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Onlineportale und iPhone-Apps des ETH-Spin-off «Ben Energy» entlohnen Konsumenten fürs Stromsparen und lehren den effizienten Umgang mit Energie. Zurzeit entwickelt das Jungunternehmen ein Portal für einen grossen Schweizer Energieversorger.

In ganz Europa laufen derzeit Pilotprojekte mit sogenannten Smart Meters. Stromkonsumenten sollen durch unmittelbare Anzeige ihres Stromverbrauchs und Hinweisen zu Sparmöglichkeiten – am Gerät selbst oder übers Internet – dazu gebracht werden, bewusster mit den verfügbaren Ressourcen umzugehen. Eine gute Sache, hätte sie nicht einen bedeutenden Haken: Die tollen Funktionen der Smart Meters werden von den meisten damit ausgestatteten Haushalten ignoriert. In den ersten europäischen Pilotversuchen lagen die Einsparungen zwischen zwei und vier Prozent – keine glänzende Ausbeute in Bezug auf den beträchtlichen organisatorischen und infrastrukturellen Aufwand.

Kampf um Aufmerksamkeit der Kunden
«Diese Projekte wurden meist aus einer sehr technischen Perspektive angegangen», sagt Thorsten Staake, Leiter des «Bits to Energy Lab» und Mitbegründer des Spin-off «Ben Energy». Wer die erhobenen Daten den Kunden in komplizierten Diagrammen und in für Laien nichtssagenden Grössenordnungen präsentiert, müsse sich nicht über fehlendes Kundeninteresse wundern, hält Staake fest und ergänzt: «Heute konkurrieren tausende von tollen Internetseiten und iPhone-Apps um unsere Aufmerksamkeit. Will man Kunden zum Stromsparen animieren, müssen sie einen persönlichen Gewinn daraus ziehen können.» Das Bits to Energy Lab will seine Systeme deshalb vom Nutzer aus denken und stellt die Benutzerfreundlichkeit sowie die Motivation zum Mitmachen ins Zentrum seiner Entwicklungen.

Ein erstes entsprechendes Forschungsprojekt hat das Labor mit dem österreichischen Stromproduzenten VKW umgesetzt. Staake und seine Kollegen entwickelten und programmierten die Onlineplattform «Velix». VKW animierte seine Kunden dazu, ihren Stromverbrauch auf dem Portal einzutragen. Wer dies zweimal machte, konnte sich ein Willkommensgeschenk, wie iTunes-Gutscheine oder einen Beitrag an ein wohltätiges Projekt, aussuchen. Velix gibt den Nutzern ein sofortiges Feedback: Zum Beispiel über den eigenen Verbrauch verglichen mit den anderen Strombezügern in der Region oder zu einfachen Massnahmen zum Stromsparen. Je mehr Informationen die Konsumenten Velix über das eigene Verhalten zur Verfügung stellen, desto ausführlicher und präziser wird auch das Feedback. Gleichzeitig sammeln die Benutzer weitere Punkte, die wiederum gegen Geschenke eingelöst werden können.

Spiele für mehr Energieeffizienz
Um die Leute möglichst lange im Portal zu halten, bedienten sich die Wissenschaftler des Bits to Energy Lab Erkenntnissen aus der Verhaltensökonomie, der Psychologie und der Computerspiel-Industrie. Smileys zeigen dem Nutzer zum Beispiel auf einen Blick, ob sich ein bestimmtes Verhalten positiv oder negativ auf den Stromverbrauch auswirkt. Oder in Spielen kann man durch konsequentes Ausschalten von Stand-by-Geräten einen virtuellen Stromzähler zum Schlafen bringen – alles wesentlich intuitiver und ansprechender als eine Kurve auf einem x/y-Diagramm mit allerlei abstrakten Zahlen. Das Ergebnis: Rund 500 Besucher nutzen die Webseite pro Tag und die Sensibilisierung führte zu einer Stromeinsparung von rund 3.5 Prozent. «Das hört sich im ersten Augenblick nicht nach viel an», sagt Staake. «Aber wenn man bedenkt, dass die wesentlich aufwändigere und kostspieligere Einführung von Smart Meters zu einer Einsparung von lediglich vier Prozent führte, so ist unser Erfolg beträchtlich.»

