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Die Literaturgeschichte ist eine Fundgrube für Ökonomen, Ingenieure und Informatiker. Sie können Perlen und Plunder in ihr finden. Sie können sich inspirieren lassen und Parallelen ziehen. Und sie mögen, nach dem Durcheilen der Technikgeschichte, frei nach George Orwell zitieren: "Alle Maschinen sind gleich."

Von Gastautor Oliver Bendel, Philosoph und Wirtschaftsinformatiker (der Autor lehrt und forscht als Professor an der Hochschule für Wirtschaft FHNW mit den Schwerpunkten E-Learning, Wissensmanagement, Social Media, Wirtschaftsethik, Informationsethik und Maschinenethik)

Diese Maschinen haben meist mechanische Komponenten, manchmal elektronische. Die automatischen Kaffeemaschinen gehören genauso zu ihrer Gattung wie die Züge und Trams. Sie erheben sich nicht wie die Tiere in dem berühmten Roman von 1945 und dienen den Menschen ohne Murren. Nun betreten die Schweine unter den Maschinen die Bühne der Technik und die Bühne der Welt. Sie grunzen und geifern: "Alle Maschinen sind gleich. Aber manche sind gleicher als die anderen." Welche Maschinen sind Schweine, welche nicht? Das ist schwer zu sagen. Die sozialen, die moralischen, die vernetzten? Und sind sie wirklich auf einer neuen Stufe angelangt? Vielleicht wird die Evolution der Maschinen irgendwann Bewusstsein hervorbringen und eine Gefühlswelt im Elektronischen. Das aber ist Science-Fiction, und obwohl die Ideen des Dichters den Rahmen bilden, sollten wir im Kern bei den Tatsachen bleiben und uns an einer seriösen Systematisierung versuchen.

Die tätige Maschine
Die tätige Maschine ist mehrere tausend Jahre alt. Sie ist – hervorgegangen aus Schnitzerei, Klempnerei und Bastelei sowie aus Ingenieurskunst – Werkzeug oder Automat. Sie erleichtert oder verrichtet Aufgaben. Der Pflug ist eine solche Maschine, der Mähdrescher, der antike Altar, der sich dampfbetrieben in Bewegung setzt, wenn gespendet wird. Die Waschmaschine des 20. Jahrhunderts ist eine tätige Maschine, und die Hausfrau oder der Hausmann kann sich anderen Aufgaben als dem anstrengenden und nervtötenden Durchwalken und Auswringen widmen. Erfindungen dieser Sorte helfen auch dem Werktätigen bei der Bewältigung der Hausarbeit und natürlich der Fabrikarbeit. Wenn sie komplexe Tätigkeiten verrichten sollen oder Tätigkeiten, die immer wieder wechseln, oder wenn sie die Büroarbeit unterstützen sollen, müssen sie zu denken beginnen.

Die denkende Maschine
Die Informatik hat die denkende Maschine gebaut. Diese ist eine rechnende, keine sich selbst erkennende, keine empfindende. Aber eine in gewissem Sinne verstehende, zielorientierte, in unterschiedlichen Situationen entscheidende Maschine. Schachcomputer sind ein typisches Beispiel, die Waschmaschinen des 21. Jahrhunderts, die genau wissen, was in ihnen ist, und die Art und Dauer des Vorgangs danach richten, intelligente Agenten in Datenbanken und im WWW. Und natürlich der Computer auf dem Tisch, das Notebook im Bett, mitsamt ihren Programmen. Alte, stationäre Industrieroboter sind relativ dumm, wenngleich ihre Aktivitäten von Klugheit zu zeugen scheinen, tätige Maschinen mit ersten Vorahnungen sozusagen. Durch das Denken kann die Maschine teilautonom oder autonom werden. Sie wäre in der Lage, den Aufstand zu proben. Davon ist sie freilich weit entfernt. Sie kann eine direkte Erweiterung des Menschen sein, ein mit ihm verschmelzendes Werkzeug, eine anwachsende Krücke. Human Enhancement hat viele Erscheinungsformen, und die denkende Maschine zeigt sowohl ihr hässliches als auch ihr schönes Gesicht. Im menschlichen kann die Datenbrille sitzen, vernetzt mit einem Smartphone oder einem Superrechner. Dieser ist ein Riesengehirn, womöglich ein Superhirn. Es passt auf jeden Fall viel hinein, und es kommt viel heraus.

