Bild: Atos

Atos hat mit dem sogenannten Q-Score ein Open-Source-Tool vorgestellt, mit dem sich die Leistungen von Quantencomputern bewerten lassen sollen. Es sei die erste universelle Metrik für Quantencomputer, die sich auf alle programmierbaren Quantenprozessoren anwenden lasse, postuliert Atos in einem Communiqué dazu. Konkret soll der Q-Score die Effektivität eines Quantensystems bei praxisnahen Problemlösungen, an denen herkömmliche Computer scheitern, messen – anstatt einfach nur die theoretische Leistung zu betrachten.

Da der Q-Score Hardware-unabhängig sei, stelle er "eine objektive, einfache, faire – und vor allem verlässliche – Messgrösse" dar, erklärt dazu Elie Girard, CEO von Atos. Girard: "Seit dem Start von Atos Quantum im Jahr 2016, dem ersten industriellen Quantencomputerprogramm in Europa, ist unser Ziel das gleiche geblieben: die Entwicklung von Industrie- und Forschungsanwendungen voranzutreiben und den Weg zur Quantenüberlegenheit zu ebnen."

Die Anzahl der Qubits, der Recheneinheit von Quantencomputern, ist bislang die gebräuchlichste Kennzahl zur Leistungsbewertung eines Quantensystems. Qubits seien jedoch flüchtig und würden sich in ihrer Qualität (etwa hinsichtlich Geschwindigkeit, Stabilität oder Konnektivität) von Quantentechnologie zu Quantentechnologie (Ionenfallen, Silizium, Photonik und viele mehr) sehr stark unterscheiden, was sie zu einem ungeeigneten Vergleichswerkzeug mache, betont man bei Atos. Indem sich nun Q-score auf die Fähigkeit konzentriere, bekannte kombinatorische Optimierungsprobleme zu lösen, werde es Forschungszentren, Universitäten, Unternehmen und Technologieführer mit expliziten, zuverlässigen, objektiven und vergleichbaren Ergebnissen bei der Lösung praxisnaher Optimierungsprobleme versorgen, verspricht Atos im Communiqué.

Q-score messe laut den Angaben die tatsächliche Leistung von Quantenprozessoren bei der Lösung eines Optimierungsproblems, was repräsentativ für das bevorstehende Quantencomputing-Zeitalter (NISQ – Noisy Intermediate Scale Quantum) sei. Um einen Bezugsrahmen zum Vergleich von Leistungsbewertungen zu bieten und Einheitlichkeit zu gewährleisten, stütze sich Q-score auf ein kombinatorisches Standard-Optimierungsproblem, das für alle Bewertungen gleich sei. Hierbei handelt es um das Max-Cut-Problem, ähnlich des bekannten Travelling Salesman Problems (TSP). Der Score wird demnach auf Grundlage der maximalen Anzahl an Variablen innerhalb eines solchen Problems berechnet, die eine Quantentechnologie optimieren kann (zum Beispiel: 23 Variablen = 23 Q-score, oder Qs).

Künftig will Atos jedes Jahr eine Liste der leistungsfähigsten Quantenprozessoren der Welt veröffentlichen, basierend auf deren Q-Score. Der erste Bericht ist demnach 2021 fällig und soll konkrete Selbstbewertungen der Hersteller enthalten.

Q-Score basiert auf einem Open-Access-Softwarepaket und baut auf drei Säulen auf:
- Anwendungsgesteuert: Es ist Atos zufolge das einzige Messsystem, das auf in naher Zukunft verfügbaren Quantenalgorithmen basiert und die Fähigkeit eines Quantensystems misst, praktische betriebliche Probleme zu lösen;
- Offenheit und Benutzerfreundlichkeit: Q-Score sei universell und kostenlos und profitiere vom technologieneutralen Ansatz von Atos. Sein Softwarepaket, einschliesslich Tools und Methodik, erfordere keine grosse Rechenleistung, um die Metriken zu berechnen;
- Objektivität und Zuverlässigkeit: Atos kombiniert den Infos zufolge einen Hardware- und Technologie-agnostischen Ansatz mit starker Expertise im Entwurf und der Optimierung von Algorithmen, die das Unternehmen in Zusammenarbeit mit grossen Industriekunden und Technologieführern im Quantenbereich aufgebaut habe. Die Q-Score-Methodik werde veröffentlicht und zur Bewertung freigegeben.

Ein kostenloses Software-Kit, mit dem sich Q-Score auf jedem Prozessor ausführen lasse, soll im 1. Quartal 2021 verfügbar werden. Dank der Qubit-Simulationsfähigkeiten der Atos Quantum Learning Machine (Atos QLM), eines leistungsstarken Quantensimulators, sei man in der Lage, Q-Score-Schätzungen für verschiedene Plattformen zu berechnen, heisst es. Diese Schätzungen berücksichtigen die Eigenschaften, die die Hersteller öffentlich zur Verfügung stellen. Zwar bewegen sich die Ergebnisse um einen Q-Score von 15 Qs, aber der Fortschritt sei schnell: Vor einem Jahr sei der geschätzte durchschnittliche Q-Score im Bereich von 10 Qs gelegen, und in einem Jahr werde ein geschätzter durchschnittlicher Q-score von über 20 Qs erwartet.

