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Trotz rückläufigem Wirtschaftswachstum haben internationale Spezialisten weiterhin gute Chancen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt. Mario Kaufmann, Schweizer Direktor des Personalrekrutierers Hays, sieht für sein Unternehmen noch viel Potenzial. Selbst in einer Rezession stünden hierzulande nicht genügend Experten zur Verfügung. Karlheinz Pichler führte mit ihm nachfolgendes Gespräch.

Herr Kaufmann, wie ist es um die aktuelle Nachfrage nach IT-Fachkräften aktuell tatsächlich bestellt?

Der Rückgang der Anzeigen in den Portalen widerspiegelt die tatsächliche Marktsituation nur teilweise. In gewissen Segmenten, hauptsächlich im Dienstleistungssektor und dort insbesondere bei den Beratungsunternehmen, stellen wir nach wie vor einen hohen Bedarf fest. Sogar die Grossbanken haben bis jetzt für den IT-Bereich weiterhin rekrutiert.

Allerdings haben sogar grosse IT-Hersteller wie Microsoft oder SAP einschneidende Stellenabbauprogramme lanciert. Mutiert der noch vor kurzem als «War for Talents» bezeichnete globale Wettbewerb um Spitzenpersonal nun zum «Peace for Talents»? Kommt die Nachfrage nach Spezialisten vorerst zum Stillstand?

Gute Experten bleiben weiterhin gefragt. Einerseits kann jederzeit Bedarf entstehen, wenn jemand das Unternehmen verlässt. Gerade die guten Mitarbeiter sehen sich in unsicheren Zeiten oft zuerst nach einer neuen Stelle um. Anderseits legen die Unternehmen heute mehr Wert darauf, die bestmöglichen Mitarbeiter zu finden. Der «War for Talents» wird sich wohl nicht in dem Masse fortsetzen, wie wir es in den letzten zwei, drei Jahren beobachtet haben, aber vorbei ist er noch lange nicht.

Gibt es im ICT-Sektor bestimmte Berufsgruppen, die sich überhaupt keine Sorgen um ihre Zukunft machen müssen? Bisher waren SAP-Profis sehr begehrt – nun baut SAP, wie gesagt, selber Personal ab.

Wir stellen fest, dass die Nachfrage nach SAP-Spezialisten im Bereich Finance and Controlling leicht zurückgeht. Das hängt möglicherweise tatsächlich damit zusammen, dass SAP selbst Experten entlässt, die nun auf dem Markt verfügbar sind. Ob sich das auf andere Bereiche wie die Logistik ausweitet, wird sich weisen. Hingegen haben beispielsweise Spezialisten für Business Intelligence sicher auch künftig gute Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt.

Hays gilt in der Dach-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz) als das grösste Unternehmen, das auf die internationale Rekrutierung ausgerichtet ist. Wie sieht es in diesem geografischen Raum, speziell in der Schweiz, derzeit mit der Nachfrage nach internationalen Fachleuten aus?

Die Länder der Dach-Region müssen einzeln betrachtet werden. Deutschland gehört zusammen mit England, Frankreich und Australien zu unseren grössten Märkten. Im Vergleich zu diesen Ländern wirbt die Schweiz viel mehr Spezialisten aus dem Ausland an. Das liegt zum einen daran, dass viele internationale Firmen ihren Sitz hierher verlegt haben, und zum andern an der starken Ausprägung des tertiären Sektors. Es ist schlicht nicht möglich, in der Schweiz ausreichend viele Spezialisten zu finden – selbst in einer Rezession.

Die Schweizer Firmen bevorzugen in solchen Zeiten allerdings Arbeitskräfte, die sich bereits im Land aufhalten und sich assimiliert haben. Ein Spezialist, der drei oder vier Jahre in der Schweiz gelebt hat, wird deshalb jederzeit eine gute Stelle bekommen. Seit der Einführung der bilateralen Abkommen sind deutsche Fachkräfte deutlich in den Vordergrund gerückt. Vor allem in den Städten denkt man heute nicht mehr darüber nach, ob man einen Schweizer oder einen Deutschen einstellt.

International gemischte Teams sind also in der Schweiz gang und gäbe?

Im Vergleich zu anderen Ländern haben wir in der Schweiz sicher viele solche gemischten Teams. Im Einzelnen hängt das von der Art und Grösse des Unternehmens ab: Je mehr ein Unternehmen international tätig und in seinem Markt exponiert ist, umso üblicher ist es, Spezialisten aus dem Ausland zu engagieren. Die Internationalität einer Firma erleichtert es umgekehrt auch dem ausländischen Experten, sich hier einzuleben. Wir haben zurzeit allein im deutschsprachigen Raum über 100 000 Spezialisten in unserer Datenbank. Weit über 10 000 von ihnen leben in der Schweiz, das heisst, wir finden oft auch inländisches Personal. Rund zwei Drittel aller Spezialisten, die wir in die Schweiz vermitteln, stammen allerdings aus dem Ausland.

