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Die Solothurner Aastra Telecom Schweiz AG gilt in der Schweiz als Nummer 1 unter den Anbietern von Kommunikationslösungen für KMUs. Nun ist das Unternehmen von Mitel übernommen und fusioniert worden. ICTkommunikation unterhielt sich mit Managing Director Ulrich Blatter über die aktuelle Situation und die strategischen Schwerpunkte des Unternehmens. Inhaltlich sieht Blatter Trendthmen wie Cloud, Mobile, Big Data oder Videoconferencing als "unseren Sauerstoff" der Zukunft an.

Das Interview führte Karlheinz Pichler (Fotos: Aastra)

Wird nun der Name Aastra in der Schweiz weiterhin Bestand haben, oder nicht?

Der Prozess des Zusammenschlusses ist voll im Gang. Die Marke Aastra ist in Zentraleuropa bestens bekannt und etabliert, deshalb wird in den nächsten Monaten alles beim Alten bleiben, mittelfristig wird die Marke Mitel aber auch in Europa verwendet werden. Bereits heute führen wir von Aastra Telcom Schweiz den Zusatz "A Mitel Company" in unserem Namen.

Wird dasselbe Management weiterarbeiten wie bislang?

Aastra ist in der Schweiz im KMU-Bereich der klare Marktleader. Es wird sicher einige Änderungen geben, vorwiegend in der Organisationsstruktur. Mitel hat eine klare zentralistische Struktur, dies wird sich auch auf den Schweizer Markt auswirken. Grundsätzlich kann davon man davon ausgehen, dass das Management weiterhin seine Aufgaben wahrnehmen wird.

Wird es zu einem Stellenabbau in der Schweiz kommen?

Natürlich werden in Zukunft gewisse Prozesse überprüft und allfällige Doppelspurigkeiten bereinigt werden müssen. Mitel ist in der Schweiz praktisch inexistent, wogegen Aastra – wie erwähnt – klarer Marktleader ist.

Arbeitet man bei Mitel/Aastra auch bereits an der Integration des kürzlich akquirierten skandinavischen Unternehmens Telepo und was wird diese Akquisition Schweizer Aastra-Kunden bringen?

Dazu können wir heute noch nichts sagen. Der Entscheid, wann die Lösungen von Telepo in der Schweiz eingeführt werden, wird auf Konzernebene gefällt. Natürlich hoffen wir, dass das Know-how resp. die Produkte von Telepo auch Schweizer Kunden zugute kommt.

Mit dem Erwerb des Bereichs Enterprise Communication von Ascom setzte Aastra Technologies vor über zehn Jahren seinen Fuss mitten in die Schweiz und Europa. Sie haben mit Aastra Schweiz erst vor wenigen Monaten gross das 10-Jahr-Jubiläum gefeiert. Der damalige Zukauf in der Schweiz war für das kanadische ICT-Unternehmen gleichbedeutend mit dem ersten grossen Expansionsschritt nach Europa. Nun übernimmt Mitel die Aastra. Hatten Sie persönlich mit dieser Übernahme gerechnet?

Überrascht davon war ich nicht. Mit einer Ankündigung in dieser Richtung hatten wir seit längerem gerechnet.

Welche Auswirkungen hat diese Fusion auf Aastra Schweiz generell? Wird es einen Kulturwandel geben?

Wir sind sehr positiv eingestellt. Wichtig ist, dass der Standort Schweiz mit den 220 Mitarbeitenden eine Perspektive erhält und wir weiterhin marktgerechte Arbeitsplätze anbieten können.

Was sagen eigentlich Ihre Kunden zu der Übernahme?

Die Kunden in der Schweiz haben bis jetzt eher neutral auf die Ankündigung reagiert. Natürlich ist jetzt nach dem Closing die Strategie und die Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema. Mitel und Aastra nehmen die Anregungen von unseren Partnern sehr ernst und wir setzen alles daran, die getätigten Investitionen von unseren Partnern und Kunden zu schützen, aber auch eine Migrationsstrategie in die Cloud aufzuzeigen.

Wenn Sie nun die vergangenen zehn Jahre bei Aastra Revue passieren lassen: Welche Rolle hat die Schweiz für den global tätigen Konzern Aastra in dieser Zeit gespielt? Und welches Instrument wird Aastra/Mitel Schweiz im Mitel-Orchester der Zukunft spielen?

Der Telekommunikationsmarkt ist und war weltweit stark unter Druck. Davon bleibt auch die Schweiz nicht verschont. Oberstes Ziel bei uns war es immer, unseren Partnern sowie Kunden mit qualitativ hochstehenden Lösungen und Beratungskompetenz ein seriöser Anbieter von Telekommunikationslösungen zu sein. In der Schweiz betreiben wir zudem ein erfolgreiches Forschungs- und Entwicklungszentrum für KMU-Lösungen. Unser Erfolg auch in turbulenten Zeiten unterstreicht auch ganz klar, dass die Schweiz für den Konzern immer ein wichtiges Land und ein sehr wichtiger Markt ist und war. Schliesslich wurde in Solothurn der Aastra 400 Communication Server entwickelt, die für den Konzern wichtigste Plattform für KMU.

