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Der international tätige Personaldienstleister Hays, dessen Schweizer Zentrale sich in Zürich befindet und der ein besonderes Augenmarkt auf die IT hat, bringt Unternehmen sowie Fach- und Führungskräfte zusammen. Im Interview mit ICTkommunikation erläutern Patricia Jergen und Thorsten Morschheuser, Team Leaders Permanent IT bei der Hays (Schweiz), inwieweit neue Arbeitszeitmodelle, digitalisierte Arbeitsplätze, permanente Weiterbildungsanforderunen und neue Technologien auf das Vorgehen eines Recruitment-Unternehmens Einfluss nehmen.

Interview: Karlheinz Pichler

ICTkommunikation: Um die Herausforderungen der Digitalisierung zu bewältigen, setzen immer mehr Unternehmen und Organisationen auf neue Arbeitsmodelle, moderne Arbeitsplätze und Weiterbildung für ihre Mitarbeitenden. Was für einen Einfluss haben solche Entwicklungen auf einen Personaldienstleister wie Hays?

Patricia Jergen: Neue Arbeitsmodelle oder moderne Arbeitsplätze sind seitens der Kandidaten gewünscht, ja schon fast eine Voraussetzung, damit sie sich für ein Unternehmen entscheiden. Wollen sie für Fachkräfte attraktiv sein, müssen die Firmen dies also anbieten.

Thorsten Morschheuser: Früher ging man selbstverständlich davon aus, dass ein Arbeitsplatz über einen Schreibtisch und einen Computer verfügt. Heute wird gefragt: Welche Art von Tisch? Gibt es ein Stehpult? Handelt es sich beim Computer um einen Mac oder PC? Stehen zwei Bildschirme zur Verfügung? Erhält der neue Mitarbeiter einen eigenen Arbeitsplatz? Ist Byod möglich? Diese Fragen sind wichtiger denn je, denn im umkämpften Markt für Fachkräfte hat der Kandidat die Möglichkeit zu wählen. Für uns als Rekrutierer heisst dies, dass wir hier mehr Vorabstimmung mit unseren Kunden benötigen. Wir wollen den Arbeitsplatz sehen, das Team kennenlernen.

ICTkommunikation: Im IT-Bereich ist der Fachkräftemangel zu einem entscheidenden Kriterium geworden, der etwa im KMU-Bereich mitunter fast geschäftsbedrohende Auswirkungen annehmen kann. Muss man sich mit diesem Mangel als Dauerzustand abfinden oder glauben Sie, dass die angespannte Situation mittelfristig doch langsam entschärft werden kann?

Patricia Jergen: Die Abgängerzahlen an den Informatikhochschulen steigen zwar, sie vermögen die Nachfrage aber noch nicht zu decken. Derweil nimmt die Zuwanderung von Fachkräften ab, weil die gute Wirtschaftslage in Deutschland und Österreich es schwierig macht, die Leute zu einem Umzug in die Schweiz zu bewegen.

Thorsten Morschheuser: Die Lage wird sich daher eher verschärfen, solange die Unternehmen nicht bereit sind, von ihrer klassischen Denkweise abzukommen und den Mangel auch selbst zu bekämpfen. Es gibt nämlich durchaus Möglichkeiten, dem Problem entgegenzuwirken, zum Beispiel durch die Weiterbildung bestehender oder auch neuer Mitarbeiter. Dies betrifft besonders KMU, die bei der Fachkräftesuche ja mit Unternehmen konkurrieren, die eine ungleich höhere Anziehungskraft auf potenzielle Mitarbeiter ausüben. Sie sollten sich nicht darauf versteifen, den hundertprozentig aufs gesuchte Profil passenden Kandidaten finden zu wollen, der möglichst umfangreiche Branchenkenntnisse und genau das gewünschte Technologie-Knowhow mitbringt.

Patricia Jergen: Es ist schliesslich nicht so, dass es in der Schweiz keine Fachkräfte gäbe. Aber die Palette der verfügbaren Technologien, etwa die Zahl von Programmiersprachen, wird immer breiter. Da sollte man bei der Mitarbeitersuche die Scheuklappen ablegen und sich sagen: Wer eine Programmiersprache gelernt hat, der wird auch eine neue lernen. Zudem stellen die Unternehmen oft lieber einen Absolventen an, der noch formbar ist und nicht so teuer wie ein erfahrener Experte. Dabei würden Letztere viel wertvolle Erfahrung mitbringen. Etwas mehr Flexibilität könnte hier ebenfalls dem Fachkräftemangel entgegenwirken.

