Software entwickeln... (Bild:OST)

Vor allem für kleine und mittelgrosse Unternehmen ist der aktuelle "Low Code"-Trend im Softwarebereich interessant. Anstatt mit tausenden von Textzeilen ein Programm zu erstellen, können sie Software aus vorgefertigten Bausteinen selbstständig erstellen. Den zielgerichteten Einsatz derartiger "Low-Code-" oder gar "No-Code-"Plattformen will die OST (Ostschweizer Fachhochschule) im Sinne eines Leuchtturm-Projekts fördern. Als erste Schweizer Hochschule startet die OST mit einem interdisziplinären "Lowcode-Lab".

Der Blick zurück zeigt, dass bis in die Mitte der 1990er-Jahre das Internet praktisch nur von Experten genutzt wurde. Heute ist defacto jeder konstant online, die Nutzung des Internets ist zum Alltag geworden. Viele Menschen können mittlerweile eigene Internet-Seiten gestalten, der Aufbau eines Online-Shops ist heute auch für "Normalbürger" problemlos möglich. Die Vorstellung, dass in absehbarer Zeit viele Menschen ihre eigene Software entwickeln können, ist vor diesem Hintergrund alles andere als utopisch.

Baukasten für die Programmierung

Tatsächlich kann sie schon heute mit Hilfe sogenannter Low-Code-Plattformen realisiert werden. Diese Plattformen erlauben es Anwendern, mit vordefinierten Bausteinen schnell und einfach Softwareapplikationen zu gestalten, ohne den Freiraum für individuelle Programmierung bedeutend einzuschränken. Bildlich gesprochen nutzen Entwickler eine Low-Code-Plattform wie einen Baukasten mit verschiedensten virtuellen Legosteinen, die sich nach Wunsch zusammenstellen ("No Code") oder mit nur wenig zusätzlichen Programmieraufwand ("Low Code") auf individuelle Weise verbinden lassen. "Der eigentliche Programmcode, der für die Ausführung der Anwendung notwendig ist, wird automatisch durch die Low-Code-Plattform erzeugt. Mit wenig Aufwand kann die Anwendung dann ‹ausgerollt› und auf unterschiedlichen Endgeräten zur Verfügung gestellt werden" erklärt Christoph Baumgarten, Dozent für Wirtschaftsinformatik an der OST. Und er ergänzt: "Eng verbunden mit den Low-Code-Plattformen ist der Begriff ‚Citizen Developer‘. Dieser bezeichnet IT-affine Mitarbeitende, die ohne klassische Programmierkenntnisse für ihren Fachbereich professionelle Anwendungen entwickeln können."

Grosses Marktpotenzial

In Low-Code-Plattformen und Citizen Development steckt viel Potenzial: Viele Unternehmen stehen vor der Herausforderung, Prozesse und Produkte zu digitalisieren. "Bei der Umsetzung von Digitalisierungsvorhaben erweisen sich die betrieblichen IT-Systeme häufig als limitierende Faktoren, denn für disruptive Geschäftsmodelle oder neuartige Geschäftsprozesse gibt es einfach noch keine fertigen Software-Lösungen. So wächst der Druck auf die Unternehmen, individuelle Lösungen möglichst schnell selbst entwickeln zu müssen. Und dies bei einem sich verschärfenden Mangel an Softwareingenieurinnen und -ingenieuren" konstatiert Rainer Endl, Professor und Studiengangsleiter des Masterstudiengangs in Wirtschaftsinformatik an der OST. Entsprechend schätzt das US-Marktforschungsinstitut Forrester das Marktvolumen im Bereich Low-Code-Entwicklungsplattformen bereits für das Jahr 2022 auf 21 Milliarden US-Dollar. Eine in Deutschland 2020 durchgeführte Studie zeigt, dass rund 70 Prozent der befragten IT-Experten die vereinfachte, beschleunigte Software-Entwicklung mit Low Code bereits in ihrer Organisation verwenden, 60 Prozent sehen in Low Code und Citizen Development einen Trend, den ihr Unternehmen auf keinen Fall verpassen sollte.