Wie haben Sie selber die letzten 10 Jahre bei Aastra erlebt? Was waren die Höhepunkte? Hat es auch Enttäuschungen gegeben?

Die letzten zehn Jahre gestalteten sich sehr ereignisvoll und es ist praktisch nichts mehr gleich, wie vor zehn Jahren. So sind etwa alle Integrationen (DeTeWe, Matra, Ericsson) ohne Marktanteilsverlust und unter Berücksichtigung der kulturellen Aspekte vonstatten gegangen. Vor zehn Jahren hatten wir noch ein Produkt und zwei Vertriebskanäle. Heute haben wir vier verschiedene Plattformen und eine Multichannelstrategie. Dies heisst aber auch, dass alle Mitarbeitenden sich enorm weiterentwickeln und den neuen Gegebenheiten anpassen mussten. Dies ging bei einigen schneller und bei einigen weniger. Vor zehn Jahren kannten wir den Discount noch nicht, heute ist es fast ein Unwort, denn Qualität und Leistung haben eben ihren Preis, das wissen wir ja alle.

Natürlich gab und gibt es immer noch einige Enttäuschungen, beispielsweise, wenn man einen immensen Aufwand betreibt, um an Ausschreibungen teilzunehmen und schlussendlich auf dem bedeutungslosen zweiten Platz landet. Knapp daneben ist aber eben auch daneben. Ansonsten kann ich nur sagen, es waren extrem dynamische, spannende und erfolgreiche zehn Jahre.

Steht das von Ihnen geleitete Unternehmen eigentlich im engeren Austausch mit anderen europäischen Landesorganisationen? Zum Beispiel mit Deutschland? Gibt es da eine engere Zusammenarbeit? Und wie wird diese Zusammenarbeit in Zukunft aussehen?

Der Kostendruck verlangt von uns dynamische Entscheide. Somit sind wir stets bestrebt, mit anderen Ländern einen Erfahrungsaustausch auf allen Ebenen zu forcieren, ob im Bereich Marketing, Produkteinführung oder bei der Entwicklung. Nur ein kleines Beispiel: Wenn wir Dokumente aus Frankreich übernehmen, sind die Adaptionskosten massiv tiefer, als wenn wir alles selber erstellen. Um diese Wertschöpfung zu forcieren, finden halbjährliche Ländermeetings statt, in denen der Erfahrungsaustausch eine wichtige Rolle spielt.

Die Schweizer Zentrale von Aastra in Solothurn ist gleichzeitig eines von global sechs Forschungs- und Entwicklungszentren von Aastra. Auf welchen Themengebieten liegen derzeit die Forschungsschwerpunkte in der Schweiz?

In der Schweiz betreiben wir ein Kompetenz-Center für Kommunikationslösungen für KMUs. Der Forschungsschwerpunkt liegt dabei auf UCC, also auf Lösungen, die die Kommunikation und Zusammenarbeit in und zwischen Firmen vereinfachen und effizienter gestalten. Ein zweiter Schwerpunkt sind Cloud-Lösungen. Kommunikationslösungen werden immer mehr standortunabhängig in der Cloud angeboten.

Im Soge des Vormarsches der IP-Telefonie führte Aastra im Jahre 2011 die Aastra 400 Familie ein. Dabei handelt es sich um einen Kommunikationsserver, der in der Schweiz entwickelt wurde. Was kann so ein Gerät alles?

Im Kommunikationsserver Aastra 400 sind sämtliche Kommunikationslösungen integriert. Von der klassischen Telefonie über die mobile Kommunikation (inhouse und Smartphones) bis hin zur Integration von vertikalen Lösungen. Alle diese Dienste sind in einem einzigen Server nahtlos integriert. Somit können Firmen ihre interne und externe Kommunikation effizienter gestalten. Zudem wird der Betrieb und Unterhalt dieser Kommunikationslösungen stark vereinfacht. Das spart wiederum viel Zeit und Kosten.

Wie ist es derzeit um den Schweizer Markt für IP-Telefonie generell bestellt? Wie stark spüren Sie hier etwa die Konkurrenz von Cisco oder Microsoft und wie können Sie gegen diese längerfristig bestehen?

Der Markt ist sehr heterogen, gemäss diverser Studien sollte es schon lange nur noch IP-Telefonie geben. Die Technologie ist nicht das Problem, wir sind bereit. Die IP-Telefonie erfordert eigentlich vom Kunden ein VoIP-bereites Netzwerk mit Sprachpriorisierung Netzwerk. Bei Grosskunden sind diese Investitionen eher realisierbar als im KMU-Markt. Zudem muss der Kunde bereit sein, sein Netzwerk mit der Sprache zu belasten und so wechselt die Verantwortung für eine qualitative Gesprächsübertragung zur IT. Da unsere Lösungen die IP-Telefonie bereits beinhalten, nehmen wir die Mitbewerber zwar wahr, besorgt sind wir trotzdem nicht.

