thumb

Die Berner Fachhochschule (BFH) startet ab Herbst 2015 das schweizweit erste MAS Data Science. Der methodische und gewiefte Umgang, das wirkliche Erforschen und das Gewinnen von Wissen aus der Datenflut, sei heute unglaublich wichtig, betonen Prof. Arno Schmidhauser, Leiter Weiterbildung an der BFH, und Markus Nufer, Beirat Departement Technik & Informatik der BFH. Warum dies so ist und welche weiteren Thema heute in der IT-Aus- und Weiterbildung zentral sind, erläutern sie im nachfolgenden Interview mit ICTkommunikation.

Interview: Karlheinz Pichler

ICTkommunikation: Die Berner Fachhochschule hat zusammen mit der IT-Dienstleisterin Trivadis vergangenes Jahr den ersten Big Data CAS (Certificate of Advanced Studies) Studiengang lanciert. Wie ist dieser neue Studienbereich angekommen und welche Schwerpunktbereiche deckt er inhaltlich ab?

Arno Schmidhauser: Als technische Hochschule entwickeln wir neue Themen typischerweise von der Technologie her. Wir sind beim CAS Big Data daher von den "Enabling-Technologies" ausgegangen (Hadoop, Map Reduce Algorithmen, NoSQL, In Memory Datenbanken usw.) die heute eine umfassende Bearbeitung von Daten in Echtzeit und mit spontanen Fragestellungen zulassen. Darauf aufbauend ist mir aber wichtig, dass es bei Big Data nicht nur um Technologie und das "Big" geht, sondern um einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Daten. Die data-driven company ist auf allen Unternehmensstufen Realität. Informatiker müssen Werkzeuge bereitstellen, mit denen sich die Daten aus verschiedensten Perspektiven analysieren und visualisieren lassen. Auch die Zeitachse ist äusserst kritisch: Von der Auswertung in Echtzeit (etwa in der Patientenüberwachung) bis zu wissenschaftlichen Langzeitstudien müssen Daten verfügbar sein. Damit werden neue Architekturschemen für die Informatiker wichtig, beispielsweise die Lambda-Architektur (Mehrweg Schema) beim Sammeln von Daten. Zusätzlich werden die Anforderungen an die Informatiker höher, dem Business sinnvolle und relevante Information zur Verfügung zu stellen. Sattelfestigkeit in Statistik und Data Mining ist daher gefragt. Auf all diese Aspekte geht dieser Lehrgang ein.

ICTkommunikation: An welche Zielgruppe richtet sich dieses Studium konkret – gibt es Branchen, für die der "Big Data CAS" besonders wichtig ist?

Arno Schmidhauser: Die Zielgruppe für unsere Studiengänge sind erfahrene Informatiker und IT-Spezialisten, die Umsetzungprojekte realisieren, die für die Weiterentwicklung von Informationssystemen, für POC Projekte, für Systemarchitekturen usw. verantwortlich sind. Die meisten unserer Studierenden arbeiten in Technologie/Informatik-Abteilungen von KMU und Grossunternehmen (nicht zwingend als Entwickler / Engineers, aber mit hoher Verantwortung in Technologiefragen). Wir stellen den Anspruch, dass sich Teilnehmer unserer Lehrgänge Handlungskompetenzen aneignen wollen. Die Entwicklung von Mitsprachekompetenz, wie ich es auch schon gefunden habe bei anderen Weiterbildungsanbietern, reicht uns nicht. Vermutlich liegt bei den KMU noch das grösste Business Potenzial für den Einsatz von Big Data.

ICTkommunikation: Auf welcher Basis geschieht die Zusammenarbeit mit Trivadis, die ja bei der Entwicklung dieser Ausbildung massgeblich beteiligt war?

Arno Schmidhauser: Der VRP von Trivadis hat uns in höchst spontaner Weise angeboten, Mitarbeiter aus seinem IT Senior Staff für Lehrveranstaltungen an der BFH zur Verfügung zu stellen. Herausragend war die Bereitschaft, an einem ganzen Lehrgang direkt mitzuwirken. Es ist generell sehr erfreulich, dass viele hochqualifizierte und erfahrene Mitarbeiter von (IT-) Unternehmen gerne in der Lehre tätig sind, trotz der zusätzlichen und oft erheblichen Arbeitslast. Ich habe quer durch die Unternehmenslandschaft in der Schweiz ein hohes Engagement erlebt, oft bis in die Geschäftsleitungsstufe von sehr schweizerischen Grossunternehmen hinein.

