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Viele Studierende spielen mit Leidenschaft. Warum die Wirkungsweise von Games nicht dazu nutzen, um den Lernstoff unterhaltsamer zu vermitteln? Darjan Hil und Rolf Dornberger von der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW arbeiten an einem interdisziplinären Forschungsprojekt, das genau dieses Ziel verfolgt. Im von Nathalie Baumann geführtenInterview sprechen sie über die Faszination von Spielen und über traditionelle und künftige Wissensvermittlungsformen.

Was ist ein gutes Spiel?

Darjan Hil: Für mich muss ein gutes Spiel in erster Linie Spass machen. Weiter muss es ansprechend gestaltet sein. Ein wesentlicher Faktor dafür, ob ein Spiel gespielt wird oder nicht, ist das Design. Zudem ist ein gutes Spiel herausfordernd. Ich will eine Aufgabe meistern – im Team oder alleine – und erkennen können, wie wir uns entwickeln respektive ich mich entwickle. Entweder treibt mich eine spannende Geschichte an oder es geht um die Lösung eines Rätsels. Ein Spiel überzeugt, wenn die Rahmenhandlung mich fesselt oder mich zu höheren Leistungen anspornt.

Können Sie uns Beispiele für gute Spiele geben?

Darjan Hil: Der Adventure-Game-Klassiker "Monkey Island" oder "The Cave", das in diesem Jahr auf den Markt gekommen ist. In beiden geht es um die möglichst geschickte Bewältigung eines Abenteuers. Für gute Strategiespiele halte ich "Civilisation" und "Age of Empires". Im erstgenannten führt der Spieler die Menschheit über einen riesigen Zeitraum hinweg und ist unter anderem für Wirtschaft, Stadtplanung und Forschung zuständig. "Age of Empires" ist ein (Wett-)Lauf durch zwölf verschiedene Zivilisationen, den die Spielerin meistern muss.

Worin unterscheidet sich ein Online-Spiel von einem klassischen Brettspiel wie Monopoly oder von einem Gesellschaftsspiel wie "Die Reise nach Jerusalem"?

Rolf Dornberger: Das Entscheidende ist, dass es heutigen Online-Spielen gelingt, die Spielenden völlig in die Umgebung oder in die Geschichte hineinzuziehen, während traditionelle Spielwelten vergleichsweise zweidimensional bleiben. Das birgt natürlich auch eine gewisse Gefahr, nämlich jene der Spielsucht. In die virtuelle Figur eines Online-Spiels wird man regelrecht hineinversetzt, als wäre man in einen Film hinein geraten. Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Community, die nicht selten auf der ganzen Welt zuhause ist. Monopoly spielte man mit Freunden, "Clash of Clans" spielt man mit Leuten, die sich vermutlich nur "kennen", weil sie dasselbe Spiel spielen.

In Ihrem Projekt geht es um den Einsatz von Spielen in der Hochschullehre. Welche Beobachtungen haben Sie dazu bewogen, ein solches Projekt aufzugleisen?

Rolf Dornberger: Die Hochschullehre befindet sich derzeit im Umbruch. Die Studierenden erwarten Anderes von der Lehre als noch vor einigen Jahren. Durch die Mediennutzung in ihrer Freizeit sind sie ein hohes Mass an Interaktivität gewohnt. Auf diesen Zug müssen die Hochschulen aufspringen. Von clever gemachten Spielen können wir lernen. Was für Faktoren sind es, die nicht nur junge Leute motivieren, Herausforderungen anzupacken? Solche Fragen stellen wir uns gegenwärtig. Die Erkenntnisse wollen wir für die Vermittlung von Lerninhalten fruchtbar machen.

Darjan Hil: Die Studierenden verbringen viel Zeit mit Games oder in Facebook. Die Hochschulen täten gut daran, darauf nicht einfach mit Resignation zu reagieren, sondern diese Erkenntnis für sich zu nutzen. Denn daran wird sich kaum etwas ändern. Die Studierenden sind es gewohnt, über das Smartphone ständig in Verbindung mit ihren Kolleginnen und Kollegen zu sein. Warum sollen sie sich die Kenntnisse des Rechnungswesens nicht spielerisch aneignen, zum Beispiel, indem sie Pfade mit Aufgaben unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades beschreiten und sich dabei gegenseitig unterstützen?

Aber mit Spielen ist es doch ähnlich wie mit der Mode oder illegalen Partys. Cool ist, was von der Strasse kommt oder verboten ist. Kann man ein Spiel "top-down" einführen? Ist es noch cool, wenn der Dozierende mit seinen Studierenden ein Spiel spielen will?

Darjan Hil: Wir reagieren mit diesem Projekt auf den Zeitgeist. Die Nachfrage nach Spielen ist da; die Studierende spielen ohnehin. Diese Tatsache wird jedoch von den Dozierenden noch viel zu wenig für ihr Anliegen genutzt, nämlich gute Leute auszubilden.

