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Mit dem Motto "Auf dem Weg zum intellektuell herausfordernden Informatikunterricht" stiess der kürzlich durchgeführte Schweizer Tag für den Informatikunterricht STIU 2014 als ein Fortbildungstag bei Informatiklehrpersonen aller Stufen auf reges Interesse.

In der bis in die letzten Reihen gefüllten Aula der STIU-Gastgeberin Alte Kantonsschule Aarau lobte der Urner Bildungs- und Kulturdirektor Beat Jörg die Innovationskraft und den hohen Stand der Schweizer Bildung als eine zentrale Errungenschaft. Denn von der heutigen Bildung hinge die Spirale von Wertschöpfung, Wohlstand, und erneuten Bildungsinvestitionen für die Zukunft ab. Daher müssten wir alles tun, um junge Leute hervorragend auszubilden. Die Qualität der Informatikbildung sei heute vor allem den anwesenden Informatiklehrpersonen zu verdanken. Die am STIU verliehene Auszeichnung des ABZ der ETH an die Urner Primarschule Attinghausen für ihre Pionierrolle im Informatikunterricht sei „ein Ansporn, dass wir alles ändern, wenn (eben zu ändern) es nötig ist.“ Auch der Prorektor der ETH Andreas Vaterlaus sprach einen Dank an die engagierten Informatiklehrpersonen aus und an das Team des Ausbildungs- und Beratungszentrums für Informatikunterricht ABZ der ETH für ihre besonderen Initiativen in der Ausbildung von Lehrpersonen.

Prof. Juraj Hromkovic, STIU-Initiant und Leiter des Ausbildungs- und Beratungszentrums für Informatikunterricht ABZ der ETH sprach von aktuellen Chancen für guten Informatikunterricht und empfahl, sich in beim Aufbau der Informatik-Lehrplaninhalte und der Lehrmittel auf die wesentlichen Bildungsziele zu besinnen. Er analysierte dabei die problematischen Positionen in der aktuellen Lehrplan-Diskussion. Es habe sich nun eine breite Front von Institutionen und Personen gebildet, die sich für guten Informatikunterricht einsetzen und dennoch sei die heutige Situation noch nicht deutlich besser als in den 1990er Jahren. Ein Teil der Industrie nehme heute noch die Haltung von damals ein, als es der Industrie primär um das Vermitteln von Anwenderkompetenzen an Schulen zwecks Verkauf ihrer Produkte ging. Lediglich ein kleiner Sektor von einheimischen Informatikproduzenten vertrete heute die Position, ernsthaft Informatik an den Schulen fördern zu wollen. Eine dritte Gruppe verstehe unter Informatikbildung spezifische alltags- und berufsrelevante Anwenderkompetenzen und den Computerführerschein, wobei es auch um ihr Geschäft mit Zertifikaten geht. Das Problem liege jedoch nicht bei der Industrie, sondern vielmehr auf der Ebene der angemessenen Filterung von Kriterien und auf der Ebene der Entscheidungen, was im künftigen Unterrichtsangebot zu ändern ist. Wesentlich seien in seinen Augen nicht partikuläre ICT-Techniken, sondern es gehe hier wirklich darum, dass man besondere Bildungswerte an die Schulen bringt.

Informatikunterricht an Primarschulen verfolge also nicht die Informatik an sich, sondern man habe wesentliche allgemeine Bildungsziele im Auge. So wie die Mathematik eine präzise Verständigung sowie die Objektivierung und Überprüfung der Modelle in allen Wissenschaften ermöglichte, schaffe die Informatik heute durch ihre präzise abstrakte Sprache und ihre einzigartige konstruktive Denkweise einen wesentlichen Mehrwert in der Bildung und in der Wissenschaft. Informatik, „die Wissenschaft der Automatisierung von intellektueller Arbeit“, sei ein wichtiger Teil des Konzeptes für zeitgemässen MINT-Unterricht. Kinder und Jugendliche sollen lernen, reelle Problemstellungen in abstrakter Weise darzustellen, durch eigenes Ausprobieren und Erfahren allgemeine Lösungswege zu finden – und ihre Lösungswege ganz genau zu planen und zu beschreiben.

Informatikunterricht schule in diesem Sinn ganz wesentliche intellektuelle und sprachlichen Fähigkeiten. Dabei unterschied Prof. Hromkovic zwei unterschiedliche Aspekte der Informatik: ihren mathematikähnlichen Anteil und den Anteil Engineering. Ersteres beinhalte die Fähigkeit, ein Problem aus der Realität in die Sprache der Mathematik zu transformieren und dann eine Methode, einen Lösungsweg zu finden, der für alle spezifischen Fälle eines Problemtyps greift. Dies sei der mathematikähnliche Teil der Informatik. Im zweiten Teil gehe es um das eigentliche Programmieren, also darum, eine Sprache zu entwickeln und dem Rechner in dieser Sprache den genauen Lösungsweg mitzuteilen.

