Ein Wissenschaftskonsortium aus EPFL und ETH Zürich möchte mit ihren Guardian Angels die Grenzen des technisch Machbaren weiter verschieben. Für die Entwicklung von Hightech-Sensoren, Energieerzeugung und Computertechnologie bewirbt sich das Konsortium um ein Flaggschiff-Projekt der EU.

Futuristisch anmutende Technik wird nötig sein, um die Ziele des Projekts «Guardian Angels for a smarter life» zu erreichen. Chips, Computer und Datenspeicher sind immer kleiner, schneller und billiger geworden. Mittlerweile stösst die Technik an Grenzen, insbesondere weil sich der Energiebedarf für die Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) kaum mehr senken lässt. Auch die heutige Batterietechnik behindert den Fortschritt in diesem Bereich. Plakativ gesagt: Was nützt das iPad mit all seinen Netzwerk-Funktionen, wenn die Batterie nach spätestens zehn Stunden leer ist und am Stromnetz geladen werden muss? Gefordert sind deshalb neue Ansätze bei der ICT, der Datenerhebung und -verarbeitung sowie der Energiespeicherung und neu bei den Möglichkeiten zur Nutzung von Energie aus dem direkten Umfeld der IT-Endgeräte.

Unter Führung der ETH Lausanne und der ETH Zürich hat sich ein gesamteuropäisches Forschungskonsortium gebildet, das diesen Ansatz mit einem Grossprojekt verfolgen will. Das Konsortium hat dazu ein EU Flaggschiff-Projekt geplant, das unter dem Titel «Guardian Angels for a Smarter Life» personalisierte, untereinander vernetzte elektronische «Begleiter» schaffen möchte. Im Rahmen dieses Grossprojekts wollen die Forscher grundlegend neue Lösungen für Sensoren und Datenverarbeitung, für die Kommunikation zwischen den elektronischen Geräten und neue Wege für deren Energieversorgung erforschen und demonstrieren. Die Wissenschaftler stellen ihr Vorhaben dieser Tage an einer europaweiten Konferenz in Budapest zum ersten Mal öffentlich vor.

«Guardian Angels» werden unauffällige, intelligente und energieautonome Geräte sein, welche die Menschen im Alltag unterstützen sollen. Dazu zählen etwa Sensoren, die Kleinkinder oder Pflegebedürftige in komplexen Lebenssituationen unterstützen. Sensoren auf und im Körper messen verschiedene Körperfunktionen, verarbeiten die Daten und leiten diese über entsprechende Kommunikationswege an mobile Geräte weiter. Diese elektronischen Schutzengel sollen beispielsweise helfen, die Lebensqualität und Selbständigkeit alter oder behinderter Menschen zu erhalten, selbst wenn geistige und körperliche Fähigkeiten nachlassen.

Die «Guardian Angels» sollen aber auch Sensoren für die Überwachung der Umwelt sein, um beispielsweise Umweltgefahren frühzeitig zu erkennen. Die Überwachungsstationen werden miteinander kommunizieren und die Wirkung einzelner Messstationen erheblich vergrössern. Einzelne Stationen könnten Warnungen vor Naturkatastrophen ohne Verzögerungen herausgeben. Dieses Netz aus Umweltsensoren kann auch grossräumig Echtzeitdaten erheben, die zur Einsparung von Heiz-, Transport- oder Energiekosten ganz allgemein führen. In letzter Konsequenz sollen «Guardian Angels» menschliche Emotionen erfassen können und dadurch zum Beispiel für Tetraplegiker zu wertvollen Helfern im Alltag werden. Vereinfacht gesagt: Die elektronischen Schutzengel könnten Gedanken lesen und den Gelähmten dabei helfen, mit ihrer Umwelt in Kontakt zu treten und zu interagieren.

Zero-Power-Systeme
«Das Projekt ist wirklich sehr zukunftsorientiert; es ist so ambitiös, wie auf den Mond zu fliegen – vor 50 Jahren», sagt Christofer Hierold, Professor für Mikro- und Nanosysteme an der ETH Zürich, der zusammen mit dem Initiator des Projekts, EPFL-Professor Adrian Ionescu, «Guardian Angels» koordiniert. Es gehe bei den «Guardian Angels» nicht nur um eine stärkere Miniaturisierung von ICT. Im Zentrum stehe die Entwicklung von völlig neuartiger Technologie, die mit geringster Leistung auskomme.

Der ETH-Professor betont, dass es bei diesem Flaggschiff-Projekt vor allem auch darum geht, gewisse physikalische Prinzipien, die in den Grundlagenwissenschaften diskutiert werden, zu «testen» und unter Normalbedingungen zu nutzen. Damit wollen die Forscher die Grenzen des heute Machbaren verschieben – oder mit grossen Schritten überschreiten. Dazu sind grosse technologische Fortschritte auf allen Ebenen nötig: bei der Leistungsaufnahme per Rechenoperation oder per Sensorfunktion, bei den Technologien für Kommunikation und Software unter den Randbedingungen, dass weniger Energie verfügbar ist aber Zuverlässigkeit, Datensicherheit und Privatsphäre gewahrt werden muss. Weiter braucht es Neuerungen bei den Technologien, um Energie aus der Umgebung zu gewinnen und zwischen zu speichern.

