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Das Potenzial von Cloud Computing schätzen Analysten wie etwa Gartner ähnlich hoch ein wie das der industriellen Revolution. Allerdings gibt es heute wie damals auch Irrwege und Misserfolge: Unternehmen gehen ein hohes Risiko ein, wenn sie Cloud Computing ohne die notwendigen Voraussetzungen nutzen.

Wenn die IT noch nicht ausreichend industrialisiert ist, ist gar keine Cloud manchmal die bessere Lösung.

Flexibel und kostensparend: Cloud Computing soll Antworten auf viele derzeitige IT-Herausforderungen geben und ist deshalb mittlerweile vom Hype zum Fakt geworden. Ein Fakt, der jedoch auch hoch riskant sein kann. So verlor zum Beispiel ein Mobilfunkanbieter unwiederbringlich Daten, Mails, Kontakte, Termine und Fotos von Kunden. Was war passiert? Die Kunden des Unternehmens und Benutzer eines Smartphones speicherten ihre Daten nicht auf ihrem Gerät, sondern in einer Cloud, die der Mobilfunkanbieter nutzte. Nach einem System-Blackout des Cloud-Providers zeigte sich, dass es kein sinnvolles Backup gab. Die Folge: Hunderttausende Kunden sind wütend, das Image des Unternehmens angekratzt. Die Cloud kann also durchaus Risiken bergen. Die Frage ist, wie sich ein solches Fiasko verhindern und das Risiko beherrschbar machen lässt.

Ein erfolgversprechender Ansatz kann darin bestehen, die sogenannte Industrialisierung der IT eines Unternehmens konsequent voranzutreiben und als notwendige Vorbedingung der Cloud-Verwendung aufzufassen. Sie funktioniert aber nur dann effizient und effektiv, wenn sie diesen industriellen Grundsätzen folgt. Diese Erkenntnis lässt sich anhand des Beispiels einer industriellen Automobilproduktion erläutern: In der Vergangenheit bestimmten dort handwerkliche Produktionen und einzelne Manufakturen den Markt, bis sich Hersteller auf den Weg der Industrialisierung begaben. Angefangen bei der strikten Aufgabenteilung, der Standardisierung einzelner Schritte und der sukzessiven Automatisierung wurde so ein umfassender Strukturwandel eingeleitet, der die Produktion fundamental veränderte. Die permanente Standardisierung aller Einzelteile, von der Lichtmaschine bis zu den Reifen, führte zu einer immer ungebundeneren Zuliefererauswahl, einer höheren Flexibilität und Prozessautomatisierung – sowohl bei der Erstellung als auch beim Zusammenfügen einzelner Komponenten. Das industrielle Vorgehen führte zu einer höheren Produktivität und zu Kostensenkungen bei gleichzeitigem Anstieg der Produktqualität.

Der gesamte Prozess rund um die Produktentwicklung und -wartung, seien es Autos oder IT-Produkte, kann also aus der Sicht der Industrialisierung beschrieben werden. Dabei sind insbesondere vier Kriterien relevant:
- Modularisierung und Wiederverwendung (hierzu gehört auch die Aufgabenteilung)
- Standardisierung
- Automatisierung
- Kontinuierliche Verbesserung

Die Reihenfolge der Kriterien spannt dabei gleichzeitig einen Industrialisierungspfad auf: Ohne Modularisierung der Arbeitsschritte kann ein Unternehmen nur als ein grosser monolithischer Block gesehen werden. Erst die durch Dekomposition in Einzelschritte erarbeitete Modularisierung erlaubt Wiederverwendung (z.B. von Ressourcen, Prozessen, Werkzeugen usw.). Die in der Modularisierung aufgeführten Komponenten sind dann auch Vorbedingung einer Standardisierung. Diese wiederum ist Ausgangslage der Automatisierung, da sich nur das automatisieren lässt, was nach fest vorgelegten Standards (durchaus auch rein interne) funktioniert. Die kontinuierliche Verbesserung selbst fusst auf der Automatisierung, da nur dann Kennzahlen automatisierter Schritte als Ausgangsbasis vorhanden sind.
Diese vier Kriterien bauen also aufeinander auf und sind streng sequenziell zu durchschreiten. Sind sie nur unvollständig vollzogen, kann es zu Problemen wie bei dem geschilderten Mobilfunkbeispiel kommen. Dort hatten der Mobilfunk- und der Cloud-Provider offensichtlich die Notwendigkeit eines „Backups“ für das Wiederherstellen der Daten nach einem Systemausfall übersehen. Die Modularisierung der Gesamtaufgabe (Schritt 1 der Industrialisierung) war demnach offensichtlich fehlerhaft, da davon ausgegangen werden kann, dass der Prozessschritt Backup durchaus im Unternehmen bekannt ist.