Juraj Hromkovic empfiehlt für die Zukunft der Schule, „dass man vom Lernen konkreter Methoden zu der Entwicklung von Begriffen übergeht“. So könne man Teile des Fachwissens streichen und stattdessen in der Schule wissenschaftliche Entwicklungen nachvollziehen. Es sei wichtig, diesen Prozess zu verstehen, wie die Wissenschaften neue Begriffe finden, sobald die alten nicht mehr genügen. Die Mathematik habe mit der Kreation einer überprüfbaren Sprache angefangen. So hätte man ohne den Begriff der Unendlichkeit keinen Begriff „Grenzwert“ und Konzepte wie Beschleunigung oder Geschwindigkeit und grosse Teile der Newtonschen Physik wären nicht fassbar. „Jedes neue Wort ist ein neues Konzept und die Erzeugung von diesem neuen Wort ist viel bedeutender, viel wichtiger als die Erzeugung von beliebig gültigen wissenschaftlichen Resultaten.“ Die Kreation neuer Begriffe nach den Bedürfnissen der realen Gedanken sei das massgebende für die Entwicklung der Wissenschaft, nicht die Resultate selber. Und das solle einen starken Einfluss auf die Schule haben. Zu diesem tieferen Verständnis von Erkenntnis trägt die Informatik bei, indem „man versteht wie man aus der Erfahrung eine Intuition baut, wie man diese Intuition treffend und genau ausdrücken kann und wie man sie überprüfen kann.“ Es gehe darum, dass alle lernen, zu entdecken, zu verstehen. Dieses wissenschaftliche, scharfe und kritische Denken könne künftig auch eine nachhaltige Kultur von Entscheidungsträgern prägen.

Juraj Hromkovic schilderte schliesslich die typischen Gefahren bei der Implementation von Lehrplänen. Er verwies auf die Tücken der laufenden Bildungsreform in England mit ihrem durchaus überschaubaren und greifbaren Informatiklehrplan, worin klare Inhalte und Kompetenzen in Informatik, ICT und Medien festgeschrieben wurden. Die Lehrpersonen des Netzwerkes CAS (Computing at Schools www.computingatschool.org.uk/ kommen nun zu Hunderten an Tagungen und tauschen sich im CAS Newsletter "SWITCHED ON" („Switched On“ www.computingatschool.org.uk/data/uploads/newsletter-spring-2014.pdf) mit sichtlicher Begeisterung zu ihren Erfahrungen mit verschiedenen Unterrichtsmaterialien und Unterrichtsansätzen aus. Doch die Verführung „einfach alles zu nutzen was auf dem Bildschirm bunt aussieht“ kann für Hromkovic auch gefährlich sein, falls dabei ein wohldurchdachter Aufbau der wichtigen Lernschritte auf verschiedenen Stufen fehlen. Er findet es falsch, den Jugendlichen primär die Anstrengung beim Programmieren ersparen zu wollen. Denn Informatik ist in ihrem Wesen ein anspruchsvolles Fach und ist gerade darin einzigartig, dass sie unmittelbar zu besonderen intellektuellen Leistungen motiviert.

Mit seiner fünfjährigen Tradition ist der STIU sowohl Fortbildung als auch ein Dank an engagierte Lehrpersonen. Anlässlich der Preisverleihung zeigte Hromkovic die Strategien auf, wie in einer Phase, wo Lehrpläne nachhinken, vorbildlicher Informatikunterricht durch einzelne initiative Lehrpersonen und Institutionen eingeführt werden konnte. So habe die Schule Attinghausen in Uri Geschichte geschrieben, indem der Schulleiter mit der Schulpflege Informatik- und Programmierunterricht in den Lehrplan integrieren konnten. Die Kantonsregierung habe auf Grund der erfolgreichen Pilotprojekte daraufhin den Volksschulen offiziell die Weisung gegeben, dass flächendeckend jede Schule Programmierunterricht anbieten dürfe.

Die Ehrenmedaillen des ABZs der ETH gingen an die Primarschule Attinghausen sowie an die Pädagogische Hochschule Graubünden für ihre Pionierarbeiten im Programmierunterricht an den Primarschulen. In Graubünden sei die Bewegung ausgehend vom ABZ der ETH zunächst an der Pädagogischen Hochschule entstanden, während sich andere PHs zur Informatik noch zurückhaltend verhielten, schilderte Professor Hromkovic. Diese PH aber habe die Pilotprojekte des ABZ an Primarschulen offen unterstützt, und begann eigene Unterrichtsmaterialien und neue Inhalte zu entwickeln und an den Schulen zu unterrichten. Dies sei die erste Pädagogische Hochschule der Schweiz, die bereits in der Ausbildung der Lehrpersonen Lektionen in Informatik unterrichtet und die Umsetzung vorantreibt, mit der Aussicht, dass die Informatikbildung der Lehrpersonen künftig auch im Bündner Rahmenlehrplan verankert werde.

