Das auf SAP-Lösungen ausgerichtete Retail-Beratungshaus Retailsolutions mit Sitz im innerschweizerischen Zug ist längst global unterwegs und verfügt heute neben der Schweiz auch über eigene Standorte in Deutschland, Österreich, Schweden, Spanien, Rumänien, dem Vereinigten Königreich, Südafrika und den USA. Kürzlich feierte das Unternehmen seinen 20. Geburtstag. ICTkommunikation führte aus diesem Anlass ein Gespräch mit Mitgründer und CEO Philip Rohe über die Geschichte, die aktuelle Befindlichkeit, die mittelfristige Strategie und die aktuell grössten Herausforderungen für Retailsolutions.
Interview: Karlheinz Pichler
ICTkommunikation: Sie haben Retailsolutions vor zwanzig Jahren zusammen mit einer Handvoll anderer SAP-Retail-Experten als SAP-Spin-off im innerschweizerischen Zug aus der Taufe gehoben. Was für Gründe waren damals ausschlaggebend für die Gründung? Hatte SAP die Retail-Branche vernachlässigt? Hatte die Branche Probleme mit der Einführung von SAP? Gab es Beratungsdefizite?
Philipp Rohe: Nein im Gegenteil, die Retail-Branche lief sehr gut, gerade in der Schweiz. Wir sind Jahre zuvor aus Deutschland in die Schweiz entsendet worden, um als Spezialisten die Branche zu unterstützen. In Deutschland hatten wir eine ganzheitliche Verantwortung für die Kunden, Mitarbeiter und Projekte – und so agierten wir als Einheit der SAP Schweiz am Markt.
SAP nahm dann Umstrukturierungen vor, von denen wir auch betroffen waren: Lizenzen, Services, Projektmanagement und Mitarbeiterführung waren in unterschiedlichen Organisationseinheiten, mit unterschiedlichen Zielen organisiert. Wir sollten uns also entscheiden, in welchem Bereich wir als Personen zugeordnet sein sollten. Das war der Trigger für die Selbstständigkeit – Anwenderunternehmen vollumfänglich in den Projekten zu betreuen.
ICTkommunikation: Wie waren die ersten Jahre? Konnten Sie und Ihr Team als ehemalige SAP-Mitarbeitende direkt Kunden von SAP übernehmen?
Philipp Rohe: Im Projektgeschäft ist vieles abhängig von einzelnen Personen und so hatten wir das Glück, unsere Kunden mitnehmen zu können. Das heisst nicht, dass SAP dort nicht mehr tätig war, aber unsere Mannschaft konnten wir in den ersten Jahren gut auslasten.
ICTkommunikation: Haben Sie mit dieser Fokussierung auf die Retailbranche sinnbildlich in ein Wespennest gegriffen? Immerhin expandierte Retailsolutions bereits 2007 nach Deutschland.
Philipp Rohe: Wir hatten damals als SAP-Spezialisten schon Projekte in Deutschland und auch Nordics unterstützt und konnten auch dort die Kunden weiter betreuen. Aber auch mit SAP haben wir weiterhin sehr gut zusammengearbeitet und wurden deshalb auch explizit in ihre Projekte zur Unterstützung engagiert.
ICTkommunikation: Mittlerweile unterhalten Sie Niederlassungen in zahlreichen anderen Ländern, von Skandinavien bis in die Vereinigten Staaten, von Rumänien bis zu Grossbritannien, von Österreich bis zu Spanien. Verleiht Ihnen die Ausrichtung auf die Retailbranche so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal? Gibt es in diesen anderen Ländern keine spezialisierten SAP-Anbieter für Retailer wie Ihr Unternehmen?
Philipp Rohe: Wir haben uns in der Branche einen Namen gemacht, da wir viele Projekte im Retail sehr erfolgreich umgesetzt haben und auch durch die engen Kontakte zu SAP immer auf dem neuesten Stand der Entwicklungen sind. Aber, und hier möchte ich unseren Schweizer Kunden danken, wir konnten aufgrund deren Innovationskraft die neuen SAP-Produkte auch oft als erstes Beratungsunternehmen miteinführen und daraus lernen. In den Ländern ausserhalb Europas gibt es oft keine industriespezifische SAP-Expertise. Hier konnten wir wieder von unserem guten Ruf in der Branche profitieren.
ICTkommunikation: SAP versucht ja schon seit längerem, die SAP-Anwenderunternehmen zum Wechsel in die Cloud zu bewegen und lockt diese mit verschiedenen Programmen wie RISE with SAP oder Grow with SAP. An welchem Punkt steht die Retailbranche in Bezug auf die Migration ihrer On-Premise-Lösungen oder Verlagerung ihrer Standardanwendungen in die Private oder Public Cloud aktuell?
Philipp Rohe: Der Stand der Cloud-Migration in der Retailbranche ist aktuell durch eine deutliche Zurückhaltung geprägt, insbesondere bei Grossunternehmen und langjährigen Bestandskunden mit komplexen SAP-On-Premise-Lösungen. Die Programme „RISE with SAP“ und „Grow with SAP“ bieten zwar gezielte Optionen für die Migration unterschiedlicher Unternehmensgrößen, doch viele Handelsunternehmen haben grosse Mengen an kundenspezifischem Custom-Code, was die Überführung in die Cloud erschwert und oft immense Kosten verursacht. Die Migration in die SAP Cloud im Retail-Sektor erfolgt deshalb vorwiegend schrittweise und unter Berücksichtigung bestehender Anpassungen. Für Unternehmen mit vielen Individualentwicklungen bleibt die Private Cloud das bevorzugte Modell, während die Public Cloud erst bei Standardisierung, geringerer Komplexität und attraktiveren Kostenmodellen an Bedeutung gewinnt.