Strom aus Vibrationen
Da die Netzwerke drahtlos sein werden und ein Batteriewechsel oder -laden nicht vorgesehen ist, müssen sie die Energie, die sie für Betrieb, Kommunikation und Rechenleistung brauchen, selbst erzeugen. So verstehen die Forscher den Begriff «Zero-Power-Systeme». Vibrationen oder Bewegungen, allfällige Temperaturunterschiede oder Strahlungsenergie sollen in elektrische Energie umgewandelt werden. Zur Energiegewinnung könnten Nanodrähte eingesetzt werden, die - wenn auf grösseren Flächen integriert - aus geringen Temperaturunterschieden sehr effizient Energie erzeugen. Die erzeugten Energiemengen werden jedoch gering sein, denn die «Guardian Angels» selbst sollen klein und unauffällig sein. Deshalb müssen die Forscher neben den grundlegend neuen Technologien für elektronische Bauelemente und Sensoren beispielsweise auch neue leistungsstarke Softwarekonzepte entwickeln.

Sensoren könnten auf Carbon Nanotubes beruhen, die für ihre Sensorfunktion sehr wenig Energie brauchen. Auch die Signalverarbeitung und drahtlose Übertragung der Daten muss mit kleinsten Energien möglich sein. «Das ganze System der ist die Demonstration von Ultra-Low-Power-Technologien und wird damit unzählige neue Lösungen, auch für andere Anwendungen, anregen », sagt Hierold.

Dahin ist der Weg sehr weit und ambitiös. Der ETH-Professor spricht von einem radikalen Umdenken und Paradigmen, die sie umstossen müssen, um die Ziele zu erreichen. Die neuartigen Technologien, die im Rahmen von «Guardian Angels» entwickelt und vorangetrieben werden müssen, sind zwar teilweise bereits in Bearbeitung: Spintronics etwa, ein Konzept für Bauelemente und Signalverarbeitung, das auf dem Spin von Elektronen und dem dazugehörigen magnetischen Moment in Ergänzung zu deren Ladung beruht.

Eine grosse Herausforderung sieht Christofer Hierold darin, die zahlreichen am Projekt beteiligten Foschungsgruppen auf diese gemeinsamen Ziele hin zu bündeln. Alle beteiligten Gruppen haben bereits grosses Fachwissen erarbeitet und einige der angestrebten Technologien sind in Teilen Gegenstand aktueller Forschung. Wie bei einem Puzzle gilt es nun, die Einzelteile zu einem grossen Ganzen zusammenzufügen. Die Leitung des europaweiten Projekts haben die beiden ETHs inne. Den zurzeit grössten Anteil am Projekt hat Adrian Ionescu von der EPFL, der «Guardian Angels» vorantreibt. Weiter sind neben acht europäischen Hochschulen und Universitäten auch zahlreiche andere Forschungseinrichtungen sowie elf Firmen aus dem Hightech-Sektor, darunter IBM Research - Zürich oder die Siemens AG, Deutschland, beteiligt. An den Guardian Angels mitarbeiten werden auch die ETH-Gruppen von Lothar Thiele (D-ITET, Communication), Vanessa Wood (D-ITET, Energy Harvesting), Andreas Schenk (D-ITET, Workpackage Leader Novel devices), Bertrand Meyer (D-INFK, Software), Dimos Poulikakos (D-MAVT, Nanotechnologie) sowie Christofer Hierolds eigene Gruppe (D-MAVT, Sensoren).

Eine Milliarde für Flaggschiff-Programme der EU
Im Rahmen ihres 7. Forschungsrahmenprogramms hat die EU Grossprojekte, so genannte Flaggschiff-Initiativen, im Bereich Future and Emerging Technologies (FET) ausgeschrieben. Mit den FET Flagships will die EU grosse, ambitiöse Forschungsvorhaben mit visionärem Ziel bei der Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) fördern. Dazu stellt die EU über einen Zeitraum von zehn Jahren eine Milliarde Euro in Aussicht. Auf diese Ausschreibung hin haben 26 Konsortien Projekte eingereicht. Im März dieses Jahres wurden die sechs aussichtsreichsten Kandidaten ermittelt, darunter zwei Projekte mit massgeblicher ETH Zürich - Beteiligung: «FuturICT» und «Guardian Angels». Anlässlich der 2. FET-Konferenz und -Ausstellung von 4. Mai bis 6. Mai 2011 in Budapest präsentieren die Finalisten öffentlich ihre Vorhaben. Danach haben die Forschungsgruppen bis Mai 2012 Zeit, um einen detaillierten Antrag auszuarbeiten, der die Grundlage sein wird für den definitiven Entscheid. 2013 können die siegreichen Konsortien mit der Arbeit beginnen.