Brauchen Händler Dialogsysteme wie Alexa oder Chatbots? (Grafik: Pixabay/ Mohamed Hassan)

Sprachassistenten haben das Potential, den E-Commerce umzukrempeln. Auch auf die textbasierten Chatbots setzt die Handelsbranche grosse Hoffnungen. Welche Rolle können diese disruptiven Technologien aber tatsächlich spielen und wo liegen ihre Grenzen? Fragen, die für den künftigen Erfolg von Handelsunternehmen von zentraler Bedeutung sind.

Gastbeitrag von Rainer Volland, Managing Partner bei Elaboratum, und Marco Schulz, Director Elaboratum Suisse

Chatbots und Sprachassistenten werden häufig in einem Atemzug genannt. Dabei handelt es sich um völlig verschiedene Systeme. Der Unterschied liegt nicht nur in der jeweiligen Ein- und Ausgabemethode – Text versus Sprache –, sondern auch in den Ökosystemen, in die beide eingebettet sind, und den damit einhergehenden Abhängigkeiten: Hier die eigene Website, der eigene Shop oder Social Media-Kanal, dort andere Ökosysteme wie Amazons Alexa, Apples Siri oder Googles Assistant. Die wichtigste Frage aber betrifft nicht die Unterschiede, sondern lautet vielmehr: In welchen Bereichen und für welche Handelsunternehmen machen diese Technologien Sinn?

Chatbots für Produktsuchen und Bestellungen

Chatbots eignen sich bestens für die Produktsuche. Im Modebereich sind heute schon Bots im Einsatz, die fragen: Willst du dir mal ein Outfit anschauen? Um dann Fotos von Hosen, Hemden und Schuhen zu zeigen und die Auswahl zu verfeinern, je nachdem, was gefällt. Der Kunde muss also nicht, wie auf einer Website, selbst in Kategorien suchen. Wenn das amüsant und strukturiert gestaltet ist, kann das für ihn durchaus Mehrwert haben. Die Nutzer selbst sehen in der Produktbestellung den grössten Nutzen von Chatbots. Das zeigt eine aktuelle Studie, die Elaboratum Euisse zusammen mit der Digital-Agentur Dieproduktmacher unter mehr als 1.000 Schweizer Internetnutzerinnen und -nutzern durchgeführt hat.

Ab wann sich der Einsatz für Händler lohnt

Die Website eines Einzelfilialisten wird in der Regel zu wenige Besucher anziehen, um die Investition in einen Chatbot zu rechtfertigen. Für grössere Händler lohnt es sich, wenn der Bot auf der Website oder auf den Social Media-Kanälen, z. B. über Facebook Messenger, einfach und schnell Fragen zu Bestellungen, Rechnungen und Wunschlisten beantworten kann. Unternehmen, die beispielsweise ein externes Callcenter in Anspruch nehmen, können sich die Ersparnisse rasch ausrechnen, die sich ergeben, wenn durch den Chatbot-Einsatz 30 Prozent weniger Kunden anrufen.

Grundsätzlich stehen die Kunden Chatbots offen gegenüber. Die oben genannte Studie zeigte, dass sich über 60 Prozent der Schweizer Nutzer vorstellen können, einen Chatbot zu verwenden. Die elektronischen Helfer ersparen das Warten in telefonischen Warteschleifen sowie auf schriftliche Antworten auf Mailanfragen. Allerdings ist das Leistungsspektrum von Chatbots heute noch recht begrenzt. In ihrer einfachen Form reagieren sie auf Schlüsselbegriffe oder Wortkombinationen mit bestimmten Antworten, informieren etwa beim Stichwort "Öffnungszeiten" über Wochentage und Uhrzeiten. Das geht schnell und erspart den Kunden unter anderem das Durchsuchen langer FAQ-Menüs. Vorausgesetzt, die Sache funktioniert und der Bot versteht die Anfrage richtig. Genau da liegt das Problem: Die Maschine kennt nur, was ihr antrainiert wurde. Sprache ist aber so variantenreich, dass besonders bei komplizierten Texteingaben häufig Missverständnisse aufkommen. Ein Chatbot jedoch, der nicht weiterweiss oder „dumme“ Antworten gibt, verärgert die Kunden. Deshalb sollte, wenn die Kommunikation mit dem Bot stockt, nahtlos ein Mensch übernehmen. Dafür gibt es Softwarelösungen, in die Bots bereits integriert sind. Entsprechende Systeme zu implementieren und zu trainieren, erfordert Aufwand und Budget. Davon sollten sich Handelsunternehmen aber nicht abschrecken lassen. Denn eines zeichnet sich jetzt schon ab: Chatbots werden in den nächsten Jahren zur Selbstverständlichkeit.