ICTkommunikation: SAP mit Sitz in Walldorf investiert viel Geld in die Aufrüstung ihrer Lösungen mit künstlicher Intelligenz. Wie hoch ist der Reifegrad bei Retail-Unternehmen derzeit, was die Einführung von KI in die Unternehmensprozessabläufe anbelangt?
Philipp Rohe: Viele Retailer machen sich Gedanken, wie sie KI in ihren Prozessen einsetzen. Und hier ist KI eher ein Schlagwort. Die Retailer setzen seit Jahren Tools ein, um ihre Prozesse zu automatisieren beziehungsweise Prognosen aus Datenbeständen abzuleiten und sind hier auch schon sehr weit – das kann man auch als KI bezeichnen. Anwendungen wie LLM kommen auch langsam in den Einsatz, meist um interne Prozesse zu optimieren. SAP ist hier aber etwas spät unterwegs und viele Unternehmen haben schon begonnen, ihre KI-Projekte auf anderen Plattformen umzusetzen. Aus meiner Sicht kann SAP dies durch echte, integrierte KI-gestützte Prozesse aufholen.
ICTkommunikation: Auf welchen Gebieten sind Ihre Dienste als SAP-Beratungshaus momentan am meisten gefragt?
Philipp Rohe: Wir arbeiten aktuell sehr stark in Transformationsprojekten, also dort wo SAP ECC durch SAP S/4Hana abgelöst wird oder werden soll. Daneben sind wir stark in den SAP Replenishment-Prozessen, wo auch erste KI-Anwendungen integriert sind und rund um das SAP CAR (Customer Activity Repository) mit all den Planungsanwendungen. Daneben haben wir eine eigene Suite entwickelt um die Filialprozesse vollumfänglich zu unterstützen. Seit diesem Jahr haben wir uns auch dem Thema Fashion verstärkt angenommen und eine spezialisierte Einheit aufgebaut, welche sehr gut im Markt positioniert ist.
ICTkommunikation: Das Jahr 2025 neigt sich dem Ende zu. Wenn Sie ein Resümee ziehen: Wie gut ist es gelaufen? Wie haben sich die widrigen äusseren Bedingungen wie etwa die Trump’sche Zollpolitik, die Kriege in der Ukraine und im Gaza-Streifen, die Inflation oder der Arbeitskräftemangel auf Ihr Business ausgewirkt? Wirken sich Handelshemmnisse und Lieferkettenprobleme auf Ihr Geschäft aus? Ist Retailsolutions unbeschädigt durch solche Untiefen gekommen?
Philipp Rohe: 2025 war tatsächlich ein schwieriges Jahr. Aber nicht die Unsicherheiten in der Politik haben uns gebremst, es sind eher die Unsicherheiten der Kunden in Bezug auf die SAP-Strategie und deren neue Cloud-Produkte, die uns als SAP-Retail-Beratungshaus Probleme machen. Viele Kunden sind aktuell zurückhaltend mit neuen Projekten und warten auf die Integrationsbasis der SAP-eigenen Cloudanwendungen. Mit der SAP BDC (Business Data Cloud) als Klammer soll das ja jetzt kommen, aber wie immer mit den Handelsspezifika erst etwas später. Weiterhin drängen jetzt gerade bei den grossen Kunden auch grosse Beratungshäuser in den Retail-Markt, die mit Offshore-Ressourcen grosse Projekte gewinnen – langfristig allerdings in den meisten Fällen nicht erfolgreich. Wir haben jetzt sogar eine Niederlassung in den USA gegründet um den dortigen Retailmarkt anzugehen.
ICTkommunikation: Wenn Sie voraus blicken: Wo sehen Sie für Retailsolutions sowie die SAP-Anwenderunternehmen im Retail-Sektor mittelfristig die grössten Herausforderungen?
Philipp Rohe: Aus meiner Sicht entwickelt sich SAP zusehends zum Plattformanbieter. Clean Core ist Strategie, was ich im Hinblick auf die Supportleistungen und Kosten von SAP durchaus nachvollziehen kann. Um diesen Clean Core sollen Cloud-Lösungen positioniert werden, welche im Industriebereich stark von den Partnern vorangetrieben werden sollen. Die Integration in den Core stellen die BDC und die BTP (Business Technology Platform) sicher. Das bedeutet für SAP, dass sie sich neben Microsoft, Google und im Handel neu auch gegen Oracle behaupten müssen. Für Beratungspartner wiederum hat es zur Folge, dass sie stärker in die Softwareentwicklung einsteigen müssen. Das ist aber ein ganz neues Geschäftsmodell und nur mit billigen Offshore-Ressourcen rentabel.
Ad Persona: Philipp Rohe
Philipp Rohe hat im Jahr 2005 Retailsolutions als Spin-off von SAP mitbegründet. Als geschäftsführender Gesellschafter verantwortet er heute die Bereiche Vertrieb und Marketing. Da ihm der persönliche Kundenkontakt am Herzen liegt, ist er zudem weiterhin im Projektmanagement und in der Strategieberatung aktiv.
Ursprünglich absolvierte Rohe ein Maschinenbau-Studium in Duisburg. Diese technischen Kenntnisse erweiterte er durch ein zweites Studium des Wirtschaftsingenieurwesens in Mannheim und Ludwigshafen um betriebswirtschaftliches Know-how.
Seinen beruflichen Werdegang startete Philipp Rohe 1995 als Controller bei Mercedes Benz. Ab 1998 war er für SAP als Consulting Manager zunächst im Bereich Retail Solutions in Deutschland, später in der Schweiz tätig. Bis zum Jahr 2007 leitete er zahlreiche Projekte bei namhaften Handelsunternehmen.