ICTkommunikation: Der Bund hat kürzlich "Big Data" zu einem nationalen Forschungsprogramm erklärt. Hat Sie dies persönlich überrascht? Und könnte die BFH dieszbezüglich auch etwas beitragen?

Arno Schmidhauser: Das freut mich und zeigt die Präsenz und globale Relevanz dieses Themas auf. Wir sind natürlich an Projekten interessiert und prüfen die Eingabe von Anträgen.

ICTkommunikation: Welche Themen der IT stehen in der Aus- und Weiterbildung derzeit ganz oben auf?

Arno Schmidhauser: Eines unserer strategischen Weiterbildungsthemen der kommenden Jahre ist Data Science. Der Schulrat der BFH hat diesen Juni den Aufbau des schweizweit ersten MAS Data Science bewilligt. Der methodische und gewiefte Umgang, das wirkliche Erforschen und das Gewinnen von Wissen aus der Datenflut ist heute unglaublich wichtig. Das CAS Big Data und das CAS Business Intelligence bilden dafür den IT-bezogenen Unterbau dafür. Wir haben aber festgestellt, dass bezüglich Analyse-Methodik (Statistik, Data Mining, Machine Learning usw.) noch Nachholbedarf besteht. Diesen Herbst starten wir daher mit eine spezifischen und sehr praxisorientierten CAS Datenanalyse. Dieses vertieft die Anwendungskompetenz statistischer Methoden, von Data Mining und prognostischen Instrumenten. Zur Datenanalyse gehört auch die Visualisierung von Daten. Die richtige Visualisierung ist ein zentrales Instrumente für den Transport von Erkenntnissen und das Auslösen einer Wirkung bei den Entscheidungsträgern. Wir setzen im MAS Data Science auf ein Kooperationsprojekt mit der Hochschule der Künste (Schwerpunkt Communications Design).
Zwei Themen, die wir dieses Jahr weiter stärken und ausbauen wollen, sind IT-Security (Spezialbereich Security Incident Management), und Application Life Cycle Management (ALM).

Extrem nachgefragt sind in der Weiterbildung auch IT-Management und IT-Strategie Themen. Hier können wir auf eine engen Zusammenarbeit mit den Management-studiengängen abstützen.
Zum Schluss ist noch anzumerken, dass sich gerade Informatiker heute fachlich sehr breit weiterbilden. Viele Masterstudierende im MAS Information Technology belegen beispielsweise 20 bis 40 Prozent ihres Studiums mit Management- und Innovationsthemen.

ICTkommunikation: Nirgendwo veraltet Wissen so schnell wie in der Informatik. Wie nah ist die Aus- und Weiterbildung tatsächlich an den rasenden Entwicklungen im IT-Bereich dran?

Arno Schmidhauser: Das Veralten ist nicht so schlimm wie gemeinhin gesagt. Viele heute wichtige algorithmische, methodische und Architektur-Grundlagen der Informatik und des Software-Engineering stammen aus dem letzten Jahrtausend und sind immer noch äusserst hilfreich. Aber der Hauptfokus hat sich natürlich verlagert: Integrationsthemen und Komplexitätsmanagement, IT-Governance, Business Analyse, Big Data, Requirements Engineering sind wichtiger geworden.

ICTkommunikation: Die Berner Fachhochschule ist ja nicht nur in der Aus- und Weiterbildung aktiv, sondern auch in der angewandten Forschung und Entwicklung sowie im Transfer von technologischem Wissen. Wie ergänzen sich diese drei Bereiche und wie können hier Synergien genutzt werden?

