Symbolbild: Pixabay/ Thomas Wolter

Der Schweizer Handel wurde von der Corona-Krise hart getroffen. Auch im Online-Handel konnten nicht alle profitieren. Während Shops mit Lebensmitteln, Drogerie- und Haushaltsprodukten punkteten, krankte es bei anderen am gering nachgefragten Sortiment oder an Produktions- und Lieferengpässen. Bei einer Umfrage des Händlerbunds in Europa gaben im April dieses Jahres 58 Prozent der Händler an, dass sie geschäftlich unter dem Coronavirus leiden. Nur ein Viertel der Befragten (27 Prozent) sagte, dass die Corona-Krise sich positiv auf den E-Commerce auswirkt.

Gastbeitrag von Florian Harr, Principal Consultant bei Elaboratum, und Marco Schulz, Director Elaboratum Suisse

Jedenfalls hat die Krise viele Schwächen aufgezeigt; Schwächen, die etliche Händler jetzt mit einer Modernisierung ihrer E-Commerce-Ökosysteme beseitigen wollen. Dabei sollen die neuesten Technologien zum Einsatz kommen – so ist der Begriff "Headless Commerce" zum Standard geworden.

Was "Headless Commerce" konkret ist

Ein "kopfloses" System zeichnet sich dadurch aus, dass die Datenhaltung und Geschäftslogik (Backend) technisch getrennt vom Aussenauftritt (Frontend) sind. Dadurch entstehen viele kleinere Headless-Komponenten. Diese sind bedingungslos technisch flexibel, kommunizieren über standardisierte Schnittstellen miteinander und arbeiten autark, unabhängig, skalierbar und performant. Immer mehr Softwareanbieter bieten Systeme mit der neuen Technologie und mehr und mehr Online-Shop-Anbieter nutzen Headless-Systeme.

Ist Headless für alle die perfekte Lösung

Viele fachliche und technische Gründe sprechen für die Auswahl eines Headless-Systems, jedoch sollte nie der Hype eines Technologie-Begriffs ausschlaggebend sein. Denn stimmen die Voraussetzungen und die Anforderungen dafür nicht, ist selbst das smarteste Headless-System keine effiziente Lösung. Der neue Trend bringt gleichzeitig zahlreiche Hürden mit sich, die sich im schlimmsten Fall sogar als Nachteile herausstellen können. Deshalb sollte eine sorgfältige Abwägung der Anforderungen die Basis für oder gegen die Entscheidung eines Headless-Systems bilden.

Wer sich für ein Headless-System entscheidet, sollte zumindest ausreichend Projektmanagement-Erfahrung mitbringen:
- In klassischen Projekten sind tendenziell wenige oder gar nur ein Dienstleister involviert. In einem Headless-Projektsetup müssen bis zu drei oder mehr Partner gesteuert werden.
- Das macht zum einen die technischen Anforderungen komplexer, zum anderen wirkt es sich auch finanziell aus: Mehr Systeme und mehr Partner erfordern mehr Abstimmung und erzeugen somit auch mehr Kosten.
- Wer aktuell vor der Entscheidung steht, sollte nochmal mehr darauf achten, ob die notwendige Manpower für die Anforderungen zur Verfügung steht. Denn wegen der Corona-Krise befinden sich in vielen Unternehmen Mitarbeiter in Kurzarbeit und die Aufgaben sind ohnehin auf weniger Schultern verteilt.

Betrieb und Wartung komplexer

Autarke Systeme, die entkoppelt released und auch bereitgestellt werden können, klingen vielversprechend. Doch auch hier gibt es eine Kehrseite: Denn auch Betrieb und Wartung aller Komponenten erfordern besondere Erfahrung. Kommt es zu Ausfällen, kann es in einem schnittstellenbasierten System komplex werden, herauszufinden, in welchem der einzelnen Module nach einer Lösung gesucht werden muss. Alle beteiligten Partner müssen kurzfristig verfügbar sein und eine schnelle Antwortzeit garantieren. Andernfalls drohen Umsatzeinbussen durch Systemausfälle.

Höhere Kosten durch fehlende Standardisierung

Klassische Systeme verfügen über vorhandene Templates und Funktionen, z. B. Produkt-Kategorieseiten mit Filterung. Das spart Aufwand und Kosten. Ein Headless-Setup entspricht dagegen häufig einem Baukastensystem, bei dem die Teile einzeln zusammengesetzt und implementiert werden. Oft ist das mit zusätzlichem Programmieraufwand verbunden. Im Setup des Systems kann das deutlich mehr Kosten verursachen.

Wann sich Headless lohnt

Ist eine Headless-Architektur unbedingt erforderlich, um die Kundenbedürfnisse angemessen zu erfüllen? In vielen Fällen reicht eine moderne Systemarchitektur mit klassischen Shop- oder Portalfunktionen aus. Aber: Je heterogener die Frontend-Landschaft ist, desto mehr lassen sich die Stärken einer Headless-Architektur ausspielen. Wer auf eine optimale Nutzer-Experience auf verschiedenen Endgeräten und Devices setzt, kann von einer Headless-Architektur profitieren und sollte sie ernsthaft in Erwägung ziehen. Beispiele für heterogene Frontends entlang der Customer Journey sind: ein klassischer, responsiver Onlineshop, Smartwatches, APPs, B2B-Shops, Voice-Commerce, Augmented und Virtual Reality-Anwendungen, In-Store-Terminals, Kassensysteme und auch IoT-Devices.

Mit Köpfchen entscheiden und profitieren

Die Wahl einer Headless-Architektur ohne dafür zwingende Anforderungen stellt einen reinen Luxus dar. Können die Kundenbedürfnisse mit Headless Commerce aber besser erfüllt werden, überwiegen die Vorteile, sobald das System einmal aufgesetzt ist: Die Betreiber profitieren von der Zeit- und Kostenersparnis sowie einer geringeren Fehleranfälligkeit, da z. B. die redundante Pflege von Inhalten, Konfigurationen, u.v.m. vermieden werden kann. Weiterer Vorteil: Die Verfügbarkeit aller Daten, also z. B. Kunden-, Produkt- und Bestelldaten ist in allen Systemen der Headless-Architektur sichergestellt.



Der Online-Stellenmarkt für ICT Professionals