Im Sinne eines Leuchtturm-Projekts hat die OST nun unter Leitung von Rainer Endl und Christoph Baumgarten das "Lowcodelab@OST" aufgebaut. Sie erklären die Idee dieses interdisziplinären Projekts: "‹Das ‹Lowcodelab@OST› versteht sich als Kompetenzzentrum im Bereich Low Code. Es zieht die Aktivitäten der OST in diesem Themenkomplex zusammen, kanalisiert und verdichtet sie. Die OST wird mit dem Lowcodelab einerseits als kompetente Forschungspartnerin für Low-Code-basierte Digitalisierung positioniert. Andererseits bietet das ‹Lab› einen Transfer von und zu der Praxis: So werden Schulungen für Citizen Development sowie neutrale Beratung bei Auswahl und Einführung von LowCode-Plattformen angeboten. Unser interdisziplinärer Ansatz ermöglicht dabei die Unterstützung von Institutionen unterschiedlicher Branchen, z.B. auch im Gesundheitswesen oder im öffentlich-rechtlichen Bereich." Innerhalb der OST ist das "Lab" organisatorisch am IPM, Institut für Informations- und Prozessmanagement, verankert. Dessen Leiterin, Pascale Baer-Baldauf, sagt: "Die OST erhält mit dem Lowcodelab@OST im deutschsprachigen akademischen Umfeld ein weiteres Alleinstellungsmerkmal, das einen wichtigen Megatrend der Digitalisierung adressiert."

Community entscheidend

"Jenseits des Marketings der Plattform-Anbieter sind zahlreiche wichtige Fragen rund um Low Code entweder gar nicht oder nicht zufriedenstellend beantwortet", stellt Rainer Endl fest. "So sollten Citizen Developer beispielsweise ‹IT-affin› sein", ergänzt Christoph Baumgarten. "Was genau unter IT-Affinität zu verstehen ist, d.h. welche Fähigkeiten ein Citizen Developer wirklich haben muss und wie ein für Citizen Developer optimaler Prozess zur Softwareentwicklung auszusehen hat, ist aber keineswegs klar." Auch würden viele Unternehmen feststellen, dass Low-Code in den Fachbereichen sehr gut ankomme. Dadurch könne, zum Leidwesen der zentralen ICT, rasch ein Wildwuchs von Softwareanwendungen entstehen, der schwer kontrollierbar sei und so zum Problem für die Stabilität des IT-Betriebs oder der Datensicherheit werden könne. Die IT-Bereiche müssten sich daher neue Strukturen und Prozesse in der Softwareentwicklung überlegen, mit denen die Potenziale von Low Code genutzt, die Nachteile aber vermieden werden könnten. Auch müssten Strukturen geschaffen werden, mit deren Hilfe aktuelle und potenzielle Citizen Developer ihr Wissen austauschen und weitergeben könnten. "Wenn ich Low-Code-Plattformen erfolgreich einsetzen möchte, sollte ich darum herum eine Community aufbauen", empfiehlt Baumgarten. Diese Empfehlung wolle das Lowcodelab@OST inner- und ausserhalb der OST mit dem Ziel umsetzen, die Vernetzung und den Wissensaustausch zum Thema Low Code zu fördern, heisst es.

Partnerschaften im Visier

Um den Transfer von und zur Praxis nachhaltig sicherzustellen, gehe das Lowcodlab@OST gezielt Partnerschaften mit Unternehmen im Bereich Low Code ein, heisst es weiters. Denn je besser diese in den Forschungsprozess eingebunden werden könnten, desto schneller flössen die Ergebnisse auch wieder an Wirtschaft und Gesellschaft zurück. Entsprechend verfolge man mit diesen Partnerschaften folgende Ziele:
- Die Bekanntheit von Low-Code sowie dessen Vorteile und Eigenschaftendurch Veranstaltungen in der Schweiz und der gesamten DACH-Region steigern und den Austausch zwischen den verschiedenen Einrichtungen fördern.
- Wirtschaft und Wissenschaft näher zusammenbringen, in dem z.B. Projekt- oder Abschlussarbeiten von Studierenden gefördert werden.G emeinsam sollen relevante Fragestellungen für die Industrie zum Thema Low-Code bearbeitet werden. Die Partnerunternehmen bringen aus der Praxis Themenvorschläge für Forschungs- oder studentische Arbeiten ein, deren Ergebnisse dann allen Beteiligten zur Verfügung stehen.
- Gemeinsame Forschung zu Low Code-Potenzialen und damit verbundenen Heraus- bzw. Anforderungen.

Gemäss einem Communiqué konnte die OST bislang Partnerschaften mit den Unternehmen Adesso (www.adesso.ch) und MINT-Process Solutions (www.mint-processes.ch) vereinbaren, wobei letztgenanntes Unternehmen von Absolventen der OST gegründet wurde. Weitere Informationen sind unter https://www.ost.ch/de/forschung-und-dienstleistungen/interdisziplinaere-... verfügbar. Über https://www.linkedin.com/showcase/81718909 wird laufend über das "Lab" berichtet.



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