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Um das Potenzial elektronischer Dienste im Gesundheitswesen (E-Health) voll auszuschöpfen, muss sich die Medizin völlig neu strukturieren. Das betont Robert Madelin, Generaldirektor für Information in Gesellschaft und Medien bei der Europäischen Kommission.

Der Experte fordert auf dem European Health Forum Gastein (Österreich) mehr politische Unterstützung zur Beschleunigung der E-Health-Umsetzung. Bedenken gegenüber den geplanten Massnahmen hält er deren Vorteile entgegen.

E-Health umschreibt die Vielzahl der Möglichkeiten des Computer- und Interneteinsatzes in der Medizin. Am bekanntesten davon sind die elektronische Erfassung verordneter oder rezeptfreier Medikamente (E-Medikation) oder elektronische Patientendokumente als Ersatz von Papier. Sie sollen Wechselwirkungen prüfen und Mehrfachuntersuchungen oder -verordnungen vermeiden. "Doch auch Telemedizin und Telemonitoring gehören dazu, wo die Dienstleistung zum Patienten nach Hause kommt statt umgekehrt - oder die beschleunigte Pharmaforschung durch Supercomputer, die das Gehirn oder den ganzen Körper simulieren", erklärt Madelin.

Innerhalb der Innovationen im Gesundheitssystem räumt Madelin E-Health eine zentrale Stellung ein. "Ihr schlagender Vorteil ist, dass sie viele Abläufe weitaus effektiver und kostengünstiger macht. Etwa in Schottland sank durch derartige Maßnahmen der Anteil der Spitalsübernachtungen, bei denen sich alte Menschen nur wegen Unwohlseins hospitalisieren ließen, um 25 Prozent. Die Betroffenen erhielten stattdessen zuhause schnellere und bessere Beratung, welche Mittel sie einnehmen sollten. Mehr Patienten wurden mit weniger Budget besser versorgt."

Die neue Technik erfordert dem Experten nach allerdings auch einen Organisationswandel. "Die kardiologische Fernbetreuung etwa gelingt nur, wenn sie durch ein Betreuungsteam unterstützt wird. Das ist zum Beispiel eine Krankenschwester, die zum regelmäßigen Hausbesuch kommt und eng mit den aus der Distanz agierenden Ärzten in Kommunikation steht." Auch die Einschulung der Patienten wird nötig, um Programme wie etwa die Teleprüfung der Sturzgefährdung, die Telekonsultation bei chronischen Wunden oder Tele-EKG umzusetzen. "Bei richtigem Einbezug gibt es selbst bei alten Patienten kaum mehr Berührungsängste", glaubt Madison.

Wirksamkeit und Datenschutz in Kritik

Die Vorteile von E-Health wiegen für Madison schwerer als bisherige Kritikpunkte. Das blinde Vertrauen in E-Health sei nicht gerechtfertigt, sagen wiederum Ärzteverbände, da die Hinweise auf Kosteneffizienz, bessere Verschreibung, weniger Medikationsfehler oder Therapieerfolge bisher nur schwach und Risiken zu wenig erforscht seien. Ihre Gegenargumente stützen die Ärzte auf Metaanalysen von Londoner Cochrane-Forschern.

Die Ärztekritik sieht der Experte gelassen: "Der anfängliche Zweifel ist eine natürliche Reaktion, zeugt aber von fehlendem Verständnis." In Projekten mit hohem Grad an E-Health-Umsetzung seien Mediziner froh, sich dank der Technik auf ihre Hauptaufgaben konzentrieren und mehr Patienten versorgen zu können. Freilich hat sich E-Health auch der Datenschutzfrage zu stellen. Madison verweist diesbezüglich auf "bereits ausgereifte" Konzepte, muss aber eingestehen, dass der "Risikofaktor Mensch" nie überwunden werde.

Einführung Frage der Politik

Bisher testet und evaluiert die EU die E-Medikation erst in Pilotspitälern. Für die Zukunft fordert der Experte mehr politische Unterstützung für den raschen Wandel. "Die Entscheidungen der Politik müssen sich mehr an den Ergebnissen der Patienten als an den Sorgen der Ärzte orientieren. Jede Innovation dieser Art braucht gewöhnlich 20 Jahre, bis sie ins Laufen kommt. Die Lösungen vieler Probleme sind bereits da, doch es wäre eine Tragödie, wenn die Einführung derart lange dauert."