Welchen Stellenwert besitzt die telefonische Kommunikation heute grundsätzlich noch, wenn man sie mit anderen Kanälen wie E-Mail, Instant Messaging oder sozialen Netzen vergleicht?

Manchmal trifft das Sprichwort "Totgesagte leben länger" zu, weil die klassische Telefonie bereits vor einigen Jahren für tot erklärt wurde. Die Anbieter haben sich aber schon lange auf die neuen Kundenbedürfnisse eingestellt. Wir vertreiben heute topmoderne IP-Lösungen, welche alle neuen Medien unterstützen und trotzdem stellen wir immer noch ein Bedürfnis nach klassischer Telefonie fest. Die Firmen in der Schweiz setzen unsere Lösungen ein, um ihr Geschäft wirtschaftlicher zu gestalten, nutzen jedoch eigentlich nur einen Bruchteil unserer Gesamtlösung.

Wenn man heutige Unified Communications Projekte ansieht, - auf welche Art und Weise telefonieren die Mitarbeitenden eines Unternehmens heute bevorzugt? - Mit Software-UC-Client (Softclient) und Headset, mit klassischem oder schnurlosem IP-Telefon?

Das ist ganz unterschiedlich und von der Branche abhängig. Wir sind beispielsweise im Hospitality-Bereich Marktleader. In dieser Branche werden nach wie vor Hardphones eingesetzt, weil die Nutzung einfacher ist. Im Gegensatz dazu werden bei Verwaltungen Softclients sicher schneller akzeptiert. Wichtig ist nicht "Softclient versus IP-Telefon", sondern, dass wir als Anbieter für jeden Kunden die passende Lösung anbieten können.

Sie haben in Solothurn ja auch eine eigene Design-Abteilung. Wie wichtig ist den Anwenderunternehmen eigentlich das Design der IP-Telefone? Wie wichtig die Ergonomie?

Design und Ergonomie sind Schlüsselfaktoren für gute Kommunikationslösungen. Nur Geräte, die einfach zu bedienen sind, werden von den Kunden auch akzeptiert und geschätzt. Dazu gehört selbstverständlich auch ein entsprechendes Erscheinungsbild.

Cloud Computing, Social Media, Mobile und Big Data gelten momentan als grosse Trends in der IT, die das klassische Bild der Unternehmens-IT ziemlich aus den Fugen reisst. Was für Einflüsse haben solche Trends auf ein Unternehmen wie Aastra/Mitel? Wie reagieren Sie darauf?

Solche Trends sind für uns natürlich sehr wichtig und quasi unser "Sauerstoff" für die Zukunft. Daher verfolgen wir diese Trends sehr intensiv, denn sie haben natürlich auch einen Einfluss auf die Anforderungen an den Vertriebskanal. Wir sind überzeugt, dass es mit der Cloud eine Migration hin zur IT-Welt geben wird. Wir bauen Prototypen, nutzen diese selber im Unternehmen oder testen sie bei ausgewählten Kunden, bevor wir sie auf den Markt bringen.

Wo sehen Sie im laufenden Jahr – neben dem Integrationsprozess mit Mitel - die grössten inhaltlichen Herausforderungen für das Unternehmen?

Die Trends gehen wie bereits erwähnt in Richtung Cloud Computing, Mobile Solutions bis hin zu Video Conferencing. Eine grosse Bandbreite wird sich öffnen. Wir setzen daher vermehrt auf Erweiterungen, also beispielsweise auf Applikationen, die auf die Anforderungen der Kunden ausgerichtet sind und für sie einen klaren Mehrwert bedeuten. Die Kommunikationsanlage wächst mit dem Unternehmen des Kunden und mit seinen Bedürfnissen. Im Weiteren müssen wir unsere Vertriebskanäle den veränderten Bedingungen anpassen, aber auch unsere Mitarbeitenden müssen die Migration in die neuen Tätigkeitsfelder schaffen. Ich bin sehr optimistisch, weil wir solche Technologieänderungen bis jetzt immer bewältigt haben und unseren Marktanteil verteidigen konnten.

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Ulrich Blatter: \"Der Prozess des Zusammenschlusses mit Mitel ist voll im Gang. Mittelfristig wird die Marke Mitel auch in Europa verwendet werden.\"
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Ulrich Blatter: \"Der Forschungsschwerpunkt liegt in der Schweiz auf UCC, also auf Lösungen, die die Kommunikation und Zusammenarbeit in und zwischen Firmen vereinfachen und effizienter gestalten. Ein zweiter Schwerpunkt sind Cloud-Lösungen. Kommunikationslösungen werden immer mehr standortunabhängig in der Cloud angeboten.\"
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Ulrich Blatter: \"Trends wie Cloud Computing, Mobile, Big Data oder Video Conferencing sind für uns sehr wichtig und quasi unser \"Sauerstoff\" für die Zukunft.\" (Fotos: Aastra)