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Immer mehr Geräte, Produkte und Dienste haben ein Mikrofon bzw. Spracheingabe und -ausgabe. Im folgenden Beitrag wird auf ihre Funktionen eingegangen und gezeigt, dass ein Risiko vorhanden und Vorsicht geboten ist.

Gastbeitrag von Oliver Bendel, Philosoph und Wirtschaftsinformatiker

Im Kinderzimmer wird es eng. Neben dem guten alten Teddybär und neben Hello Kitty als Puppe steht oder liegt Hello Barbie. Anders als ihre plüschigen und niedlichen Freunde und Freundinnen ist sie intelligent. Künstlich intelligent, aber immerhin. Sie versteht und hört mit. Auch für die Erwachsenen wird es eng. Big Brother macht sich breit und bekommt immer grössere Ohren. Theoretisch kann alles, was man sagt, aufgezeichnet werden, und zwar zusammen mit der Information, wie man es sagt, mit welcher Aussprache und Betonung, mit erwachsener oder kindlicher, weiblicher oder männlicher Stimme. Dies gilt für alle im Folgenden aufgeführten Geräte, Produkte und Dienste.

Smartphones und Tablets

Smartphones und Tablets verfügen üblicherweise über Mikrofon und Lautsprecher. Das Mikro ist für Aufnahmen von Geräuschen und Klängen, für die Sprachsteuerung sowie für die Spracheingabe beim Telefonieren gedacht, der Lautsprecher gibt Signale, Weckrufe, Musik und Sounds von Computerspielen sowie die Stimme des Gesprächspartners aus (vgl. Bendel 2015). Zusätzlich können Kopfhörer oder Headsets und separate Boxen angeschlossen werden. Auch Handys haben oft die beschriebenen Funktionen, und natürlich muss jedes Telefon über eine Spracheingabe und -ausgabe verfügen.

Smartphones und Tablets werden überall genutzt, im Zug oder im Bus, bei der Arbeit und zu Hause. Auch bei Seminaren und Vorlesungen sind sie massenhaft zu finden. Sie sind, mit anderen Worten, omnipräsent, und der Benutzer weiss oft nicht, ob die Aufnahmefunktion aktiviert wurde, zumal dies durch einen Bedienungsfehler passieren kann. Ingo Pakalski bemerkt in einem Artikel, dass über Schadsoftware vorgegaukelt werden kann, dass das Smartphone ausgeschaltet ist, und in diesem Zustand ein Lauschangriff droht (vgl. Pakalski 2015). Bei manchen Apps (z.B. von 20 Minuten) muss man akzeptieren, dass auf das Mikrofon zugegriffen werden kann. Auch Personen im Umfeld können kaum herausfinden, ob ihre auditiven Aktivitäten aufgezeichnet werden oder nicht. Die Aufnahme erfolgt sozusagen heimlich, still und leise, meist ohne ausdrückliches Einverständnis.

Die auditiven Funktionen von Smartphones und Tablets werden von Sprachassistenten genutzt. Siri und Cortana sind zwei bekannte Beispiele. Sie haben menschliche Stimmen und kommunizieren in natürlicher Sprache, ähnlich wie Chatbots auf Websites, die aber mehrheitlich nur textuell interagieren, oder pädagogische Agenten in Lernumgebungen. Ein weiteres Beispiel ist OK Google. Mit dem gleichnamigen Befehl wird die (Such-)Maschine aktiviert, und eine weibliche Stimme antwortet auf Fragen, etwa auf der Basis von Wikipedia und von Google Maps. Die künstlichen Assistentinnen sind potenzielle Spioninnen, was sie interessant und gefährlich macht.

Lautsprechersäulen

Lautsprecher waren früher überwiegend, durchaus im Sinne ihrer wörtlichen Bedeutung, keine Ein-, sondern Ausgabegeräte (vgl. Bendel 2015). Spätestens mit Amazons Echo – Nomen est omen – hat sich die Situation geändert. Das Gerät, das wie ein in die Höhe geschossener Lautsprecher aussieht, kann mit Sprachbefehlen und mit einer App gesteuert werden. Es ist über W-LAN permanent mit dem Internet verbunden und verfügt über sieben Mikrofone im Boden. Die Sprachanalyse findet in Amazons Rechenzentren statt. Gemäss Hersteller wird sie nur bei vorangehendem Codewort durchgeführt; "sonst wird von Echo nichts aufgezeichnet" (Linden 2014). Das Codewort und zugleich der Name der virtuellen Assistentin ist "Alexa".

