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Physikern des IBM Forschungslabors in Rüschlikon ist es erstmals gelungen, das quantenphysikalische Phänomen der Bose-Einstein-Kondensation in einem nicht-kristallinen Festkörper und bei Raumtemperatur beobachten. Die Arbeit wurde auf der Webseite des renommierten Fachmagazins Nature Materials veröffentlicht.

Die Entdeckung, dass selbst ein Kunststoff bei Raumtemperatur in diesen aussergewöhnlichen Zustand gebracht werden kann, hat beträchtliche Vorteile im Hinblick auf eine zukünftige praktische Nutzung des Effekts, sowohl in neuartigen optoelektronischen Bauelementen für energieeffiziente Laser als auch in optischen Schaltern. Beide gelten als wichtige Komponenten für die Entwicklung kommender Generationen von Supercomputern für die effiziente Datenverarbeitung im Zeitalter von Big Data.

Ein Bose-Einstein-Kondensat ist ein aussergewöhnlicher Zustand, bei dem Bosonen, Teilchen mit ganzzahligem Spin, eine identische Wellenfunktion aufweisen. Anschaulich bedeutet diese identische Wellenfunktion, dass sich alle Bosonen gleichförmig bewegen, wie bei einem Formationstanz im Ballsaal. Sie befinden sich dabei in ihrem energetischen Grundzustand und sind somit untereinander nicht mehr unterscheidbar. Die Bosonen verhalten sich quasi wie ein einzelnes Teilchen. Dadurch ist die Bose-Einstein-Kondensation sogar auf der Grössenskala von Mikrometern nachweisbar, was in der Quantenphysik sehr selten ist. In den 1990er Jahren wurde das von Satyendranath Bose und Albert Einstein schon in den 1920er Jahren theoretisch beschriebene Phänomen bei Temperaturen um den absoluten Nullpunkt in Gasen und etwas später in spezifischen Kristallstrukturen in Festkörpern experimentell nachgewiesen. Das Bose-Einstein-Kondensat wird oft als fünfter Aggregatszustand neben Festkörper, Flüssigkeit, Gas und Plasma bezeichnet.

IBM Forschern gelang es nun, dieses Phänomen auch in Kunststoffen bei Raumtemperatur zu beobachten. „Dass eine Bose-Einstein-Kondensation nicht nur in ultra-reinen Kristallen möglich ist, sondern auch in dünnen Polymerschichten, hat alle unsere Erwartungen übertroffen“, sagt Thilo Stöferle, Physiker am IBM Forschungslabor in Rüschlikon. „Das Phänomen ist besonders faszinierend, da die Quantenwelt unmittelbar auf der makroskopischen Skala beobachtbar ist.“

Die IBM Forscher machten die Entdeckung in einem lumineszierenden Polymer, ähnlich den emittierenden Materialien organischer LEDs, das von Chemikern der Universität Wuppertal hergestellt wurde. Im Experiment wird das Polymer in einem mehrstufigen Verfahren als hauchdünne Schicht – gerade einmal 35 Nanometer (Millionstel Millimeter) dünn – zwischen zwei Spiegeln aufgebracht und optisch durch einen Laser angeregt. Dadurch sendet das Polymer Licht aus, das zwischen den Spiegeln hin- und herreflektiert wird. Durch die Wechselwirkung dieses Lichts mit dem Polymer bilden sich Bosonen und es kommt zu einer Bose-Einstein-Kondensation. Diese wird mit Hilfe eines Interferometers nachgewiesen, welches den, von den Bosonen am Ende ihrer Lebensdauer emittierten Lichtquant analysiert. Der Lichtquant enthält alle Informationen über die Natur des Bose-Einstein-Kondensates.

Im Experiment beträgt die Lebensdauer des Phänomens nur wenige Tausendstel Nanosekunden (Pikosekunden). Die Forscher sind sich sicher, dass dies bereits genügt, um die Bosonen sowohl als Quelle für laserartiges Licht als auch als optischen Schalter für zukünftige ultra-leistungsfähige und energiearme, optische Datenverbindungen in Computersystemen zu nutzen.

Die Forschung wurde im Rahmen des EU-Projekts "Icarus" unterstützt und im Binnig and Rohrer Nanotechnology Center bei IBM Research – Zürich durchgeführt. Die wissenschaftliche Arbeit “Room-temperature Bose-Einstein condensation of cavity exciton–polaritons in a polymer” von Johannes D. Plumhof, Thilo Stöferle, Lijian Mai, Ullrich Scherf und Rainer F. Mahrt wurde online von Nature Materials veröffentlicht.

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Bild: IBM
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Die IBM-Forscher in Rüschlikon