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Obsoleszenz in der Informationstechnik: Eine Reihe von IT-Produkten hat eine weit kürzere Lebensdauer bezüglich Verwendbarkeit und Unterstützung (Service) als möglich wäre. Deren Lebensende ist schon im Voraus festgelegt.

Drucker, Handys, MP3-Player, PC-Erweiterungskarten - bei vielen dieser Produkte ist das Lebensende bereits im Voraus geplant. Zudem lohnt sich nur in den seltensten Fällen die Reparatur defekter Geräte: Die Verbraucher müssen einen neuen Artikel kaufen. Die künstliche Verkürzung der Lebensdauer eines Industrieerzeugnisses nennt man „geplante Obsoleszenz“ (Veralterung). Hierbei werden von den Ingenieuren bewusst Schwachstellen oder Stoffe schlechter Qualität in das Produkt eingebaut.

Ein uraltes Phänomen: Bereits 1928 stelle ein Industriegremium fest: „Ein Artikel, der sich nicht abnutzt, ist eine Tragödie fürs Geschäft“. Die Geschichte der geplanten Obsoleszenz hatte bereits 1924 mit der Schaffung eines Glühbirnenhersteller-Kartells begonnen. Das legendäre Phöbus-Kartell begrenzte kurz nach seiner Gründung die Glühbirnenlebensdauer von durchschnittlich 2500 auf 1500 und kurz darauf auf 1000 Stunden. Seitdem ist Geräte-Obsoleszenz fester Bestandteil der Konsumgesellschaft. Obsoleszenz kann aber auch einzelne Bauteile betreffen, so muss etwa der häusliche Gas-Brenner vielfach einer teuren Wartung unterzogen werden, weil billige Dichtungen und Bauteile ersetzt werden müssen.

Immer neue Anforderungen

Klassische Beispiele von Obsoleszenz sind bestimmte MP3-Player, Smartphones, Notebooks, Bluethooth-Headsets und Zahnbürsten, bei denen sich die fest eingebauten Akkus nicht wechseln liessen. Mit einem leeren Akku war auch das Abnützungsdatum der Geräte erreicht. Manchmal kommen von Anfang an schwächelnde Produkte auf den Markt. Man erinnere sich an defekte Monitore von Apple, schwache iPod-Akkus und minderwertige CCD-Sensor-Chips von Sony. Vermutlich wurden die Geräte ausgeliefert, ohne eine Qualitätskontrolle bestanden zu haben; so wie bei einer Reihe von neuen Handy die Software nicht richtig ausgestestet wurde.

Eine andere Variante ist der PC mit seinen permanenten Funktionsausweitungen: Die Softwarespirale (etwa Windows 3.0, Windows XP, Windows Vista), der ständig steigende Aufwand für die graphische Benutzungsoberfläche und die Erweiterung der Internet-Funktionalität führten dazu, dass ein PC schon nach kurzer Zeit gealtert und für aktuelle Anforderungen nicht mehr geeignet war. Ganz plötzlich können Geräte Dritter zum Alteisen gehören, etwa ältere WLan-Karten, indem sie nicht mehr von Windows 7 unterstützt werden oder für Windows 7 kein Treiber erhältlich ist.

Abkündigungen

Zur Obsoleszenz kann es ferner dadurch kommen, dass ein Bauteil vom Originalhersteller nicht mehr oder nur nach einer mühsamen und kostspieligen Suche erhältlich ist. Aus der Sicht des Nutzers stellt sich Obsoleszenz dann als Schwierigkeit dar, Nachschub zu erhalten. Beispiele finden sich bei den Embedded-Systemen in der Medizin und Automation: Die Geräte liessen sich wegen nicht mehr erhältlicher Bauteile nicht mehr reparieren, nachdem die Bauteile „abgekündigt“ wurden, wie es im Jargon heisst.

Von psychologischer Obsoleszenz wiederum spricht man, wenn Anwender immer das Neueste und Schickste haben wollen. Ein Beispiel ist der Ersatz von Analog-Kameras zu digitalen Kameras und der dauernde Wechsel der Digitalkameras. An sich wären Analog-Kameras weiterhin nutzbar. In diese Kategorie fällt auch die neue Textverarbeitung. Die neuen Features, die häufig viele gar nicht brauchen, werden gerne von den Werbeabteilungen der Firmen und den Medien gehypt; den Anwendern wird suggeriert, man müsse immer das neueste Betriebssystem haben.

Innovationskraft

Böse Zungen behaupten, dass Konzerne einen Teil ihrer Innovationskraft und Ingenieurskust längst nicht mehr für die Optimierung von Produkten aufwenden, sondern für die Verfeinerung von Verschlechterungssystemen. Drucker erkennen Patronen anderer Marken und drucken damit in schlechterer Auflösung; nach einer bestimmten Seitenzahl drucken Patronen nicht mehr weiter, obwohl sich noch Farbe in der Patrone befindet. Digitalkameras entladen Akkus schneller, wenn diese nicht vom Hersteller stammen.

Eine weitere Trickserei beschreibt der US-Blogger Benjamin Mako Hill mit dem Begriff „Antifeateures“. Hierbei werden technische Produkte in der Produktion vorsätzlich verschlechtert, Prozessoren beispielsweise intern mit Hilfe von Software so kastriert, dass sie sich in unterschiedlichen Preissegmenten verkaufen lassen. Intel bietet für manche Modelle eine „Intel Upgrade Card“ an, mit der sich per Online-Zugriff eine höhere Rechenleistung einstellen lässt. Kein Wunder, dass findige Spezialisten immer mal Firmware austricksen, um solche Sperren zu überwinden.

Schwungrad für den Hersteller

Viele Verbraucher wollen sich nicht mehr mit diesem System abfinden. Laut einer Erhebung des Berliner Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) würden 87 Prozent der Menschen lieber Geräte zur Reparatur bringen als sie in den Müll werfen. Doch werden diese beim nächsten Kauf tatsächlich darauf achten, ob ein Gerät zuverlässig ist, ob man upgraden kann und tatsächlich die neue Version benötigt? Gleichzeitig ist es für 36 Prozent nämlich wichtig, dass Gekauftes dem aktuellen modischen Trend entspricht.

Immerhin haben mittlerweile grosse IT-Anwender in der Verkehrs-, Industrie- und Medizintechnik mit einem Obsolescence-Management begonnen, um sich frühzeitig Alternativen auszudenken, aktiv Kapazitäten zu planen und um Substitute zu recherchieren. Betriebssoftware wie SAP verfügen bereits über ein Obsoleszenzmodul. Im Gegensatz dazu haben sich die Hochschulen bislang kaum mit dem Thema Obsoleszenz beschäftigt.

Als künstlicher Nachfrageschub hält Obsoleszenz das westliche Wirtschaftssytem in Schwung, schafft aber riesige Elektroschrottdeponien und Umweltschäden. Vielleicht sollte man sich hier ausnahmsweise mal was am Mittelalter abschauen: Damals gab es Gesetze, wonach die Produzenten bewusst verschlechterter Güter in Ketten gelegt, an den Pranger gestellt werden und schmerzhafter Züchtigung unterzogen werden konnten. So wurden Bäcker, deren Brote zu leicht waren, in Zürich und anderen Städten in Europa in einen eisernen Käfig gesteckt, der zur Belustigung der Zuschauer zeit- und teilweise unter Wasser gehalten wurde.

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