Die aktuell vielversprechendste Anwendung des Quantencomputers ist nach Ansicht von Atos die Lösung grosser kombinatorischer Optimierungsprobleme. Beispiele für solche Probleme sind das berühmte TSP-Problem und das weniger bekannte, aber ebenso bedeutende Max-Cut-Problem.

Die Problemstellung: Ein Reisender muss eine Anzahl von N Städten in einem Rundkurs besuchen, wobei die Entfernungen zwischen allen Städten bekannt sind und jede Stadt nur einmal besucht werden sollte. Was ist die absolut kürzeste mögliche Route, so dass er jede Stadt genau einmal besucht und in die Ausgangsstadt zurückkehrt? Dieses scheinbar einfache Problem wird recht komplex, wenn es darum geht, eine definitive, perfekte Antwort unter Berücksichtigung einer zunehmenden Anzahl von N Variablen zu geben. Max-Cut hingegen ist ein allgemeineres Problem mit einer breiten Palette von Anwendungen, zum Beispiel bei der Optimierung von elektronischen Platinen oder der Positionierung von 5G-Antennen. 

Q-Score nun bewerte die Fähigkeit eines Quantenprozessors, diese kombinatorischen Probleme zu lösen.

Während die weltweit leistungsstärksten Hochleistungsrechner, die in naher Zukunft auf den Markt kommen werden (sogenannte Exascale-HPC), einen äquivalenten Q-Score von fast 60 erreichen würden, schätzen man heute nach öffentlichen Daten, dass die beste Quantum Processing Unit (QPU) einen Q-Wert von etwa 15 Qs erreicht. Angesichts der jüngsten Fortschritte erwartet Atos, dass die Quantenleistung im kommenden Jahr Q-Werte über 20 Qs erreichen werde.

Q-Score lasse sich für QPUs mit mehr als 200 Qbits messen. Daher werde er die ideale Metrik bleiben, um Quantenüberlegenheit zu identifizieren und zu messen, glaubt man bei Atos. Definiert werde er als die Fähigkeit von Quantentechnologien, ein Optimierungsproblem zu lösen, das klassische Technologien nicht zum gleichen Zeitpunkt lösen können. Atos erwartet demnach, dass die Quantenüberlegenheit im Fall von Optimierungsproblemen bei über 60 Qs erreicht ist.

Mithilfe der Atos QLM und der Expertise von Atos in der Algorithmenentwicklung koordiniert das Unternehmen das europäische Projekt NEASQC (Next Applications of Quantum Computing), eines der ehrgeizigsten Projekte zur Förderung zukunftsnaher Quantenanwendungen, mit denen Quantenüberlegenheit demonstriert werden soll. NEASQC bringt Akademiker und Hersteller zusammen, angetrieben durch die Beschleunigung von Geschäftsanwendungen mittels Quantentechnologie. Diese Anwendungen sollen durch die Veröffentlichung des ersten NISQ-Beschleunigers von Atos im Jahr 2023, der Qubits in eine HPC-Architektur integriert, weiter unterstützt werden.

Nachfolgend einige Beispiele solcher Anwendungen von NEASQC-Industriepartnern, die durch Quantencomputing beschleunigt werden könnten:

Kohlendioxidabscheidung mit Total: Untersuchung der CO2-Abscheidung, damit die Forscher mithilfe von Informationen über die Wechselwirkungen zwischen Molekülen die Adsorption (Kohlenstoffabscheidung) verstehen, simulieren und optimieren können;
Intelligentes Laden mit EDF: Optimierung des Ladevorgangs von Elektroautos an Schnellladestationen, um Warteschlangen zu vermeiden und bei grossen Flotten Zeit und Geld zu sparen;
Quantum-Monte-Carlo mit HSBC: Entwicklung effizienter Algorithmen, die Monte-Carlo-Techniken für nahe Quantencomputer entweder ersetzen oder neu definieren könnten; dadurch liesse sich die Effizienz von derivativen Preisfestsetzungs- oder Risikomanagementmodellen erheblich steigern;
Regelbasiertes Quantensystem mit CESGA: Aufbau eines regelbasierten Systems, das ein spezifisches Problem mit einer grossen Anzahl von Daten und Regeln löst, um eine bestimmte Art von Brustkrebs, das so genannte invasive duktale Karzinom, zu diagnostizieren und zu behandeln.
Weitere Infos zu NEASQC: https://neasqc.eu
Weitere Infos zu Q-Score: https://atos.net/en/solutions/q-score