Die App zeigt, wie der Kupferstich aufgebaut ist. (Bild: Omar Zeroual / ETH Zürich)

Die aktuelle Ausstellung in der Graphischen Sammlung der ETH Zürich, Agostino Carracci und Hendrick Goltzius, ist zwar aufgrund der Corona-Krise momentan geschlossen, aber ab 22. Januar sollte es wieder weiter gehen. Aus IT-Sicht interessant an der Ausstellung ist, dass die historischen Werke durch "Augmented Reality" mit dem Handy oder Tablet erkundet werden können. Die Technologie des Ausstellungs-​Apps hat das Game Technology Center entwickelt.

Die Grenzen zwischen der Realität und der virtuellen Welt verwischen im Ausstellungsraum der Graphischen Sammlung an der ETH Zürich. Zwar hängt das Kunstwerk statisch an der Wand, doch auf dem Handybildschirm erwacht es zum Leben. Die App auf dem Smartphone blendet zum Ausstellungsstück eine frühere Skizze ein, übersetzt eine lateinische Inschrift oder hebt Details hervor, die sonst unentdeckt blieben. Die Technologie dahinter heisst "Augmented Reality", also so viel wie angereicherte Realität – kurz AR. Das Game Technology Center (GTC) der ETH Zürich hat eine App entwickelt, um AR in Museen anwenden zu können. Damit will das GTC Kunstausstellungen interaktiver und persönlicher gestalten.

Grundsätzlich neu ist der Einsatz von AR in Museen nicht, gesteht der GTC-​Geschäftsführer Fabio Zünd ein. Er hat selber schon einige AR-​Apps ausprobiert und war oft enttäuscht, weil sie die Möglichkeiten von AR nicht gut ausschöpften. Deshalb hat sich das GTC zum Ziel gesetzt, AR besser umzusetzen, als das Museen bisher getan haben. "Die Idee wollten wir als Plattform umsetzen, damit Museen selber eine AR-​App kreieren können", erklärt Zünd. Kuratorinnen und Kuratoren sollen mit der cloudbasierten Plattform "Artifact" die Möglichkeit haben, selber eine AR-​App für ihre Ausstellung zu machen und die interaktiven Inhalte dazu zu gestalten.

Die Plattform ist inzwischen so weit entwickelt, dass das GTC damit sozusagen den Ernstfall proben wollte. Bis es soweit war, arbeiteten das GTC und die Graphische Sammlung ETH Zürich rund ein Jahr eng zusammen und entwickelten die Plattform weiter. Von dieser engen Kooperation profitierten beide: Zum einen erfuhr das GTC so die Bedürfnisse der Konservatorin und Anforderungen der zuständigen Kuratorin an die Plattform, zum anderen kann die Graphische Sammlung mit der App Erfahrungen mit einer neuen Form von digitaler Kunstvermittlung gewinnen. "Die App bietet für uns eine sehr gute Gelegenheit, einen niederschwelligen Zugang zu Kunst zu ermöglichen. Unser Ziel ist es, über diese spielerische Vermittlung auch ein neues Publikum zu erreichen und es im konkreten Fall für Altmeisterkunst zu begeistern", sagt Linda Schädler, die Leiterin der Graphischen Sammlung.

Susanne Pollack hat die neue Ausstellung gemeinsam mit Samuel Vitali vom Kunsthistorischen Institut in Florenz – Max-​Planck-Institut kuratiert. Sie zeigt die Werke von Agostino Carracci und Hendrick Goltzius im Vergleich. Die beiden Künstler haben im 16. Jahrhundert nicht nur eigene Entwürfe gestochen, sondern auch wie seinerzeit üblich Werke anderer Künstler in den Kupferstich übertragen. Sie galten als Meister ihres Fachs und waren die grossen Stars des Kupferstichs. "Die App hilft, die Technik dieser Künstler zu vermitteln", sagt Pollack. Die App projiziert etwa die originalen Gemälde über die Kupferstiche im Ausstellungsraum, sodass die Feinheiten und Unterschiede von der Vorlage zur Druckgrafik mit dem Smartphone oder dem Tablet entdeckt werden können.

Abgesehen vom Überlagern von Bildern zeigt die App auch kurze Texte zu Eigenheiten der Kunstwerke an oder spielt Audio-​Einführungen sowie Videos ab. Bei ausgewählten Ausstellungsstücken gibt es zudem technische Spielereien in Form von 3-​D-Effekten oder Animationen. So erscheint zur Abbildung einer Statue ein entsprechendes dreidimensionales Modell auf dem Bildschirm.

Kunstwerke in die Cloud geladen

Damit die interaktiven Elemente in der App überhaupt beim jeweiligen Kunstwerk angezeigt werden, musste die Graphische Sammlung ETH Zürich ihren Ausstellungsbestand auf die Plattform des GTC hochladen. "Die Werke waren alle schon digitalisiert. Das war ein Vorteil", sagt die Kuratorin Susanne Pollack. Auf der Plattform konnte sie dann – in engem Austausch mit den Programmiererinnen und Designerinnen des GTC – die interaktiven Elemente zur Ausstellung gestalten. Kurze prägnante Texte waren dabei ebenso wichtig wie die Bestimmung, welche Aspekte von Werken in der App hervorgehoben werden sollen. So werden etwa die Rückseiten von gewissen Ausstellungsstücken gezeigt oder Anekdoten vermittelt. "Diesen Blick hinter die Kulissen mögen die Besucherinnen und Besucher ganz besonders", weiss Pollack.

Das GTC will anhand der Nutzungsdaten die Plattform weiterentwickeln und verbessern. Auch die Graphische Sammlung ETH Zürich plant die Daten auszuwerten, um herauszufinden, wie sich die App im Ausstellungsbetrieb bewährt. Welche Bilder und Interaktionen waren besonders attraktiv? Wofür hat sich das Publikum besonders interessiert? "Wir sind gespannt, wie das Publikum darauf reagiert", sagt Linda Schädler. Wer sich einen eigenen Eindruck zur App und zur Ausstellung bilden will, kann dies bis am 14. März 2021 tun.
https://ethz.ch

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