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Gerade im Forschungsfeld Künstliche Intelligenz (KI) und ihrer Teildisziplin, dem Maschinellen Lernen (ML), liegen die Schweiz und Europa im Allgemeinen gut im Rennen. Dies bestätigte auch Philippe Cudré-Mauroux, Direktor des Exascale Infolabs und Professor für Informatik an der Universität Fribourg, in einem Gespräch mit der Plattform "Fokus". Der Experte für Nextgen-Infrastrukturen für Big Data und KI räumt jedoch ein, dass Europa und die Schweiz beim praktischen Einsatz der modernen KI- und ML-Modelle im Vergleich zum Spitzenreiter USA und der starken Konkurrenz China zurückliegen. Er ergänzt, dass diese Themen so komplex und strategisch wichtig seien, dass sich eine "The winner takes it all"-Situation abzeichne. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssten 95 Prozent der Unternehmen alles daransetzen, mit den Technikgiganten mitzuhalten.

Gastbeitrag von Philippe Picalek, Regional Sales Director Schweiz bei Cloudera (© Cloudera)

Die zentrale Frage sei, weshalb der Prozess stocke, ML-Funktionen aus der Forschung für die Produktion zu adaptieren und zu skalieren. Oder anders herum, wo die Hindernisse im ML-Lebenszyklus entstünden. Generell gerät ein Unternehmen schnell in Bedrängnis, soll es die Lücke zwischen dem Experimentieren mit ML und dem Einsetzen der Technologie in Produktionsumgebungen schliessen. Trotzdem ist eine nachhaltige Entwicklung von ML möglich, bei den Algorithmen, die sich durch wiederholte Interaktionen verbessern, aus Daten mehr Umsatz erzeugen und Kosten senken. Die grössten Unternehmen der Welt zeigen die Hürden für eine erfolgreiche ML-Implementierung auf. Aus diesen Erkenntnissen heraus lassen sich reale Anforderungen ableiten, die in praktische Workflows, Produkte und Best Practices übersetzt werden können. So ergibt sich ein Leitfaden, mit dem Unternehmen dem Ziel in wenigen Schritten zumindest sehr nahekommen: Mit ML schnell in die Produktion gehen und KI-Anwendungsfälle im Unternehmen skalieren.

Zunächst gilt es dazu einen ganzheitlichen ML-Ansatz zu verfolgen. Denn ML kann zu einem Katalysator für Veränderungen werden, wenn ein Unternehmen die Technologie als integralen Bestandteil seiner Datenstrategie etabliert. Erst die Integration in die IT-Umgebung, Prozesse, Anwendungen und Arbeitsabläufe ebnet den Weg zum nachhaltigen Ansatz, der bessere Geschäftsergebnisse erzielt. Schliesslich automatisiert ML Geschäftsprozesse und löst Geschäftsprobleme. Dahinter steckt Wissenschaft, die Experimente und Beobachtung erfordert. Gefragt ist zudem die Bereitschaft, auch Misserfolge zu akzeptieren. Wer feststellt, dass sich mit ML ein bestimmtes Geschäftsproblem nicht lösen lässt, konzentriert sich auf andere Bereiche. Ein fehlerfreies ML-Modell anzustreben, führt in die Irre. Teams haben Erfolg, wenn sie schnell experimentieren, früh und oft scheitern, kontinuierlich lernen und neue Dinge ausprobieren.

Es empfiehlt sich ausserdem, ein multidisziplinäres Team aufzubauen und einzubinden, denn eine perfekte Kollaboration fusst auf Freiheitsgraden. Datenwissenschaftler in der Firma benötigen zum einen eine Plattform und Tools, die ihnen praktischen Zugang zu Daten, Rechenressourcen und Bibliotheken bieten. Anderseits funktioniert Operational ML am besten, wenn es von einem Team entwickelt und gewartet wird, das ein breites Spektrum an Fähigkeiten aufweist – von Dateningenieuren und Datenwissenschaftlern bis hin zu Stakeholdern.

Um die Qualifikationslücke zu schliessen, sollte eine Firma also versuchen, ein Team mit Erfahrungen, Talenten und Fähigkeiten aus unterschiedlichen Bereichen aufzubauen – von Data Engineering und Data Science bis hin zu Devops und Produktentwicklung. Je vielfältiger dieses Team ist, desto mehr lernen die Mitglieder voneinander.

Erst die richtige Technologie erlaubt Unternehmen, den gesamten ML-Lebenszyklus zu optimieren. Dies gelingt, wenn man ML in der Produktion zunächst in zwei Phasen unterteilt: Zu Beginn steht die ganzheitliche ML-Entwicklung sowie der Aufbau von ML-Modellen und anschliessend erfolgt der Übergang in die Produktion, die Skalierung und der laufende Betrieb. Mit der richtigen Plattform und den richtigen Tools können Data-Engineering- und Data-Science-Teams in beiden Phasen nahtlos arbeiten. Ein weiteres Hindernis für Unternehmen auf dem Weg zu erfolgreichem Maschinellen Lernen ist eine Mauer, die oft zwischen dem Experimentieren und der gross angelegten Produktion existiert. Denn Unternehmen fehlen das Wissen und die Fähigkeiten, um ML-Entwicklung, -Produktion und -Wartung in ihre bestehenden Prozesse, Workflows, Architektur und Kultur zu integrieren. Aus diesem Grund erfordert die Einführung Flexibilität und ML-Akzeptanz in der Firmenstruktur.

Darüber hinaus muss die Integrität der Modelle bewahrt werden. Wer erfolgreich einige ML-Modelle im grossen Massstab einsetzt, darf sich freuen, aber nicht ausruhen. Denn die zugrunde liegenden Daten verändern sich im Laufe der Zeit. Sobald ein effektives Modell implementiert ist, muss es stets feinabgestimmt und überwacht werden. In gewissem Sinne sind Modelle sehr lebendig, da sie ständig gefüttert, aufrechterhalten und kontrolliert werden müssen. Ausserdem benötigen sie Schutz. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Modellabfolge zu kennen und zu überwachen, wer auf Modelle zugreifen und diese ändern kann. Ein letzter nicht zu vernachlässigender Aspekt ist die ethische Verpflichtung, die es zu erkennen und befolgen gilt. Immerhin gibt es zahlreiche ethische Überlegungen zu ML. Wichtig ist, sicherzustellen, dass Unternehmen die Zustimmung von Kunden und anderen Stakeholdern haben, bevor sie die notwendigen Daten in einem ML-Modell anwenden. Auf lange Sicht zahlt sich aus, frühzeitig strenge ethische ML-Standards festzulegen und einzuhalten.

Für jede Veränderung, so auch für den erfolgreichen Einsatz von ML in Unternehmen, ist der erste Schritt der Wegweiser. Ist dieser bereits richtig, ebnet sich dadurch der Weg eines Unternehmens zur erfolgreichen KI-Anwendung und deren Skalierung. Denn es geht darum, Maschinelles Lernen in der Produktion arbeiten zu lassen – und das kontrolliert und im grossen Stil.

Gastautor Philippe Picalek, Regional Sales Director Schweiz bei Cloudera (© Cloudera)
Gastautor Philippe Picalek, Regional Sales Director Schweiz bei Cloudera (© Cloudera)