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ETH-Forscher haben im wahrsten Sinn des Wortes ein «Cell Phone» geschaffen: Sie haben Säugerzellen so umprogrammiert, dass sie miteinander über chemische Signale «telefonieren» können.

Telefonieren ist ein gegenseitiger Austausch von Informationen: A ruft B an und sie vereinbaren, was B ausführen soll. Ist dies erledigt, meldet sich B bei A und gibt eine Rückmeldung – eine alltägliche Zweiweg-Kommunikation, bei der elektrische Signale gesendet werden, für deren Übermittlung geeignete Geräte nötig sind. Nach diesem Schema haben Bioingenieure um Martin Fussenegger und Jörg Stelling am Departement für Biosysteme (D-BSSE) der ETH Zürich in Basel Säugetierzellen so programmiert, dass sich zwei Zellen mittels chemischer Signale austauschen können. Damit haben die ETH-Wissenschaftler erstmals in Säugetierzellen ein künstliches Zweiweg-Kommunikationssystem eingebaut, das überdies auf Konzentrationsunterschiede der Signalmoleküle reagiert.

«Dieses synthetische Kommunikationsnetzwerk ist im wahrsten Sinn des Wortes ein „Cell Phone“», sagt Martin Fussenegger. Zwar hätten andere Wissenschaftler künstliche Kommunikationsnetzwerke für Bakterien und Hefezellen entwickelt. Für Säugetierzellen sei ihres aber das erste, da dieser Zelltyp viel komplexer ist als die genannten. Das Telefonsystem für Säugerzellen besteht aus Signalmolekülen und «Geräten» aus biologischen Komponenten, welche die Signale empfangen, verarbeiten und entsprechend reagieren. Die Geräte aus Genen und ihren Produkten, den Proteinen, sind logisch miteinander verknüpft.

Das Kommunikationssystem wird durch Indol, einem Blütenduftstoff, angestossen. In der Senderzelle löst es die Herstellung der Aminosäure L-Tryptophan aus. Diese gelangt in die Empfängerzelle, die das Signal verarbeitet und als Antwort auf L-Tryptophan Acetaldehyd produziert. Dieses Molekül ist die Rückantwort, welche die Senderzelle empfängt. Ist nach einiger Zeit eine bestimmte Konzentration von Acetaldehyd erreicht oder das Indol aufgebraucht, stoppt die Senderzelle die Herstellung von L-Tryptophan, das System schaltet sich aktiv selbst wieder aus.

Module lassen sich neu verschalten

Für ihren Versuch verwendeten die Basler ForscherInnen so genannte HEK-Zellen, also menschliche Nierenzellen, die in der Forschung sehr oft verwendet werden. Die biologischen Komponenten, die es zum Bau des Signalnetzwerkes brauchte, können überdies modulartig gebraucht werden. Mit diesen Modulen konnten die Basler Forscher auch andere Signalwege zusammenstellen, darunter eine Signalkaskade, die ohne Rückkopplung von Sender-, über Informationsverarbeitungs- bis hin zur ausführenden Empfängerzelle führt.

Die Zweiweg-Kommunikation zwischen verschiedenen Zelltypen ist in mehrzelligen Organismen wichtig. Sie reguliert Entzündungsreaktionen, die Entwicklung von Extremitäten wie Händen und Füssen oder kontrolliert über Insulin und Glukagon den Zuckerspiegel des Körpers. Ein wichtiges Zweiweg-Kommunikationssystem ist die Entwicklung und der Unterhalt des Blutgefässsystems. Der Wachstumsfaktor VEGF erhöht die Durchlässigkeit von Endothelzellen, die die Blutgefässe auskleiden. Dadurch können die Äderchen wachsen. Um das Wachstum der Blutgefässe zu stoppen, wird das Signalmolekül Ang1 ausgesondert, welches das Endothel abdichtet.

Netzwerk steuert Blutgefässbildung

Mit ihrem Cell Phone haben die ETH-Biotechnologen diesen Vorgang in einer Zellkultur präzise nachahmen können. Einerseits gaben sie das Sender- und Empfänger-Modul in die Kulturschale, dazu auch eine Population von Endothelzellen. Als Reaktion auf das Tryptophan-Signal bildete das Empfängermodul neben Acetaldehyd den Botenstoff VEGF, was die Endothelzellen durchlässig machte. Aufgrund der Rückmeldung durch Acetaldehyd produzierte das Sendermodul schliesslich das Signalmolekül Ang1, was den Vorgang stoppte.

Gerät VEGF im Körper ausser Kontrolle, bilden sich zu viele Blutgefässe, die letztlich einen wachsenden Tumor versorgen. Das «Cell Phone» könnte also eine denkbare Strategie sein, die krankhafte Bildung neuer Blutgefässe zu stoppen. «Bei der Blutgefässkontrolle ist die Kommunikation eminent wichtig», sagt Fussenegger, «und wir erhoffen uns, dass wir in Zukunft mit synthetischen „Cell Phones“ krankheitsrelevante Zellkommunikationssysteme präzise mit einem „therapeutischen Anruf“ korrigieren oder sogar heilen können.»

Literaturhinweis
Bacchus W, Lang M, El-Baba MD, Weber W, Stelling J & Fussenegger M. Synthetic two-way communication between mammalian cells. Nature Biotechnology, Published online 16th Sept 2012. DOI: 10.1038/nbt.2351