Geht es künftig noch ohne Alexa Skill?

Derzeit gilt der Einkauf per Stimme noch als Nischenthema. Doch die Sprachsteuerung verändert den E-Commerce in rasanter Geschwindigkeit. Und das in zweierlei Hinsicht: Händler müssen zum einen auf das veränderte Nutzerverhalten – schon bald wird die Mehrheit der Suchanfragen per Sprache abgesetzt – reagieren. Zum anderen spitzt sich die Wettbewerbssituation noch weiter zu. Denn Amazon dominiert den Markt bei smarten Lautsprechern und lenkt die Kundenanfragen über diesen Kanal beinahe konkurrenzlos. Für Händler wird es in Zukunft daher wichtig sein, Amazon-optimiert zu agieren. Denn einzelnen Händlern wird es sicher nicht möglich sein, ähnliche Eco-Systeme zur Sprachsteuerung aufzubauen. Bislang kann man mit Alexa nur bei Amazon einkaufen. Offen ist, ob Amazon zulässt, dass andere ihre Shops in die Alexa-Umgebung einbringen. Wenn, dann wären eigene Skills eine gute Möglichkeit, das eigene Produktsortiment über das Sprachrohr Amazon anzubieten. Fragt der Nutzer beispielsweise explizit nach den aktuellen Angeboten von "Jumbo", könnte der Händler über den eigenen Skill seine Produkte verkaufen. Bislang erhält der Kunde auf diese Frage zwar Informationen zu den Angeboten, kann diese aber nicht direkt über das System kaufen.

Voraussetzung: Markentreue und Vermarktung des Skills

Erfolgsvoraussetzung für einen eigenen, in Alexa eingebundenen Shop ist, dass die Händler bereits eine starke eigene Marke aufgebaut haben. Es muss dem Käufer also nicht nur um die Produkte gehen, sondern um die Markentreue und das Einkaufserlebnis bei einem ganz bestimmten Händler. Das liesse sich beispielsweise mittels weiterer Serviceleistungen, wie automatisierten digitalen Einkaufslisten, erreichen. Und: Der Skill muss umfangreich vermarktet werden. Schliesslich muss der Kunde zunächst erfahren, dass es diese Funktion überhaupt gibt. Hinzu kommt: Skills sind sehr erklärungsbedürftig. Den Skill Store kennen bislang nur die wenigsten. Der Vermarktungsaufwand ist also erheblich.

In der Zukunft: multimodale Interaktion

Die Zukunft dürfte der multimodalen Interaktion gehören. Amazon etwa bietet mit Echo Show zusätzlich zu seinem Alexa-Sprach-Interface ein Touch-Display an. Der Nutzer kann eine Interaktion starten, zum Beispiel auffordern: "Alexa, zeige mir blaue Sneaker von Adidas und Nike in Grösse 43". Das Ergebnis sieht er dann auf dem Display; dort kann er auch den Kaufvorgang abschliessen. Dies ist ein grosser Effizienzgewinn für den Kunden, da er nicht auf die entsprechenden Websites gehen, dort die Suche anstossen und danach etliche Treffer miteinander vergleichen muss. Klar ist: Wer den Suchalgorithmus besitzt, steuert den Markt – derzeit ist das Amazon. Bleibt zu hoffen, dass die Zugangswege zum Kunden so reglementiert werden, dass Händler nicht auf Gedeih und Verderb an den Konditionen der grossen Akteure hängen, wenn sie per Sprachassistenten Produkte anbieten wollen.

Momentan sinnvoller: Chatbots

Momentan sind Chatbots die naheliegendere Technologie für Händler, um mit Kunden in Kontakt zu treten. Sie hat den Vorteil, dass man sie sowohl auf der Website als auch im Messenger unterbringen kann. Chatbots ermöglichen, den Interaktionsstil stärker zu individualisieren und Reize bzw. Stilelemente non-verbaler Kommunikation vermehrt einzusetzen (z. B. Emoticons). Zusätzlich kann eine prägnantere, zu der Marke passendere Identität genutzt werden (z. B. durch Geschlecht oder visuelle Elemente, etwa ein markentypisches Bild des Bots). Bei der Erstellung eines Amazon Skills sind dagegen momentan weniger Anpassungen möglich.

Vor allem in Kombination mit Sprachsteuerung könnten Chatbots maximalen Komfort für den Kunden bieten. Denn mit Sprache kommuniziert man über inhaltlich einfache Dinge. Chatbots dagegen können komplexere Situationen abbilden, weil der Nutzer die Möglichkeit hat, Antworten zu lesen und sich dabei Zeit zu nehmen.