Verfolgen Firmen, die auf internationales Personal angewiesen sind, eine klare Strategie zu dessen Rekrutierung? Angenommen, sie verzichten auf ein Rekrutierungsunternehmen wie Hays – wie kommen die Unternehmen an die Spezialisten heran?

Die Studie «Internationale Rekrutierung – Realität oder Rhetorik?», die wir vor kurzem veröffentlicht haben, hat zum Vorschein gebracht, dass diese Strategie in den allermeisten Fällen fehlt. Nur knapp ein Viertel aller befragten Unternehmen, die bereits Erfahrungen mit internationaler Rekrutierung haben, gaben an, über eine entsprechende Strategie zu verfügen. Selbst während der Zeiten des «War for Talents» haben sich die Firmen offensichtlich kaum Gedanken gemacht, wie sie strategisch Engpässen entgegenwirken und längerfristig den Bedarf an Spezialisten sicherstellen können. Momentan hat dieses Thema nicht oberste Priorität, man ist eher darauf bedacht, vor Ort die Mitarbeiter abzugreifen, die verfügbar werden.

Wer ausländisches Personal einstellt, muss mit grossem administrativem Aufwand rechnen. Nimmt Hays seinen Kunden Aufgaben wie die Beschaffung von Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen ab?

Wir übernehmen tatsächlich den ganzen Prozess vom Interview mit der Fachabteilung über die Einholung der notwendigen Bewilligungen bis hin zur Unterstützung beim Umzug. Bezüglich Arbeitsbewilligungen beispielsweise können wir auf gute Kontakte zu den Behörden zurückgreifen und die Chancen für Nicht-EU-Bürger weitgehend abschätzen. Es gibt viele Unternehmen, die davon Gebrauch machen, gerade wenn es um Rekrutierungen in grösserem Umfang geht. Will eine Firma beispielsweise innerhalb einiger Monate zwei Dutzend SAP-Spezialisten gewinnen, wäre es unrealistisch, selber vor Ort die notwendigen Kapazitäten und Kompetenzen aufbauen zu wollen. Abgesehen davon, dass es sich wirtschaftlich nicht lohnen würde, könnten die Leute für die Rekrutierung, den Kontakt mit den Behörden und die Hilfe bei der Assimilierung gar nicht gefunden werden.

Wie sieht es aus, wenn eine Firma ins Ausland expandieren will? In der IT-Branche war es beispielsweise in den letzten Jahren sehr populär, Niederlassungen in Dubai aufzubauen. Unterstützen Sie diese Unternehmen auch dabei, geeignetes Personal vor Ort zu finden?

In Dubai besitzen wir eine eigene Landesgesellschaft. Bei einer entsprechenden Anfrage stellen wir den Kontakt zu unseren Kollegen in den Emiraten gerne her. Für die Suche nach Mitarbeitern in Ländern ausserhalb der Hays-Zone verfügen wir über ein mehrsprachiges internationales Team, welches den Kunden weiterhilft.

Durch die Beschäftigung von ausländischem Personal treffen mitunter sehr unterschiedliche Kulturen aufeinander. Unterstützen Sie die Spezialisten auch bei der Integration, oder endet Ihre Aufgabe mit der Vermittlung?

Wir unterstützen beide Seiten – unseren Kunden und den ausländischen Spezialisten. In grossen, global tätigen Firmen ist das oft weniger ein Thema, weil sie über entsprechende Erfahrung verfügen und die neuen Mitarbeiter sich in diesem Umfeld leichter zurechtfinden. Es ist uns aber ein Anliegen, die Spezialisten, die wir vermittelt haben, weiter zu begleiten und ihnen die Integration zu erleichtern. Dazu gehört beispielsweise, dass wir sie über das hiesige Sozial- und Krankenversicherungssystem informieren. Oder wir sind ihnen behilflich, wenn sie ein Haus kaufen und wissen möchten, wie der lokale Markt bezüglich Immobilien und Hypotheken aussieht. Wir haben täglich mit vielen derartigen Fragen zu tun, die ihrem neuen Arbeitgeber möglicherweise noch nie gestellt wurden.

Expertenwissen allein reicht heute nicht mehr aus, auch Soft Skills sind gefragt. Welche Eigen- schaften soll ein internationaler Spezialist mitbringen?