Rolf Dornberger: Wenn ein Spiel gut gemacht ist, wird es gespielt. Unabhängig davon, wer es anbietet. Ich bin davon überzeugt, dass Hochschulen neue Vermittlungsformen brauchen. Wie damals, als Gruppenarbeiten den Frontalunterricht ergänzten. Die Studierenden haben aber mittlerweile so viele Gruppenarbeiten gemacht, dass sie froh wären, wenn wieder einmal ein anderes Gefäss zur Anwendung käme. Dabei geht es nicht um eine Revolution oder eine Ablösung bisheriger Vermittlungsformen, sondern um eine spielerische Ergänzung. Der Einsatz muss jedoch getestet werden. In diesem Bereich sind wir nun als Hochschule ganz vorne mit dabei. Was sich schliesslich jenseits des Hypes um Spiele und Gamification durchsetzen wird, wird sich zeigen.

Was ist der Mehrwert einer Spielumgebung für die Dozierenden, deren Hochschulalltag bereits voller Verpflichtungen ist?

Darjan Hil: Sie verfügen über ein Tool, das ihnen hilft, den Unterricht interaktiver zu gestalten. Zudem haben sie Echtzeitdaten darüber, wie die Aufgaben gelöst wurden und können über die Jahre hinweg Vergleiche ziehen. Das Tool kann also auch zur Qualitätskontrolle eingesetzt werden und erlaubt Rückschlüsse auf den Unterricht: Habe ich meine Lehre gut strukturiert? Welche Aufgaben sind zu schwierig? Wo muss ich etwas ausführlicher erklären?

Rolf Dornberger: Die Einführung einer Spielumgebung, wie wir sie im Sinn haben, muss begleitet werden; das ist klar. Wenn solch ein Tool aber über mehrere Jahre im Unterricht eingesetzt werden kann, wird Zeit eingespart. Das ist eine Grundregel bei neuen Tools: Am Anfang muss etwas Zeit investiert werden. Erst nach einiger Zeit zeigt sich, dass es schneller geht und dass die Umstellung sich gelohnt hat. Aber davon abgesehen: Für die Dozierenden ist es doch toll, ihren Studierenden etwas bieten zu können, das ihnen Spass macht.

Wie meistert man den Spagat zwischen den bildungspolitischen Anforderungen an eine Hochschule und dem Spass- und Unterhaltungsbedürfnis (potenzieller) Studierender?

Darjan Hil: Da muss man erst mal ins kalte Wasser springen. Ausprobieren, sonst verändert sich gar nichts. Wir haben uns entschieden, mit einem weissen Blatt Papier anzufangen, anstatt bereits Gegebenes wiederzuverwenden. Wir haben uns in den vergangenen Monaten intensiv mit Spielen im Hochschulkontext auseinandergesetzt, durchaus auch kritisch, das ergibt sich schon dadurch, dass am Projekt Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Wissenschaftsdisziplinen beteiligt sind. Die Spielumgebung soll Teil des Unterrichts sein und ihn auflockern. Das ist unser Ziel. Um dieses zu realisieren, haben wir engagierte Dozierende und engagierte Studierende aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen vor Augen, die bereit sind, diesen neuen Weg mit uns zu gehen.

Spiel, Spass, Spannung
Ein Lernspiel-Projekt an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW

Ein interdisziplinäres Team der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW erforscht derzeit neue Ansätze, wie die Lehre an der FHNW durch eine Spielumgebung unterstützt werden kann. Bereits für Ende Jahr ist ein erster Prototyp geplant. Mit diesem Projekt forscht die FHNW am Puls der Zeit respektive auf einem Gebiet, dem – vor allem im Unternehmenskontext – grosses Potenzial zugeschrieben wird. Gamification lautet das Stichwort. Gemäss dem Marktforschungsinstitut Gartner werden 2015 weltweit mehr als die Hälfte der Unternehmen spielerische Elemente verwenden um Innovationen anzustossen.
Blog der FHNW zum Thema "Spiele im Hochschulkontext": www.gamifyu.org

ZU DEN PERSONEN
Prof. Dr. Rolf Dornberger leitet das Institut für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule für Wirtschaft der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW und ist Professor für Wirtschaftsinformatik. Seine Themenschwerpunkte sind Innovations- und Technologiemanagement, Computational Intelligence, Optimierung sowie Software-, Web- und Systemengineering.

Darjan Hil hat Wirtschaftsinformatik und Visuelle Kommunikation studiert und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftsinformatik FHNW. Seine Themenschwerpunkte sind neue visuelle Konzepte für die Bereiche Kommunikation, Information und Daten im Unterricht, in Projekten sowie im Management. Er leitet das Lernspiel-Projekt der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW operativ.

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Rolf Dornberger und Darjan Hil
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Entwurf der Spieloberfläche, 2013 (c) Strategische Initiative Simulated Reality, FHNW