Fragen nach dem Wetter werden von Echo bzw. Alexa ebenso beantwortet wie nach dem Radio- oder Fernsehprogramm. Auch kann man sich Witze erzählen, Nachrichten vorlesen, To-do-Listen generieren und an Termine erinnern lassen. Das ausschnittsweise Vorlesen von Wikipedia-Artikeln wird – wie von OK Google – ebenfalls beherrscht. Vor allem hilft die erweiterte Lautsprechersäule beim grenzenlosen Shoppen vom Zuhause aus: "Per Zuruf können Nutzer Produkte auf die Einkaufsliste setzen oder Musik aus Amazons Multimedia-Angeboten abrufen." (Fuest 2014) Damit wurde eine Art digitale Litfasssäule realisiert, die zugleich ein Vorschlags- und Bestellsystem ist.

Die häusliche Situation ist eine besondere. Man befindet sich in den eigenen vier Wänden, normalerweise nicht der Ort für Überwachung, Beobachtung und Abhörung, ausser wenn man im Visier von Geheimdienst oder Polizei bzw. des Partners ist. Die Lautsprechersäule kann Geräusche und Anweisungen erfassen, die von einem beliebigen Ort der Wohnung oder Etage stammen ("far-field technology"). Sie kann im Prinzip auch in Büro- und Arbeitsräumen sowie im Freien aufgestellt werden. Ein Leuchtring am Kopf zeigt die Aktivität von Echo an. Dies ist für den Anwesenden aber nicht unbedingt offensichtlich. Selbst wenn er eingeweiht ist und flüstert, wird er gehört.

Intelligente Fernseher

Moderne Fernseher können neben dem Lautsprecher auch ein Mikrofon aufweisen. Sinn und Zweck ist üblicherweise die Sprachsteuerung, etwa zum Umschalten der Programme und insgesamt zum Bedienen des Menüs. Insofern greifen auditive und visuelle Funktionen ineinander (vgl. Bendel 2015). Ein Beispiel ist der Samsung SmartTV. Bei diesem werden Signalwörter über einen Service erkannt, der nicht zum Unternehmen gehört. Dieses hat Anfang 2015 bekanntgegeben: "Please be aware that if your spoken words include personal or other sensitive information, that information will be among the data captured and transmitted to a third party." (Hill/Harshaw 2015)

Man ist wiederum im scheinbar abgesicherten Raum, wo normalerweise keine Überwachung stattfindet. Man sieht fern, lümmelt auf dem Sofa herum, geniesst Wein und Chips, plaudert über die Serie oder das Leben, äussert sich zu politischen oder weltanschaulichen Fragen. Die Fernseher können sich auch in Lokalen befinden, was in südlichen Ländern sowie bei Sportübertragungen nicht unüblich ist. Nicht alle Benutzer rechnen damit, dass ihr Fernseher als Schnüffler der Töne tätig sein kann. Nicht allen ist auch die Funktion des Lämpchens klar, das beim erwähnten Modell während des Aufzeichnens leuchtet und auf das Samsung in seiner Erklärung explizit hingewiesen hat.

Serviceroboter

Serviceroboter sind für Dienstleistung, Unterhaltung und Zuwendung zuständig, holen Nahrungsmittel und Medikamente herbei, überwachen die Umgebung ihrer Besitzer oder den Zustand von Patienten und halten ihr Umfeld im gewünschten Zustand (vgl. Bendel 2015). Mäh-, Saug- und Putz-, aber auch Pflege- und Therapieroboter sind in Haushalten und Einrichtungen im Einsatz. Sie sind häufig (teil-)autonom und ein Stück weit lernfähig, etwa insofern sie sich Namen behalten oder je nach Behandlung unterschiedlich entwickeln können. Oft haben Serviceroboter auditive Schnittstellen wie Mikrofone und Lautsprecher. In einigen Fällen kommunizieren sie natürlichsprachlich. Zum einen müssen sie Befehle und Fragen entgegennehmen können, zum anderen ist es üblich, dass bestimmte elektronische Geräte auch über Signaltöne und Äusserungen etwas zum Status und zur Funktionsfähigkeit mitteilen.