Pascal Lütscher und Bernhard Matter von der Pädagogischen Hochschule Graubünden wurden am STIU zudem mit dem individuellen Ehrenpreis des ABZ für ihre Beiträge zur Entwicklung und Integration des Programmierens im Geometrieunterricht an Primarschulen geehrt. Sie gestalteten am STIU auch einen Workshop zu ihrem Ansatz der LOGO-Programmierung im Mathematikunterricht auf Primar- und Sek-I Stufe. Mittels Programmierung lernen die Bündner Kinder mit Zahlen, Winkeln und geometrischen Formen selber experimentell zu jonglieren. Damit lernen sie nicht nur Geometrie, sondern den eigentlichen Prozess des Beobachtens und Erforschens mathematischer Zusammenhänge kennen und kommen verschiedenen Gesetzmässigkeiten selber auf die Spur. Anstatt ihre Experimente nur mit Bleistift zu skizzieren, bauen sie sich ein Programm in der einfachen Programmiersprache LOGO, das die vielen denkbaren Variationen ihrer geometrischen Konstruktion zeichnen kann. So können sie die geometrischen Zusammenhänge aus vielen Blickwinkeln erfahren und veranschaulichen. In einer anderen Aufgabe werden Kinder mit der Idee der Computersimulation vertraut. Sie schreiben ein Programm, das den Computer nach dem Zufallsprinzip würfeln lässt. Dann würfelt ihr virtueller Fuchs im Rechner einen Würfel nach dem anderen, zeigt das Resultat, macht die Prognosen - und die mathematischen Würfeltricks vom Fuchs zu enthüllen ist plötzlich nur ein Kinderspiel.

Die MINT-Preise 2014 gingen an die Gastgeberin Alte Kantonsschule Aarau (AKSA) für den hervorragenden Unterricht der MINT-Fächer und internationale Erfolge an den Wissenschaftsolympiaden sowie an die Kantonsschule Burggraben St.Gallen für ihre Leistungen im Informatikunterricht und im MINT Unterricht. Im Jahre 2006 hat die AKSA als erste Aargauer Schule die naturwissenschaftlich-mathematische NAWIMAT-Abteilung ins Leben gerufen, Mit den NAWIMAT-Projektarbeiten und Praktika in naturwissenschaftlich-technischen Betrieben vertiefen Schülerinnen und Schüler ihre technischen und übergreifenden Kompetenzen, was sich in ihren Erfolgen spiegelt.

Eine individuelle Ehrenmedaille des ABZ wurde am STIU an Mike Fellows verliehen, den Autor des „Buches „Computer Science Unplugged“. Sein Buch vermittelt Informatikkonzepte ohne Computer, und ist „von einem unermesslichem Einfluss“ auf die Ideen, wie und was man von der Informatik unterrichten soll. Weitere Ehrenmedaillen gingen an die Kerngruppe um Hanspeter Erni (LU), Ivo Blöchliger (VD), Beat Trachsler (ZH) und Christian Datzko (BS), welche den Informatikwettbewerb „Biber“ aus Litauen seit 5 Jahren in der Schweiz verbreitet hat.

Der „Informatik-Biber“ hat diese Jahr 10.000 Jugendliche erreicht. Ivo Blöchliger und Christian Datzko beleuchteten in ihrem Workshop am STIU den Entstehungsprozess von Informatikbiber-Wettbewerbsaufgaben. Sandro Feuz und Daniel Graf stellen in ihrem Workshop zudem die Möglichkeiten vor, anspruchsvolle Aufgaben der Schweizer Informatikolympiade SOI in den Unterricht zu integrieren.

Mehrere weitere Workshops vermittelten wichtige Konzepte der Informatik und verfolgten dabei oftmals einen mathematiknahen Ansatz. Michael Fellows bot eine mathematische Tour der Algorithmen im Zusammenhang mit dem Komplexitätsbegriff. Auch der Workshop von Armin Barth drehte sich um Algorithmen. Mit seinem Buch „Algorithmik für Einsteiger" (Springer 2013) bringt Armin Barth das Wesen der Algorithmen in den Gymnasialunterricht. Stefan Niggli erklärte verschiedene Konzepte der Informatik unter Einsatz der Mathematica Software, welche sowohl selbständiges Programmieren als auch die Anwendung komplexer Funktionen erlaubt. Jens Gallenbacher verfolgt mit seinem Dauererfolg „Abenteuer Informatik“ den Unterrichtsansatz ohne Computer. Dieses Jahr stellte er Spiele für Gruppen vor, welche im Informatikunterricht für Motivation sowie Einblicke in Modellbildungs- und Problemlöseprozesse sorgen.

