibler Daten“ heisst es darin wortwörtlich auch: „Sie sind in einer beneidenswerten Situation - haben Sie Spass und machen Sie das Beste daraus.“
Firmen wurden für Aufwand bezahlt

Dem Bericht zufolge erfolgt die Spähaktion mit Hilfe von vorerst ungenannten Firmen. Sie seien per Gerichtsbeschluss zur Zusammenarbeit gezwungen worden und müssten die Anordnungen geheim halten. Laut „Guardian“ sollen einige Firmen für ihren Aufwand auch Geld erhalten haben. Außenminister William Hague sagte kürzlich, der GCHQ halte sich bei der Auswertung von Spähaktionen immer an britisches Recht. Über eine Zusammenarbeit mit US-Geheimdiensten machte er keine Angaben.

Gegenüber dem „Guardian“ sagte eine ungenannte Quelle aus britischen Sicherheitskreisen, dass die Daten legal gesammelt würden. Sie sollen auch bei der Aufklärung und Verhinderung schwerer Straftaten geholfen haben. Demnach haben die Beauftragten nach den Kriterien Sicherheit, Terror, organisiertes Verbrechen und wirtschaftliches Wohlergehen nach der Nadel im Heuhaufen gesucht. Die Millionen täglicher E-Mails seien dabei nicht gelesen worden, vielmehr ausgesuchte Inhalte.

Der britische Geheimdienst arbeitet seit Jahrzehnten mit der NSA eng zusammen. Beide Behörden kooperieren zudem mit Geheimdiensten in Kanada, Australien und Neuseeland. Die Enthüllung dürfte den Druck auf die britische Regierung erhöhen, zu erklären, wie sie Daten sammelt und nutzt. Ein GCHQ-Sprecher lehnte einen Kommentar ab. Laut Bericht sollen erste Tests für für „Tempora“ bereits 2008 durchgeführt worden sein. Im Mai 2012 sollen demnach 300 Datenanalysten von GCHQ und 250 NSA-Mitarbeiter direkten Zugang zu den Daten erhalten haben. Insgesamt sollen 850.000 Mitarbeiter der NSA und ihrer Subfirmen Zugang zu den Daten haben.

Snowden hatte in diesem Monat weltweit für Aufregung gesorgt, weil er dem „Guardian“ und der „Washington Post“ Informationen über ein US-Spähprogramm namens „Prism“ zuspielte. Dabei werden mit Hilfe von Internetkonzernen wie Google, Facebook und Microsoft große Mengen von Daten ausgewertet. Snowden ist in Hongkong untergetaucht. Er wurde am Freitag in den USA offiziell der Spionage beschuldigt. Laut unbestätigten Quellen sollen die USA auch einen Auslieferungsantrag vorbereiten.

Drei Geheimdienste in Grossbritannien
Grossssritannien hat drei Geheimdienste: den für das Inland zuständigen MI5, den Auslandsgeheimdienst MI6 und das für sämtliche technischen Bereiche zuständige GCHQ. Die Ursprünge des GCHQ liegen im Ersten Weltkrieg. Im Zweiten Weltkrieg spielten die dort entwickelten Entschlüsselungstechniken eine große Rolle. Heute ist das GHCQ vor allem mit der Erfassung und Auswertung von Daten und mit technischen Spionagemethoden befasst. Der Dienst hat nach eigenen Angaben rund 5.500 Mitarbeiter. Der Hauptsitz ist im englischen Cheltenham.



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