Seit Tagen sucht die Staatsanwaltschaft München nach dem Österreicher Jan Marsalek, Ex-Vorstand von Wirecard, von dem sie Antworten auf zentrale Fragen im Bilanz-Skandal rund um den Finanzdienstleister erwartet. Doch der Manager, der sich Anfang nächster Woche der Münchner Staatsanwaltschaft I stellen wollte, ist anscheinend untergetaucht - die jüngsten Spuren führen nach China, wie zahlreiche Medien berichten.

Marsalek, der für das operative Tagesgeschäft von Wirecard zuständig war, ist eine Schlüsselfigur im Milliardenskandal um den insolventen Dax-Konzern und war zuletzt auf den Philippinen. Nach den Daten der philippinischen Einwanderungsbehörde reiste er am Dienstag in das südostasiatische Land ein und am Mittwoch über den Flughafen Cebu weiter nach China. Allerdings zeigten die Videoaufzeichnungen des Flughafens nicht, dass Marsalek das Land verlassen habe, sagte Justizminister Menardo Guevarra am Donnerstag in einem TV-Interview gegenüber CNN Philippines.

Der Manager war am vergangenen Montag fristlos entlassen worden, am Freitag ist Vorstandschef Markus Braun zurückgetreten und am Montag räumte Wirecard dann die Luftbuchungen in der Höhe von 1,9 Milliarden US-Dollar ein. Die Gelder, die angeblich auf philippinischen Treuhandkonten lagern sollten, existieren mit "überwiegender Wahrscheinlichkeit" nicht, wie es der Vorstand formulierte. Darauf verbrachte Braun eine Nacht in Untersuchungshaft, wurde aber am Dienstag gegen eine Kaution von fünf Millionen Euro wieder freigelassen. Gestern hat der ehemalige DAX-Überflieger Wirecard schließlich Insolvenz beantragt, der Handel mit den Aktien, die rund 90 Prozent an Wert verloren haben, wurde ausgesetzt. Die Papiere sind auch aus dem Stoxx Europe 600 (Index der 600 größten börsennotierten europäischen Unternehmen) entfernt worden. Im Dax dürfte Wirecard jedoch noch bis September gelistet bleiben, da hier andere Regeln gelten.

Die Staatsanwaltschaft München ermittelt bereits seit Wochen gegen Marsalek, Ex-Vorstandschef Markus Braun und zwei weitere noch amtierende Vorstände wegen des Verdachts der Falschinformation von Anlegern. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die die Bilanzen von Wirecard prüfte, geht von umfassendem Betrug mit mehreren beteiligten Parteien rund um die Welt aus. Inzwischen hat sich auch die EU-Kommission eingeschaltet. Sie will laut Kommissionsvize Valdis Dombrovskis die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) um eine Untersuchung bitten, ob die deutsche Finanzaufsicht BaFin bei der Kontrolle von Wirecard versagt und gegebenenfalls gegen EU-Recht verstoßen hat. "Wir werden die ESMA bitten zu prüfen, ob es aufsichtsrechtliche Versäumnisse gegeben hat, und wenn ja, eine mögliche Vorgehensweise festlegen", so Dombrovskis gegenüber der "Financial Times". Auch der Finanzausschusses des deutschen Bundestages will ein etwaiges Versagen der Aufsichtsbehörden aufklären.



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