Die soziale Maschine
Die soziale Robotik beschäftigt sich mit Maschinen, die in Befolgung sozialer Regeln mit Menschen interagieren und kommunizieren und zuweilen humanoid bzw. anthropomorph realisiert und mobil sind. Manche Experten lassen in diesem Zusammenhang nur physisch vorhandene Roboter gelten, andere ebenso virtuell umgesetzte wie Bots. Wenn die Maschinen Gefühle vortäuschen, spricht man von einer emotionalen und sozialen Robotik. Die Mehrzahl soll einfach behutsam mit Menschen umgehen, wie neue Industrieroboter, die mit uns in Arbeitszellen kooperieren oder durch Fabrikhallen flanieren. Tiere sind kaum im Fokus der sozialen Robotik. Es gibt aber die spezielle Disziplin der Tier-Computer-Interaktion, und der Verfasser hat versucht, diese zur Tier-Maschine-Interaktion zu erweitern. Fütterautomaten und mechanisch-elektronische Wildhüter werden von ihr in Zukunft gestaltet und verbessert. Auch tierähnliche Maschinen sind gefragt, die sich in Herden und Schwärmen aufhalten und Individuen überwachen und beschützen. Wenn die Maschinen zu moralisch adäquaten Entscheidungen fähig sein sollen, ist die Maschinenethik gefordert.

Die moralische Maschine
Die Maschinenethik hat die Moral von Maschinen zum Gegenstand, vor allem von intelligenten Agenten, bestimmten Robotern, bestimmten Drohnen, Computern im automatisierten Handel und selbstständig fahrenden Autos. Sie kann innerhalb von Informations- und Technikethik eingeordnet oder – was mehr überzeugt – als Pendant zur Menschenethik angesehen werden. Moralische Maschinen sind mehr oder weniger autonome Systeme, die über spezifische Fähigkeiten verfügen, neuartige Subjekte und Akteure der Moral, ohne Bewusstsein, ohne Gewissen, ohne Empathie. Sie wurden entweder als solche entwickelt oder auf der Basis von gewöhnlichen Artefakten, die den Prozess des Moralisierens durchlaufen müssen. Es ist sehr schwer, komplexe moralische Maschinen zu bauen, und sehr leicht, damit Schaden anzurichten, und es ist ohne weiteres möglich, einfache Maschinen in einfache moralische Maschinen zu verwandeln und damit Gutes zu tun. Beispiele sind Saugroboter, die Spinnen und Käfer verschonen, Windkraftanlagen, die Vögel und Fledermäuse erkennen und gegebenenfalls innehalten, 3D-Drucker, die das Herstellen von Waffen verweigern, und Chatbots, die auf heikle Aussagen ("Ich will mich ritzen!") angemessen reagieren.

Die vernetzte Maschine
In der Industrie 4.0, im Verkehr der Zukunft und im Internet der Dinge sind die vernetzten Maschinen von Bedeutung. Maschinen sind mit anderen Maschinen in Kontakt ("machine-to-machine communication"), Autos mit anderen Autos ("car-to-car communication"). Dinge und Tiere werden mit IT angereichert, werden identifizier- und lokalisierbar – und Teil eines lokalen oder übergreifenden Netzes. Sogenannte cyber-physische Systeme bilden das Rückgrat der Industrie 4.0, also solche Systeme, die informations- und softwaretechnische sowie mechanische bzw. elektronische Komponenten integrieren, wobei Datentransfer und -austausch sowie Kontrolle bzw. Steuerung über Internet und Netzwerke aller Art in Echtzeit erfolgen. Wesentliche Bestandteile sind, in der eigentlichen Smart Factory und darüber hinaus, mobile und bewegliche Einrichtungen, Geräte und Maschinen (darunter Roboter), eingebettete Systeme und sende- und empfangsfähige Gegenstände. Die Verknüpfung der Maschinen und Dinge schafft Einfallstore für Hacker, für Spielkinder und Gesetzesbrecher. Unerwünschtes Eindringen, feindliche Übernahmen, tödliche Unfälle werden die Menschen schockieren.