Aufgrund des Erfolgs von Velix entschieden sich Thorsten Staake und Jan Marckhoff für die Gründung des Spin-off «Ben Energy». «Wir haben das ganze System nochmals neu programmiert, damit das Design ansprechender und die Bedienung intuitiver werden», erzählt Marckhoff, heute CEO des Spin-off. Das kommerzielle System beruht auf einer adaptiven Software, die vorhandene Kundendaten sowie durch Nutzerverhalten neu generierte Informationen laufend auswertet und sowohl Inhalt als auch Darstellung an das Verhalten der Nutzer anpasst. Diese zentrale «Efficiency Engine» kann über das Onlineportal eine iPhone- oder iPad-App abgerufen und mit eigenen Daten gefüttert werden. In Zukunft könnten auch Smart Meter in den Haushalten daran angebunden werden, die aktuelle Daten automatisch an die «Efficiency Engine» senden.

Sparen lohnt sich auch für Stromproduzenten
Ben Energy will vor allem drei Kundengruppen ansprechen: Stromproduzenten, Energie-Verbünde und Distributoren, wie zum Beispiel Smart Meter-Hersteller, die ihre Produkte mit einem Onlineportal ergänzen wollen. Doch weshalb sollte gerade die erste Zielgruppe, die Stromproduzenten, dafür zahlen, dass ihre Kunden weniger Strom einkaufen? «Wir erwarten, dass Energieversorger in Zukunft vom Staat für Energieeffizienz-Anstrengungen entlohnt werden», erklärt Marckhoff. Er hofft, dass sich Unternehmen künftig die Zeit, die ihre Kunden auf dem Portal verbringen, als Energieberatung anrechnen lassen können. Oder sie profitieren von Energieeinsparungen durch den Handel von sogenannten «Weissen Zertifikaten» – ähnlich dem Klimakompensations-System beim CO2. Entsprechende Tendenzen zeichnen sich bereits ab: Nach der europäischen Energiedienstleistungsrichtlinie sind Energieversorger heute verpflichtet, ihren Kunden Energiedienstleistungen, zum Beispiel Energieberatung, anzubieten. Als ersten Schweizer Kunden hat der ETH-Spin-off einen der drei grossen hiesigen Energieversorger gewonnen. Zurzeit entwickelt Marckhoffs Team für diesen ein individualisiertes Portal für rund eine Million Kunden aus 400 Gemeinden. Das Portal soll noch im September dieses Jahres aufgeschaltet werden – dann wird auch bekannt, welches Schweizer Unternehmen Pionier beim «Stromsparen 2.0» ist.

Bits to Energy Lab
Das «Bits to Energy Lab» ist eine Forschungskooperation zwischen dem Lehrstuhl für Informationsmanagement und dem Institut für verteilte Systeme der ETH Zürich sowie dem Institut für Technologiemanagement der Universität St. Gallen. Das Labor kombiniert Konzepte aus IT, Psychologie und Marketing, um Dienstleistungen für mehr Energieeffizienz attraktiver zu gestalten. Elf Forscher arbeiten interdisziplinär und mit studentischer Unterstützung an neuen Energie-Dienstleistungen und -Feedbacktechnologien. Das Labor ist in engem Kontakt mit Industriepartnern, um Innovationen so rasch wie möglich in den Markt einzuführen. Bislang sind dem Bits to Energy Lab zwei Spin-off entsprungen: «amphiro» entwickelte ein Daumen-grosses Messmodul, das zwischen Wasserhahn und Duschbrause gesteckt wird und dem Nutzer ein unmittelbares Feedback zum Wasserverbrauch gibt. «Ben Energy» entwickelt Energieeffizienz- und Smart-Grid-Software zur Motivation von energieeffizientem Verhalten von Privatkunden.



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