Bild: ETH/ Andreas Eggenberger

Wie die Digitalisierung die Hochschulbildung und die Förderung von Talenten global verändert, darüber haben Fachleute aus Wissenschaft und Hochschulbildung kürzlich am sechsten Times Higher Education (THE) World Academic Summit diskutiert. Gastgeber war die ETH Zürich.

Was brauchen Talente, um sich zu entfalten? Was müssen Universitäten und Unternehmen tun, um Talente zu entdecken, auszubilden und zu fördern? Was zeichnet "Talent" aus? Welches Wissen und welche Fähigkeiten sind für die Digitalisierung der Arbeitswelt gefragt? Wie sollen Hochschulen die Studierenden auf den Arbeitsmarkt vorbereiten?

Über diese Schlüsselfragen der Hochschulbildung und der wirtschaftlichen Entwicklung haben dieser Tage über 400 Fachleute aus Universitäten und Bildungspolitik an der ETH Zürich diskutiert. Anlass dazu gab der sechste "World Academic Summit 2019" zum Thema "Wie Talente gedeihen". Die ETH Zürich war die Gastgeberin und organisierte die Veranstaltung für das – für sein Hochschulranking bekannte – Bildungsmagazin "Times Higher Education (THE)".

Der Wandel, den die Wirtschaft derzeit erlebe, sei tiefgreifend. Darin waren sich die Fachleute aus Wissenschaft und Unternehmen einig. Hingegen kann niemand in letzter Konsequenz vorhersehen, wie genau sich die Arbeitswelt durch neue Technologien – Schlagwort etwa: Künstliche Intelligenz – verändern wird, und wann genau welche Sektoren und Produktionsprozesse automatisiert werden. Nicht abschliessend zu beantworten sei deshalb, welche Fähigkeiten die Arbeitnehmenden in naher Zukunft für ihre Jobs haben müssen.

Neue Kompetenzen gefragt

"Bis 2022 werden sich die Kernkompetenzen, die für die Ausübung der meisten beruflichen Aufgaben erforderlich sind, um 42 Prozent verändern", sagte Saadia Zahidi, Geschäftsführerin beim Weltwirtschaftsforum WEF. Dafür sei eine regelrechte "Umschulungsrevolution" (engl. "reskilling revolution") nötig. Tendenziell zeichne sich ab, dass Fähigkeiten wie analytisches und innovatives Denken, aktives Lernen sowie Kreativität, Originalität und Initiative künftig gefragter seien als heute.

Angesichts dieser Entwicklung, in der sich Wissen nicht über bestimmte technische Inhalte definieren lässt, da diese Techniken vielleicht morgen schon veraltet sind, wird lebenslanges Lernen zu einer Schlüsselfähigkeit – zusammen mit der Fähigkeit, komplexe Probleme zu adressieren und fachübergreifend zu lösen. Diese Entwicklung betrifft nicht nur die Hochschulbildung. Doch Hochschulen spielen darin eine zentrale Rolle, da sie die Grundlagen der neuen Technologien erarbeiten sowie die Talente ausbilden, die diese Technologien in der Wirtschaft vorantreiben.

Talent wächst je nach Umgebung

"Talent ist nicht etwas, das die Menschen haben, sondern sie entwickeln es im Austausch zwischen Individuen und der Welt, und Hochschuldozierende sind die Gestalter dafür", sagte Manu Kapur, Professor der ETH Zürich für Lernwissenschaften, und fasste damit die Diskussionen zusammen. Wie Industrie- und Hochschulfachleute aus Asien, Nordamerika und Europa darlegten, verbindet Talent persönliche Qualitäten und zwischenmenschliche Eigenschaften und entwickelt sich je nach Umgebung und den Chancen, die sie bietet, mehr oder weniger.

Die unverwechselbare Rolle der Hochschulen habe mit ihrer Autonomie zu tun. Sie könnten Studierenden eine Umgebung bereitstellen, in der sie forschungsnah lernen könnten und die Chance erhalten, eigene Ideen auszuprobieren. Wesentlich dabei sei, dass die Universitäten ihren Studierenden vermittelten, dass man in einem Forschungsprozess auch scheitern könne und entsprechend Widerstandsfähigkeit (engl. "resilience") brauche.

Technische und ethische Kompetenzen

Die Hochschulbildung müsse sowohl Faktenwissen und technische Fähigkeiten als auch Problemlösungskompetenz und lebenslange Lernfähigkeit vermitteln. Angesichts des Tempos des technischen Wandels wurde die Wichtigkeit kritischen Denkens, ethischen Wissens, des Gespürs für Anstand (engl. "decency") und des Kostenbewusstseins betont.

Unternehmensvertreterinnen wie Gordana Landen, Chief HR Officer der Adecco Gruppe, und Karin Vey, Executive Innovation Consultant von IBM Research Zurich, hoben ebenso die Bedeutung von lebenslangem Lernen und "reskilling" hervor. In der Diskussion wurde zudem gesagt, dass es dabei nicht nur um attraktive Arbeitsumgebungen gehe, sondern auch um neue Finanzierungsformen der Weiterbildung und die Zusammenarbeit von Unternehmen, Hochschulen und Staaten.

Neben Kooperationen von Hochschulen und Unternehmen werde künftig auch wichtiger, dass Arbeitnehmende in ihrer Karriere mehrmals zwischen Universität und Unternehmen wechseln könnten – zu Arbeits- oder zu Bildungszwecken. Eine Schlüsselrolle komme den Online-Bildungsangeboten zu, da sie breiter zugänglich seien als die Studien- und Weiterbildungsangebote der Hochschulen.

Spaltung der Gesellschaft vermeiden

"Als Hochschulangehörige müssen wir über die Bedürfnisse der Gesellschaft nachdenken und mit den Unternehmen diskutieren, welche Fähigkeiten benötigt werden", sagte Alessio Figalli, Professor für Mathematik an der ETH Zürich. Zu Beginn der Konferenz hatten Joël Mesot, Präsident der ETH Zürich, und Phil Baty, Chief Knowledge Officer von THE, darauf hingewiesen, dass die einseitige Förderung von "Supertalenten" kein nachhaltiges Modell sozialer und wirtschaftlicher Stabilität sei.

"Wenn sich die Kluft zwischen gut Ausgebildeten und Menschen mit geringen Chancen vergrössert, dann ist der soziale Zusammenhalt gefährdet. Soziale Stabilität ist langfristig nur möglich, wenn wir alle Mitglieder der Gesellschaft einbeziehen und ihnen eine breite Perspektive bieten", sagte Mesot. "Universitäten, Regierungen und Industrie sollen alles unternehmen, damit jegliches Talent, woher auch immer es kommt, erkannt wird und zu einer besseren Welt beitragen kann", sagte Baty.

Es kam auch zur Sprache, wie Hochschulen Diversität in Ausbildung, Talent- und Laufbahnförderung ermöglichen können, damit beide Geschlechter und möglichst viele Menschen die Chance erhalten, an der technologischen Entwicklung mitzuwirken. "Es ist sehr wünschenswert, dass wir eine höhere Diversität in der Führung von Hochschulen erreichen", sagte ETH-Rektorin Sarah Springman.
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