Arno Schmidhauser: Es ist eine wichtige Zielsetzung der Berner Fachhhochschule, dass alle Leistungsbereiche (Forschung, Dienstleistung, Aus- und Weiterbildung) gezielt zusammenarbeiten.
- Spezialisierte Weiterbildungen sind nur mit einem starken Forschungsbezug möglich, beispielsweise ein Kurs oder eine Tagung über kryptologische Methoden bei E-Voting-Systemen. Damit wird Forschungswissen in die Praxis transferiert.
- In der Weiterbildung können neue Themengebiete ausgelotet und später in die grundständige Lehre übertragen werden. Der Bachelor Medizininformatik an der BFH wurde beispielsweise auf den Erfahrungen mit einem entsprechenden Weiterbildungsprogramm entwickelt. Hier ist in der Startphase der Wissenstransfer von aussen in die Hochschule hinein sehr wichtig.
- Lehrbeauftragte (oder Teilnehmer) in der Weiterbildung sind ihrem Unternehmen oft wichtige Entscheidungsträger. Immer wieder entstehen dadurch Zusammenarbeiten zwischen Hochschule und Industrie, etwa mit KTI- oder Dienstleistungprojekten.

ICTkommunikation: Wie schätzen Sie das allgemeine Niveau in der Schweizer IT-Aus- und Weiterbildung gegenwärtig im internationalen Vergleich derzeit ein?

Markus Nufer: Die Schweiz steht im Vergleich mit dem Ausland gut da. Das umgesetzte modulare Ausbildungskonzept erlaubt eine flexible Anpassung an die spezifischen Bedürfnisse, dieser Vorteil wird momentan leider nicht genutzt.
Das Niveau der schweizerischen ICT Berufslehre ist sehr gut, viele Fachleute in anderen Ländern erreichen die gleiche Qualifikation nur an Hochschulen. Die internationale Vergleichbarkeit ist heute schlecht vorhanden. Neben der Ausbildung an einer Fachhochschule oder einer höheren Fachschule gibt es in der Schweiz auch die höhere Berufsbildung. Im Ausland ist uns nichts entsprechendes bekannt. Durch eine solche formale Qualifikation kann ein eidg. Fachausweis oder auch ein eidg. Diplom in Informatik erlangt werden. Diese Ausbildungen liegen auf dem Niveau von ausländischen Bachelor, eine Benennung des eidg. Diploms als professional Bachelor wurde aber im 2014 abgelehnt.

ICTkommunikation:
Haben die verschiedenen Initiativen und Bestrebungen im IT-Aus- und Weiterbildungssektor die Situation im Fachkräftesektor entschärfen können?

Markus Nufer: Ja, wir wollen die Flexibilisierung in der ICT Ausbildung umsetzen und stehen deswegen in Kontakt mit den verschiedenen zuständigen Stellen. Damit soll die bedürfnisgerechte Ausbildung ermöglicht und die Förderung der beruflichen Elite verbessert werden. Eine wesentliche Rolle spielt dabei eLearning, welches zusätzlich auch neue Lernformen erlaubt. Der Wandel des Ausbildners vom Wissensvermittler zum Lerncoach kann damit ebenfalls ermöglicht werden.
Dank solcher Umsetzungsschritten ist es ebenalls denkbar, dass die Ausbildungsstufen (Grundbildung und Fachhochschule) stärker zusammenwachsen können und allenfalls der Eintritt eines Informatik Bachelors in den Arbeitsmarkt für besonders Begabte ein Jahr früher möglich würde.
Mit solchen Massnahmen kann die Situation beim Fachkräftemangel entschärft werden. Zudem ist ebenfalls Tatsache, dass wir einige arbeitslose Informatiker haben, welche die Anforderungen der freien Stellen nicht erfüllen. Leider finden sich darunter auch Menschen, welche bei der Weiterbildung gespart haben. Diese können dank eLearning ebenfalls rasch fehlende Fach-Kompetenzen aufbessern.
Ganz allgemein soll die Weiterbildung leichter zugänglich werden und künftig nicht mehr an finanziellen Barieren oder fixen Arbeitszeiten scheitern.

18647-18647schmiedhauserarnobfh20150810.jpg
Prof. Arno Schmidhauser, Leiter Weiterbildung Berner Fachhochschule BFH (Bild: BFH)
18647-18647nufermarkusbfh20150810.jpg
Markus Nufer, Mitglied des Beirates Departement Technik & Informatik der Berner Fachhochschule BFH (Bild: BFH)