thumb

An der ETH Zürich und bei der UBS Basel sind zwei sehr seltene, über 100-jährige Loga-Rechenwalzen mit einer Skalenlänge von 24 m gefunden worden. Es könnte sich dabei um die weltweit grössten und genauesten Rechenwalzen handeln. Solche Rechenhilfsmittel wurden bis in die 1970er Jahre verwendet.

Gastbeitrag von Herbert Bruderer, Dozent i.R. am Departement Informatik der ETH Zürich

Seit Jahrtausenden versuchen die Menschen, sich die Arbeit mit Rechenhilfsmitteln zu erleichtern. Am bekanntesten ist der Abakus, der in manchen Ausprägungen (Suanpan in China, Soroban in Japan, Stchoty in Russland) vorkommt. Über 300 Jahre lang waren Rechenschieber weit verbreitete Werkzeuge, bis sie in den 1970er Jahren jäh durch elektronische Taschenrechner abgelöst wurden. Dieses Schicksal erlitt auch die kleinste mechanische Rechenmaschine der Welt, die in Liechtenstein gefertigte Curta. Rechenschieber gibt es in mehreren Bauformen: Rechenstäbe, Rechenscheiben, Rechenwalzen, Rechenuhren. Alle diese Geräte sind weitgehend in Vergessenheit geraten, selbst bei Fachleuten der Mathematik und Informatik.

Rechenschieber wurden in zahlreichen Ländern gefertigt, z.B. in Grossbritannien, Frankreich, USA, Deutschland, Japan. Der führende Schweizer Hersteller von Rechenscheiben und Rechenwalzen war die Firma Loga-Calculator. Ihr Inhaber Heinrich Daemen Schmid errichtete 1900 eine Werkstatt in Zürich, 1903 wurde sie nach Oerlikon verlegt, 1911 zog er nach Uster um.

Je länger die Skala, desto höher die Genauigkeit

Es wird zwischen analogen (stetigen) Rechengeräten (z.B. Rechenschieber, Planimeter, Integrieran- lage) und digitalen (ziffernmässigen) Rechengeräten (z.B. Abakus, mechanische oder elektronische Rechenmaschine) unterschieden. Rechenschieber verwenden in der Regel logarithmische Skalen. Der Schotte John Napier und der Schweizer Jost Bürgi haben zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Logarithmen entdeckt. Als Erfinder des Rechenschiebers gilt der Engländer William Oughtred. Je länger die Skala eines Rechenschiebers ist, desto höher ist seine Genauigkeit. In der Praxis herrschten die Rechenstäbe vor. Rechenscheiben und vor allem Rechenwalzen ermöglichten jedoch mehr Stellen. Nach dem international anerkannten Rechenschieberfachmann Heinz Joss (Dällikon) hatten die grössten Rechenwalzen, die weltweit je auf den Markt gebracht wurden, eine Skalenlänge von 24 m. Sie stammen von Loga-Calculator.

Diese Geräte, die laut Herstellerangaben auf 5 bis 6 Stellen genau rechnen, sind sehr selten. Bisher war nur von drei Stück (Dällikon, Basel, Greifswald) die Rede. Der Zufall wollte es, dass Ende November und Anfang Dezember 2013 gleich zwei weitere Exemplare aufgetaucht sind, je eine am Departement Informatik der ETH Zürich und im Konzernarchiv der UBS in Basel.
Die beiden Walzen sind knapp 70 cm lang. Sie haben einen Durchmesser von etwa 25 cm und einen Umfang von 80 cm. Die 24-m-Skala ist auf 80 parallele Skalenabschnitte verteilt. Rechenwalzen werden gleich bedient wie herkömmliche Rechenstäbe. Sie sind mit einem drehbaren und seitlich verschiebbaren Schieber (auch Manschette genannt) ausgestattet.

Bestimmung der Skalenlänge schwierig

Weder bei der ETH Zürich noch im Konzernarchiv der UBS Basel gibt es Unterlagen zu den neu entdeckten Rechenwalzen. Das mag erklären, weshalb die Bedeutung dieser Analogrechner nicht erkannt wurde. Sie waren jahrzehntelang im Gebrauch, so bei Banken, Versicherungen und Schulen. Entscheidendes Merkmal von Rechenwalzen ist die Skalenlänge. Ihre Bestimmung ist jedoch schwierig. Vor allem auf den frühen Geräten sind keinerlei Angaben zu finden. Der Nachlass der Loga-Calculator AG, Uster, befindet sich im Schweizerischen Wirtschaftsarchiv, Basel. Mithilfe von Messungen und eines Modellverzeichnisses der Loga-Walzen war eine eindeutige Bestimmung der Skalenlänge von 24 m möglich. Das Alter der zwei Geräte lässt sich dank der Aufschrift „Zürich (Schweiz)“ ungefähr festlegen: Sie wurden spätestens 1911 gebaut, denn das Unternehmen siedelte in diesem Jahr nach Uster um. Die beiden Rechenwalzen sind also über 100 Jahre alt.

Zeitzeugen erinnern sich nicht mehr

Erst seit kurzem ist bekannt, dass im Institut für angewandte Mathematik der ETH Zürich eine Loga-Rechenwalze eingesetzt wurde. Sie wird in einem handschriftlichen Dokument vom 11. August 1949 (Nachlass von Eduard Stiefel im Archiv der ETH-Bibliothek) erwähnt. Das Institut besass damals eine elektrische Rechenmaschine und eine Loga-Rechenwalze. Es gelang nicht, Zeitzeugen zu finden, die mit der Walze gearbeitet haben oder sich daran erinnern. Die bis heute verschollene Madas-Tischrechenmaschine der Firma Hans W. Egli AG, Zürich, wurde 1948 angeschafft. Wie den ETH-Schulratsprotokollen zu entnehmen ist, wurde Max Rosenmund (Professor für Geodäsie und Topographie) am 26. Dezember 1905 ermächtigt, eine logarithmische Rechenwalze zum Preis von 250 Franken zu erworben. Ob es sich dabei um die nun gefundene 24-m-Rechenwalze handelt, ist noch Gegenstand von Untersuchungen. Unklar ist auch ihre Weitergabe über die Fernmeldetechnik ans Rechenzentrum.

Im Dezember 2013 kamen beim Kulturgüterschutz der ETH Zürich (www.kgs.ethz.ch) zudem mehrere bisher unbekannte Rechenschieber, u.a. Rechenstäbe aus Holz, Messing und Elfenbein, zum Vorschein, darunter auch ein Hornerscher Rechenstab.

Museen

Rechenschieber aller Art sind in zahlreichen Museen zu finden, z.B. Deutsches Museum (München), Heinz Nixdorf Museumsforum (Paderborn), Arithmeum (Bonn). Liebevoll gepflegte Sammlungen sind auf Anmeldung u.a. bei den Gebrüdern Beck in Pfäffikon ZH und Schaan FL sowie bei der UBS, Basel, zu besichtigen.

12083-12083rechenwalzeeth.jpg
Über 100 Jahre alt: Loga-Rechenwalze mit 24-m-Skalenlänge