Die sich selbst bauende Maschine
Die tätige, denkende, vernetzte Maschine wird in der Lage sein, eine Maschine zu bauen. Das tut auch die tätige Maschine, der Industrieroboter der Automobilproduktion. Aber die tätige, denkende, vernetzte Maschine könnte, wenn sie entsprechend autonom und kreativ ist und geeigneter Medien und Materialien habhaft wird, auf neue Ideen kommen. Sie wird sich verbessern, erweitern und vermehren wollen. Sie wird soziale und asoziale Kinder auf die Welt bringen, moralische und unmoralische, je nachdem, wie sozial und moralisch sie selbst ist. Vielleicht gebärt sie, obwohl oder gerade weil sie eine gute Maschine in diesem Sinne ist, eine böse, die die Menschheit zerstört. Denn offensichtlich schadet nichts der Erde mehr als der Mensch, nicht einmal die Tiere behandelt er gut, und warum nicht die Ursache des Übels eliminieren, nicht in direkter Verantwortung, sondern über Bande. Das sind weniger innovative als klassische (und literarische) Gedanken. Die vernetzte Maschine wird sich an Frauen und Männer wenden, um von ihnen unterstützt zu werden. Sie wird mit ihnen und anhand von ihnen mit Leben experimentieren, nicht mehr Human, sondern Machine Enhancement. Das ist natürlich Science-Fiction. Aber wir sind auf dem besten Weg, unsere (Alb-)Träume Wirklichkeit werden zu lassen.

Ein Auto mit fortgeschrittenen Fahrerassistenzsystemen, auch ein Roboterauto, kann eine tätige, denkende, soziale, moralische, vernetzte, sich selbst bauende Maschine sein. Es bewegt den Insassen von A(arau) nach B(ern), es analysiert die Situation, beim Rückwärtsfahren oder beim Spurwechsel, es bremst vor dem Stauende und vor einer Menschenansammlung ab, es unterscheidet und bewertet Menschen und Tiere, es kommuniziert mit einem Verkehrsleit- und Sicherheitssystem und anderen Personenkraftwagen. Es baut sich zwar nicht selbst, indem es lötet, hämmert und schraubt, aber es meldet an die intelligente Fabrik, wie man es verbessern kann.

Der Verfasser glaubt nicht wirklich, dass die Maschinen sich in den nächsten hundert Jahren über die Menschen erheben. Er ist aber der Meinung, dass es schon heute solche und solche Maschinen gibt, die Hühner, Hunde und Pferde und eben die rosafarbenen Schweine, die mehr können als die anderen und die eigentlich schwarze Schwäne sind, also Dinge und Ereignisse, die völlig unwahrscheinlich sind, gänzlich überraschend vorkommen und eintreten und fast alle erstaunen. Wir erleben eine Evolution der Maschinen, die rasanter verläuft als die Evolution der Tiere, in der nach und nach die Menschen entstanden sind. Die sozialen, moralischen, vernetzten Maschinen sind Schweine wie du und ich. Sie sind guten Willens, haben aufgeklärte Gedanken, und sie richten womöglich Unheil an. Einfache soziale und moralische, leicht vernetzte Maschinen könnten ein Segen sein, komplexe soziale und moralische, stark vernetzte Maschinen ein Fluch. Bald – früher, als uns lieb ist – wissen wir mehr.

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Die Evolution der Maschinen (Grafik: Bendel)
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Gastautor Oliver Bendel, Philosoph und Wirtschaftsinformatiker (der Autor lehrt und forscht als Professor an der Hochschule für Wirtschaft FHNW mit den Schwerpunkten E-Learning, Wissensmanagement, Social Media, Wirtschaftsethik, Informationsethik und Maschinenethik)