Zahlreiche Workshops setzten auf das Programmieren in Kombination mit spielerischen und gestalterischen Komponenten. Michael Kölling stellte die Programmierumgebung Greenfoot vor, mit welcher online-Spiele und Simulationen programmiert und objektorientierte Programmierkonzepte visualisiert werden können. Nadia Repenning leitete den Workshop von Alexander Repenning (University of Colorado / PH FHNW) „Teach Your Students Game Design in One Week - Computational Thinking durch 3D Spielprogrammierung“. Im Licht ihrer zehnjährigen Forschungsresultate aus den USA zur Frühförderung konstruktiver und algorithmischer Denkprozesse und Lösungswege (Computational Thinking) wurde die Integration von Spiel- und Simulationsprogramierung diskutiert. Kinder üben Aspekte des „Computational Thinking“, indem sie beim Programmieren und kreativen Ausgestalten von Simulationen oder von Spielen wie „Frogger“ abstrakte Denkmodelle zu verschiedenen Problemstellungen entwickeln, dabei physikalische oder biologische Konzepte abbilden und ein Verständnis für wissenschaftlicher Begriffe und Zusammenhänge entwickeln. Alexander Repenning tritt mit seiner erfolgreichen Spielmodellierungs- und Lernforschung mit zehntausenden von Jugendlichen(Scalable Game Design: http://scalablegamedesign.cs.colorado.edu/gamewiki/images/c/c7/One_Pager...) ab Januar die Professur für informatische Bildung an der PH der FHNW an.

Aegidius Plüss, Jarka Arnold und Tobias Kohn stellten ihre Programmierumgebung Tigerjython vor. Diese vereint dabei die Vorteile der überschaubaren Programmiersprache Python mit der Einbindungsmöglichkeit aller Java-Bibliotheken. Das System wird mit einem einzigen Knopfdruck installiert und bietet so ohne Hindernisse den Einstieg in selbsterklärende Tutorials, welche vom Zeichnen mit Turtle-Grafik bis zu Multimedia- Spiel- Simulations- und Robotikprogrammierung reichen. Dazu wurden gut durchdachte Online-Lehrmittel erarbeitet, welche die informatischen Grundkonzepte hinter den Übungsbeispielen vertiefen.

Die Workshops fokussieren also den Unterricht von Algorithmen und wichtigen Konzepten der Informatik. Dabei werden auch Ansätze verfolgt, welche Informatikkonzepte anhand von Metaphern, Spielen und greifbaren Erfahrungen, ohne Programmierung und Geräte begreifbar machen. Mehrere Workshops beleuchten besonders die Schnittstellen von Mathematik und Informatik. Andere stellen geeignete Programmierumgebungen zur Einführung wichtiger Informatikkonzepte und der Programmierung an Schulen vor. Eine letzte Kategorie setzte bei den praktischen Wettbewerbsaufgaben der Informatikolympiaden und des Informatik-Bibers an und versucht, diese Ansätze vorzustellen und auf den Schulunterricht zu übertragen. Für Informatikangefressene ist der Schritt zum internationalen Wettbewerb dann doch ein Kinderspiel.

Der STIU wird als Fortbildungstagung in Informatik-Didaktik für Lehrpersonen aller Stufen seit 2010 vom Ausbildungs- und Beratungszentrum für Informatikunterricht ABZ der ETH (www.abz.inf.ethz.ch) organisiert. Gastgeberinnen sind dabei wechselnde Schulen. Der STIU wird von der Hasler Stiftung und von Google gefördert und wird von der Schweizer Informatik Gesellschaft SI im Rahmen ihrer strategischen Förderung der Informatikausbildung in der Schweiz mit unterstützt. Der STIU bietet jedes Jahr inspirierende Referate zum Informatik-Unterricht aus dem Schul- und Hochschulbereich, Begegnungen mit bedeutenden Persönlichkeiten der Informatik, sowie ein vielfältiges Angebot an Workshops. Vormittags findet gleicherorts der Vernetzungstag des SVIA statt http://svia-ssie-ssii.ch/svia/news/vernetzungstagung-2014.

www.abz.inf.ethz.ch/stiu-fuenf
www.abz.inf.ethz.ch/stiu-fuenf/workshops

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Die neue Kantonsschule Aarau (Bild: Wikipedia)