Quality Gates der Industrialisierung

Auf dem Weg zur Cloud können die vier skizzierten Kriterien den Unternehmen als sogenannte „Quality Gates“ dienen: Durch geeignete Fragen an diesen Checkpoints können sie prüfen, ob ihre (IT-)Organisation die notwendigen Kriterien bereits erfüllt. Wer entscheidende Fragen beim Passieren der „Quality Gates“ mit „Nein“ beantwortet, sollte mit Cloud Computing lieber noch warten und zunächst in die Industrialisierung der eigenen IT investieren. Werden alle „Quality Gates“ jedoch erfolgreich durchlaufen und alle Kriterien erreicht, kann über den Einsatz der Cloud nachgedacht werden. Im Automobilbereich ist dies bereits realisiert, d.h. ein Grossteil der zuzuliefernden Teile wird on demand bestellt, wobei ein Netz von Zulieferern die zeitgemässe Lieferung sicherstellt. Bezogen auf die IT bedeutet dies heute arbeitsteiliges Erstellen, Prüfen und Betreiben von Software durch unterschiedliche Unternehmen, die irgendwo auf der Erde ansässig sind und von dort die Dienste erbringen.
Cloud Computing enthält zusätzlich zur bisher beschriebenen Industrialisierung als Vollendung noch einige Charakteristika:
- Der Ort der Leistungserbringung spielt nur eine untergeordnete Rolle (aus datenschutzrechtlichen Gründen spielt sie aber sehr wohl noch eine).
- Die Bezahlung erfolgt nur bei Benutzung (pay per use), d.h., wenn nichts bestellt wird, muss auch nichts bezahlt werden.
- Die Leistungserbringung skaliert (innerhalb bestimmter Rahmen), d.h. selbst bei Hochlastanfragen wird die Lieferung garantiert.
So positiv diese zu erreichenden Charakteristika der Cloud auch sind, sie sind erst der Lohn langer Arbeit. Erfüllt ein Unternehmen die vorherigen Industrialisierungskriterien nicht und springt direkt „in die Cloud“, fällt es tief – denn durch die fehlende Basis sind die Anforderungen viel zu monolithisch, überhaupt nicht standardisiert (meist noch nicht einmal innerhalb eines Unternehmens), damit auch nur mit enormem Aufwand automatisierbar und aufgrund der Nicht-Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Variationen aber auch nicht systematisch verbesserbar.

Industrialisierung auch ohne Cloud

Bedeutet dies nun, dass viele Unternehmen auf Cloud Computing – wenn auch nur als langfristige Vision – verzichten müssen? Im Gegenteil. Allein der Weg kann das Ziel sein. In immer mehr Unternehmen zeigt sich: Wer sich jetzt entscheidet, seine IT zu standardisieren, zu automatisieren oder/und zu modularisieren, macht deutliche Schritte in Richtung industrieller Software-Produktion. Dies bereits ist ein Mehrwert an und für sich, da ein Unternehmen damit – auch ohne Cloud – sehr viel besser die IT steuern kann: Dies zeigt sich beispielsweise in deutlich kürzeren Einarbeitungszeiten neuer IT-Experten, der viel besseren Austauschbarkeit von IT-Experten untereinander und dem insgesamt deutlich reduzierten Gesamtrisiko. Denn Industrialisierung ist der natürliche Feind von Kopfmonopolen und Wissensinseln, die angesichts des derzeitigen Wirtschaftsaufschwungs und der damit wieder wachsenden Mitarbeiterfluktuation wieder ein wichtiges Thema sind. Entsprechend industrialisiert kann ein Unternehmen dann immer mehr Service-Angebote der Cloud nutzen und den eigenen IT-Einkauf und -Betrieb im Sinne von „Software as a Service“ ausrichten – sicher und mit handhabbarem Risiko. Viele Beispiele zeigen mittlerweile, dass sich dieses Vorgehen durchaus lohnen kann. Die Vorteile des erfolgreich absolvierten Weges dorthin dominieren aber in jedem Fall und lassen die Cloud als optionales Add-on der erreichten Vorteile erscheinen.

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