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Was ein elektronischer Rechner kann, können nun auch Säugetierzellen, nämlich logische Rechenoperationen ausführen. ETH-Forscher haben dazu Zellen mit einem komplexen genetischen Netzwerk ausgestattet, das mehr kann als nur eins und eins zusammenzuzählen.

ETH-Forscher haben unter der Leitung von Martin Fussenegger, Professor für Biotechnologie und Bioingeneurwissenschaften am Departement Biosysteme der ETH Zürich in Basel, ein synthetisches Gen-Netzwerk gebaut, welches logische Operationen durchführen kann und als Resultat vorgegebene Stoffwechselschritte einleitet. «Wir haben den ersten echten zellulären Taschenrechner entwickelt», sagt Fussenegger. Die Forscher haben mit biologischen Bestandteilen einen Satz verschiedener Elemente entwickelt, die in unterschiedlichen Kombinationen verschaltet werden können und daraufhin logische Operationen ausführen. Diese Schaltelemente, in der Fachsprache «logische Gatter» genannt, verwenden das Apfelmolekül Phloretin und das Antibiotikum Erythromycin als Eingangssignale. Die Grundlage der ausgeführten Rechenoperationen ist Boolesche Logik.

Modulartig aufgebauter Rechner

So haben die Forscher aus biologischen Bestandteilen mehrere «Gatter» geschaffen, wie beispielsweise das AND-Gatter, das in der Computertechnik auch als AND-Verknüpfung bezeichnet wird. Bei einem AND-Gatter müssen beide Eingänge – also Phloretin und Erythromycin – vorhanden sein, damit am Ausgang eine Eins berechnet wird. Als Folge dieser Eins löst das Gen-Netzwerk die Bildung eines fluoreszierenden Proteins aus, welches die Zelle zum Leuchten bringt. Fehlt eines der beiden Eingangssignale, leuchtet die Zelle nicht auf.

Indem die Biotechnologen mehrere logische Gatter kombinierten und verschalteten, erhielten sie einen «Half-Adder» respektive einen «Half-Subtractor», beides zentrale Schaltelemente in der Computertechnik. Ein Halbaddierer ist eine digitale Grundschaltung, die zwei Binärzahlen miteinander addiert, der Halbsubtrahierer zieht die Binärzahlen hingegen voneinander ab. Diese beiden Elemente kommen in jeder digitalen Rechenmaschine vor und führen dort die meisten Berechnungen durch. In Zellkulturversuchen lieferten die beiden Biocomputer-Bestandteile robuste Resultate.

Erster «richtige» Zellrechner

Mit der Kombination mehrerer logischer Gatter haben die ETH-Forscher eine bisher unerreichte Komplexität eines synthetischen Gennetzwerkes in Zellen erreicht, betont Fussenegger. Weiter sei bemerkenswert, dass der Bio-Rechner zwei Input- und Outputsignale parallel prozessieren könne, etwas, das den Biocomputer von der digitalen Elektronik unterscheidet, denn diese arbeitet ausschliesslich mit Elektronen. «Klar ist unser Zelltaschenrechner noch lange nicht so leistungsfähig wie ein PC», sagt der ETH-Professor. «Eine Zelle kann jedoch von Natur aus viele verschiedene Stoffwechselprodukte parallel verarbeiten.» Der biologische Taschenrechner beherrscht zwar bisher nur die binären Grundrechenarten, «dennoch ist es genial, dass eine Säugetierzelle so rechnen kann», freut sich Martin Fussenegger.

In Hefen und Bakterien haben andere Wissenschaftler bisher schon diverse Schaltelemente realisiert. Beim neuen System ist hingegen alles in einer Zelle vorhanden, und zwar in einer Säugetierzelle, die Hefen und Bakterien an Komplexität weit übertrifft.

Zukünftige Anwendungen denkbar

Damit kommen die Forscher auch näher an eine therapeutische Anwendung heran, als durch die Veränderung von Bakterien- oder Hefezellen. Für Fussenegger ist es denkbar, dass implantierte Zelltaschenrechner in ferner Zukunft den Metabolismus von Patienten überwachen und je nach Bedarf eingreifen könnten. Diese intelligenten Zellimplantate könnten zum Beispiel bei Diabetespatienten zum Einsatz kommen, indem ein Schaltkreis entwickelt werde, der krankheitsrelevante Stoffwechselprodukte erkennt und die Ausschüttung von therapeutisch wirksamen Stoffen, beispielsweise Insulin, steuert. Von einer solchen Anwendung sind die Forscher jedoch noch weit entfernt.

Die Idee für den Zelltaschenrechner brachte Fusseneggers Doktorand Simon Ausländer ein. Im Labor des Basler Professors fiel sie auf fruchtbaren Boden, da er bereits über die für den Bau des Rechners nötigen Bestandteile verfügte. «Das ist das Schöne an der synthetischen Biologie: Wir können einfach in die Werkzeugbox greifen und neue Funktionalitäten kreieren.»

Literaturhinweis
Ausländer S, Ausländer D, Müller M, Wieland M & Fussenegger M. Programmable single-cell mammalian biocomputers. Nature, Advanced Online Publication, 3rd June 2012. DOI: 10.1038/nature11149



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