ICTkommunikation: Können Sie als Personaldienstleister hier KMUs oder Sparten von Grossunternehmen überhaupt noch Hilfestellung leisten?

Patricia Jergen: Ja, selbstverständlich. Gerade KMU, die nicht so bekannt sind, profitieren sehr von der Unterstützung durch einen spezialisierten Dienstleister. Für solche Unternehmen ist es sehr schwierig, an die richtigen Leute heranzukommen. Wir dienen ihnen sozusagen als Verstärker: Wir finden die Kandidaten mit den passenden Profilen und zeigen ihnen, welche spannenden Perspektiven diese Firmen zu bieten haben. Auf den ersten Blick mögen solche Unternehmen auf die Kandidaten nämlich als Arbeitgeber eher unattraktiv wirken. Doch sobald sie mehr über die Hintergründe erfahren, merken die Kandidaten bald, wie spannend eine Position dort sein kann. Von diesen "Hidden Champions" – seien sie im Thurgau, im Aargau oder in St Gallen - gibt es in der Schweiz sehr viele. Oft sind sie technisch weit voraus und bieten spannende Karriereoptionen – für jeden Reifegrad.

Thorsten Morschheuser: Die HR-Abteilung eines KMU rekrutiert auch vielleicht alle zwei Jahre einen Softwareentwickler. Dabei hat sie einen anderen Fokus als wir und kann nicht entscheiden, ob das vorliegende Profil das richtige ist. Oft besitzen Kandidaten Fähigkeiten aus dem privaten Interesse heraus, die in den CVs nicht stehen. So verfügen etwa viele Entwickler aus dem Bereich der Open-Source-Technologien über viel breiteres Knowhow, als man ihren Unterlagen entnehmen kann – weil sie dieses bislang nicht beruflich einsetzen konnten. Als externer Dienstleister haben wir das Netzwerk und den Kontakt zu den Kandidaten und wissen auch um die Dinge, die nicht im CV stehen. Bei der Rekrutierung für internationale Grossunternehmen geht es oft um temporäre Projektarbeit oder die Wartung monolithischer Legacy-Systeme, da stehen andere Herausforderungen im Vordergrund: Zum Beispiel mag der Firmennamen zwar bekannt sein, die Firma wird jedoch von Kandidaten als eher altbacken wahrgenommen. Hier muss man den Kandidaten vermitteln, dass in diesen Unternehmen mitunter unerwartet fortschrittliche und spannende Projekte umgesetzt werden, etwa B2B-Kommunikation mittels Blockchain oder IoT-Lösungen.

ICTkommunikation: Sehen Sie in der Schweiz im Lehrplan 21 grundsätzlich eine Lösung, den IT-Fachkräftemangel wirksam zu begegnen?

Patricia Jergen: Das frühe Heranführen von jungen Menschen an die Herausforderungen des Marktes ist sicherlich nie verkehrt. Das Lernen des Umgangs mit Technologien wie Computer und Tablet ist wichtig, wer das nicht lernt, ist in der heutigen Zeit ja schon etwas verloren. Ob dadurch aber auch mehr Leute ein Interesse an MINT-Fächern entwickeln, bleibt fraglich. Vielleicht hilft es ja, Berührungsängste zu vermindern und insbesondere beim weiblichen Teil der Bevölkerung die Hemmschwelle zu technischen Berufen zu senken. Damit würde dem Fachkräftemangel begegnet.

Thorsten Morschheuser: Ob dies mittelfristig erreicht werden kann oder ein langfristiges Umdenken nötig ist, weiss ich nicht. Auch in anderen technischen Berufen wie etwa den Bauingenieuren hat es ja sehr lange gedauert. Ich frage mich allerdings ganz allgemein, ob die grundsätzliche Einstellung gegenüber Technologie durch die Einführung technischer Geräte an der Schule geändert werden kann. Ich habe Informatik studiert, weil ich mich als neugieriger Mensch von klein auf dafür interessierte, wie die Dinge funktionieren. Mein zehn Jahre jüngerer Bruder ist hingegen mit PC und Smartphone aufgewachsen. Ihn interessiert jedoch nicht wirklich die Funktionsweise, solange es nur läuft.