Es sind nicht nur ökonomische Gründe, die dazu führen, dass Serviceroboter immer mehr den persönlichen, beruflichen und für die Allgemeinheit gedachten Raum erobern. Bei humanoiden Varianten ist dem Benutzer meist klar, dass Aussagen und Fragen verstanden werden. Was die Auswertung und Weitergabe der Daten anbetrifft, dürfte weniger Klarheit herrschen. Bei Dementen und manchen älteren Patienten müssen ebenfalls Einschränkungen im Verständnis angenommen werden. Bei Patienten kommt die besondere Situation der Krankheit dazu. Die Maschinen erfassen potenziell Daten zu Körperfunktionen und Gesundheitszustand. Nichthumanoide Roboter sind womöglich noch schwieriger einzuschätzen.

Big Brother hört mit

Zu erwähnen wären noch Notebooks, Diktiergeräte, Datenbrillen, privat und wirtschaftlich genutzte Drohnen, die Mikrofone aufweisen können, interaktive Werbeflächen und Fahrerassistenzsysteme bzw. Roboterautos (Bendel 2015). In den Wohn- und Arbeitsbereichen, in den Strassen und auf den Plätzen sowie in modernen Autos wird genau darauf geachtet, was wir von uns geben. Nicht jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt, aber jedes ist etwas wert. Big Brother huscht in die letzten Winkel, ebenso fett wie fidel. Zu denken ist auch an das Zusammenwirken von optischen und auditiven Systemen, das bei den intelligenten Fernsehern erwähnt wurde. Auch Smartphones, Datenbrillen und Drohnen vereinen beide Sphären.

Man kann versuchen, auf bestimmte Geräte und Maschinen zu verzichten, und man kann mit Abwehrsystemen gegen diese vorgehen. Der Einzelne wird allerdings dem Ansturm der Möglichkeiten ausgeliefert sein. Deshalb braucht es ethische Überlegungen – vor allem aus Medien-, Technik- und Informationsethik heraus – und rechtliche Konsequenzen. Die Informationsgesellschaft soll weiterhin eine Gesellschaft sein, in der die Nutzung von Technologien Freude bereitet und Gewinn bringt. Aber sie muss für den Einzelnen auch möglichst vertrauenswürdig und verlässlich sein. Es ist unklar, ob diese Anforderung erfüllt werden kann. Sicher ist nur: Big Brother hört mit.

Literatur
Bendel, O.: Der kleine Lauschangriff: Auditive Systeme aus Sicht der Ethik. In: Telepolis, 5. Juli 2015. Über http://www.heise.de/tp/artikel/45/45319/1.html.
Fuest, B.: Wie Amazon unseren Alltag übernehmen will. In: DIE WELT ONLINE, 7. November 2014. Über http://www.welt.de/wirtschaft/webwelt/article134121365/Wie-Amazon-unsere... (letzter Zugriff: 10.10.2015).
Hill, K.; Harshaw, P.: It’s not just Samsung TVs – lots of other gadgets are spying on you. In: Fusion, 17. Februar 2015. Über http://fusion.net/story/49352/all-the-smart-gadgets-are-spying-on-you/ (letzter Zugriff: 10.10.2015).
Linden, M.: Amazon hört und spricht ins Wohnzimmer. In: Golem, 6. November 2014. Über http://www.golem.de/news/amazon-echo-amazon-hoert-und-spricht-ins-wohnzi... (letzter Zugriff: 10.10.2015).
Pakalski, I.: Vermeintlich ausgeschaltetes Smartphone hört mit. In: golem.de, 20. Februar 2015. Über http://www.golem.de/news/android-schadsoftware-vermeintlich-ausgeschalte... (letzter Zugriff: 10.10.2015).
Taglinger, H.: Jetzt haben wir Dich, Du Stimme. In: Telepolis, 11. Februar 2015. Über http://www.heise.de/tp/news/Jetzt-haben-wir-Dich-Du-Stimme-2544214.html (letzter Zugriff: 10.10.2015).

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Auch mit KI versehenes Spielzeug kann zum Big Brother werden (Bild: Mattel)
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Ähnliches gilt für Smart TV, Wearables, Handys, Tablets etc. (Bild: Samsung)
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Gastautor Oliver Bendel, Philosoph und Wirtschaftsinformatiker (Bild: FHNW)