Kommunikationsfähigkeiten, Offenheit und Flexibilität sind enorm wichtig, gerade auch im Hinblick auf Offshoring-Projekte. Früher mag ein Entwickler rein aufgrund seiner fachlichen oder technischen Kenntnisse eingestellt worden sein, doch diese Zeiten sind vorbei. Unsere Kunden erwarten diese Eigenschaften auch von den Experten, die wir vermitteln, denn sie dürfen ja durch die Zusammenarbeit mit einem Rekrutierungsunternehmen mit einem Mehrwert rechnen.

Weil wir die Spezialisten in der Regel schon seit Jahren kennen, können wir beurteilen, ob jemand zum Unternehmen passt. Wir wissen, aus welcher Kultur sie stammen, ob sie bereits im Ausland gearbeitet haben, ob sie in KMU oder in Grossunternehmen tätig waren.

Wie wird sich die Rekrutierung in Zukunft entwickeln? So wie die Komplexität der IT zunimmt, wird auch die Rekrutierung der Experten immer anspruchsvoller.

Wir erwarten, dass in den nächsten Jahren deutlich mehr erweiterte Rekrutierungsdienstleistungen angeboten werden. Bereits heute selektieren wir zusammen mit dem Kunden geeignete Lieferanten für die einzelnen Spezialistenbereiche, handeln mit diesen Verträge aus, interagieren mit den Fachabteilungen, beurteilen die Bewerbungen, arrangieren und führen Vorstellungsgespräche und stossen Arbeitsverträge an.

Sie bezeichnen sich nicht als Headhunting-Agentur. Wie grenzen Sie sich von der Konkurrenz ab?

Vom klassischen Headhunting unterscheiden wir uns dadurch, dass wir keine Leute von anderen Unternehmen aktiv abwerben bzw. sie aus Positionen herausholen. Wir kennen die Spezialisten schon, die wir vermitteln, oder sie finden uns. Auf der anderen Seite grenzen wir uns von den klassischen grossen Personalvermittlern ab, indem wir ausschliesslich Spezialisten mit akademischem Hintergrund im mittleren Management vermitteln.

Im Unterschied zu den meisten unserer Konkurrenten sind wir sowohl im Markt für zeitlich begrenzte Einsätze als auch in jenem für Festanstellungen tätig. Davon profitieren wir in der jetzigen unsicheren Zeit. Während die Anfragen im Festanstellungsbereich leicht zurückgehen, greifen viele Unternehmen – und zwar quer durch alle Branchen – vermehrt auf das Modell zeitlich limitierter Spezialisteneinsätze, das sogenannte Contracting, zurück.

Die 100 000 Leute in Ihrer Datenbank sind ja auch nicht auf Abruf verfügbar – wie können Sie überhaupt auf Headhunting verzichten? Anders gefragt: Wie kommt Hays selber an das nachgefragte Personal heran?

Unabhängig von konkreten Anfragen sind über sechzig Mitarbeiter stets damit beschäftigt, die besten Experten aufzuspüren. Wir kennen auf dem deutschsprachigen Arbeitsmarkt mehr als 80 Prozent aller IT-Spezialisten.

Viele der 100 000 Spezialisten in unserer Datenbank wollen keine Festanstellung, sondern suchen die zeitlich begrenzte Mitarbeit in Projekten. Sie stehen also immer wieder zur Verfügung. Der Unterschied zum Headhunter ist aber vor allem, dass sich der Spezialist einmal bei uns beworben hat. Oder er hat sein Profil in eine internationale Jobbörse eingestellt, und wir haben ihn angefragt, ob wir seine Unterlagen bei uns aufnehmen dürfen.

Sie vermitteln akademisch gebildete Leute, die sich in der Praxis schon bewährt haben. Weshalb verzichten Sie ausdrücklich auf die Vermittlung von Uni-Abgängern?

Was die Universitätsabsolventen betrifft, so sind die Unternehmen selbst schon sehr aktiv. Wir könnten ihnen in diesem Bereich kaum einen Mehrwert bieten und verzichten deshalb bewusst auf die Vermittlung von Hochschulabgängern. Der durchschnittliche Spezialist, den wir vermitteln, ist Mitte bis Ende dreissig, hat mehr als zehn Jahre Erfahrung in seinem Bereich, einen akademischen Abschluss und spricht Deutsch.

Mario Kaufmann wurde 1975 in Sursee bei Luzern geboren. Nach einem einjährigen Sprachschulaufenthalt in Sierre im Wallis durchlief er eine dreijährige Ausbildung zum Bankkaufmann. Bereits im Jahr 2000 wechselte Kaufmann in die Spezialistenrekrutierung. Er war zunächst für Quanta Consultancy Services tätig, bevor er die Firma Consult-IT gründete. 2003 wechselte Kaufmann zur Hays (Schweiz) AG, welcher er seit 2008 als Geschäftsführer vorsteht. Seine Hobbys sind Cineastik, Lesen, Reisen und Design.

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Mario Kaufmann