ICTkommunikation: Aus Sicht der IT: Welches sind aktuell die Boombereiche? Was für Fachkräfte sind besonders gefragt?

Thorsten Morschheuser: Momentan sehen wir einen nachhaltigen Anstieg in den Bereichen Security sowie allen datenintensiven Disziplinen wie Data-Science, Data-Warehousing oder Big Data. Die Nachfrage in diesen Bereichen wird sicher weiterhin stark wachsen.

Patricia Jergen: Dazu zählt auch alles, was mit künstlicher Intelligenz zu tun hat. Auch hier geht es darum, Daten zu verwerten, zu interpretieren und zu schützen. Und die zu verarbeitende Datenmenge wächst laufend, gerade auch wegen der zunehmenden Verbreitung des Internet der Dinge.

ICTkommunikation: Wie wichtig ist mittlerweile das Mobile Recruitment geworden? - Sind die Infrastrukturen, Karriere-Websites, Stellenmärkte oder Tools für das Bewerbermanagement technisch voll dafür eingerichtet?

Thorsten Morschheuser: In manchen Branchen und Bereichen mag Mobile Recruiting wichtig sein, zum Beispiel in Touristik oder Gastronomie, wo die Kandidaten oft auf der Suche sind und häufig Umstrukturierungen vorkommen. Unsere Kunden und Kandidaten zählen jedoch eher nicht dazu. Mobile Recruiting-Lösungen fordern eine gewisse Aktivität der Arbeitssuchenden. Hoch qualifizierte Fachkräfte sind jedoch heiss begehrt und deshalb selten aktiv auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Sie sind daher kaum über Kanäle zu erreichen, die ein hohes Mass an eigener Initiative erfordern. Da kann die mobile Lösung noch so toll sein: Wenn die Fachkräfte nicht darauf angewiesen sind, werden sie sie nicht benutzen.

ICTkommunikation: Welchen Einfluss haben die vielen Business-Social-Media-Plattformen wie Xing, Linkedin mittlerweile auf das Geschäftsmodell eines Personaldienstleisters? Sie sie Hilfsmittel oder Konkurrenz?

Patricia Jergen: Diese Plattformen sind ein essenzieller Bestandteil unseres täglichen Geschäfts. Sie bieten uns einen weiteren Kanal und sind keineswegs eine Konkurrenz. Insbesondere für die internationale Rekrutierung sind diese Plattformen ein sehr gutes Hilfsmittel.

Thorsten Morschheuser: Selbstverständlich nutzen fast alle unsere Kunden Linkedin oder Xing, um ihre offenen Stellen zu veröffentlichen. Diese Plattformen sind deshalb enorm wichtig für sie, um Active Sourcing zu betreiben. Doch in unserem Bereich der hoch qualifizierten Arbeitskräfte reicht das meist nicht aus. Da wird sich kaum jemand mit einem Klick auf eine Bewerbung in den sozialen Netzwerken bei einem Unternehmen bewerben.

Patricia Jergen: Mit unserem persönlichen Netzwerk bieten wir unseren Kunden und Kandidaten den entscheidenden Mehrwert: Wir geben zusätzliche Informationen und begleiten als Partner den Rekrutierungsprozess. Dabei können wir auch neue Türen öffnen, die aufgrund der Ausschreibung nicht erkennbar waren. Tatsächlich sehen wir denn auch oft, dass die Stellenausschreibung auf Linkedin und Xing mehr dem Marketing dient als der ernsthaften Suche.

ICTkommunikation: Und sehen Sie in Plattformen wie etwa cvcloud.ch auch eher Hilfsmittel als Konkurrenz?

Thorsten Morschheuser: Auch diese Plattformen sehen wir nicht als Konkurrenz; sie bedienen andere Kanäle und andere Bedürfnisse als ein spezialisierter Dienstleister. Im Gegenteil: Wir benutzen sie ebenfalls, um unsere Anzeigen zu veröffentlichen.

ICTkommunikation: Welches sind grundsätzlich Ihre wichtigsten Tools, die wichtigsten Kanäle, um mögliche Kandidaten anzusprechen?

Patricia Jergen: Das ist sehr unterschiedlich und hängt vom gesuchten Profil, der Region, den Wünschen der Kunden und weiteren Faktoren ab.

Thorsten Morschheuser: Das eigene Netzwerk, ob persönlich oder auch via Social Media, die bekannten Kandidaten aus unserem System, Foren und Gruppen, Events und Messen, Hackathons und Conventions, eigene Websites, klassische Werbung, Anzeigen in digitaler oder auch schriftlicher Form – all das sind Möglichkeiten mit denen wir arbeiten, je nachdem, was sinnvoll oder gewünscht ist.

ICTkommunikation: Künstliche Intelligenz, Deep Learning, Automatisierung – durch solche Strömungen werden immer mehr Arbeitsbereiche automatisiert. Sehen Sie in Anbetracht solcher Entwicklungen nicht die Felle eines Personaldienstleisters langsam davonschwimmen?

Thorsten Morschheuser: Wollen Sie jemanden am Schreibtisch neben sich haben, den der Computer für Sie ausgewählt hat, oder lieber jemanden, der auch menschlich und von seinen Interessen her zum Team passt? Natürlich werden die Algorithmen laufend schlauer. Aber ein Algorithmus wird mir nie das Gefühl für den Kunden vermitteln können. Unternimmt das Team abends noch zusammen etwas, oder wollen alle direkt nach Hause? Besteht das Team aus begeisterten Mountainbikern? Fehlt noch ein Teilnehmer für das Firmenfussballteam? Dasselbe bei Kandidaten, auch da erhalte ich viele Informationen nur im direkten Kontakt. Wir glauben deshalb fest daran, dass die Rekrutierung auch weiterhin ein "People Business" sein wird und des direkten menschlichen Kontakts bedarf - sicher jedoch unter Zuhilfenahme von digitalen Trends.

Patricia Jergen: Ob dies für alle Bereiche gilt, bleibt abzuwarten. Möglicherweise gibt es Berufsfelder, bei denen es um sehr kurze temporäre Einsätze von ein paar Wochen geht und es nur auf harte fachliche Qualifikationen ankommt, wo Algorithmen zukünftig helfen könnten. Oder auch in der Vorselektion nach gewissen Faktoren, um ungeeignete Profile gleich auszusortieren. Auch hier werden die wichtigen Entscheidungen jedoch durch den Menschen fallen.

ICTkommunikation: Das Jahr neigt sich dem Ende zu – mit welchen Erwartungen geht Hays ins nächste Jahr? Wo sehen Sie für einen Personaldienstleister mittelfristig die grössten Herausforderungen?

Thorsten Morschheuser: Die Schweizer Wirtschaft wird sich aufgrund des Drucks der Digitalisierung weiter wandeln. Die Bedeutung von Hochtechnologie und derer Entwicklung wird weiter zunehmen, weshalb auch mehr Fachkräfte benötigt werden. Unsere Branche muss und kann die Unternehmen bei der Suche mit neuen Denkansätzen unterstützen – zum Beispiel beim Thema Weiterbildung: Unternehmen verstehen noch zu oft nicht, dass es in der Regel einfacher ist, einen loyalen und lernbereiten Mitarbeiter mit zusätzlichem Wissen auszustatten, als den perfekten Bewerber zu finden, der über das erwünschte Knowhow verfügt und darüber hinaus auch in das Team und in die Firma passt.

Patricia Jergen: Als Dienstleister müssen wir dabei immer offen für Veränderungen im Markt bleiben, damit wir unsere Services schnell adaptieren und bei Bedarf unser Geschäft neu aufstellen können. Wir dürfen uns nicht einfach im klassischen Rekrutierungsmarkt bequem einrichten, sondern müssen zuhören, was im Markt gefragt ist und was die Kunden von uns wollen. Wir verstehen uns als partnerschaftlichen Dienstleister: Lösungen und Services sind austauschbar – letztendlich bieten wir, was der Kunde benötigt. Wir sehen deshalb der Zukunft mit Optimismus entgegen.

Patricia Jergen, Team LeadersPermanent IT bei der Hays (Schweiz) AG (Bild: zVg)
Patricia Jergen, Team LeadersPermanent IT bei der Hays (Schweiz) AG (Bild: zVg)
Thorsten Morschheuser, Team Leader Permanent IT bei der Hays (Schweiz) AG (Bild: zVg)
Thorsten Morschheuser, Team Leader Permanent IT bei der Hays (Schweiz) AG (Bild: zVg)