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Wissenschaftler von fünf europäischen Hochschulen, darunter die ETH Zürich, haben eine Cloud-Computing-Plattform entwickelt, die es Robotern erlaubt, gelerntes Wissen auszutauschen und Berechnungen online durchzuführen. Die Roboter können so neue Fertigkeiten lernen und komplett neue Aufgaben übernehmen.

Es ist 10.00 Uhr vormittags in einem Krankenhaus. Roboter Bob soll einer Patientin eine Flasche Mineralwasser bringen. Er ortet den Kühlschrank, nimmt die Flasche heraus und realisiert, dass sich neu nicht Liter-, sondern Halbliterfalschen darin befinden. Trotzdem kann er sie greifen und sie der durstigen Patientin bringen. Später verteilt Roboter Carlos auf demselben Stockwerk Medikamente. Obwohl auch er ursprünglich auf Literflaschen programmiert war, kann er problemlos die leere Halbliterflasche abräumen.

Damit diese und ähnliche Szenarien Realität werden können, haben Wissenschaftler von fünf europäischen Universitäten eine Cloud-Computing-Plattform für Roboter entwickelt. Das Ganze funktioniert ähnlich wie Wikipedia mit dem Unterschied, dass nicht Menschen die Plattform nutzen, um etwas Neues zu lernen oder neu erworbenes Wissen zu teilen, sondern Roboter. Sie klinken sich in die von den Wissenschaftlern entwickelte Online-Datenbank «Roboearth» ein, wo sie sich Wissen zu täglichen Aufgaben oder Alltagsobjekten aneignen, vertiefen und miteinander teilen können. Doch Wissen allein genügt nicht für intelligentes Verhalten. Damit die Roboter das erworbene Wissen auch anwenden können, haben die Forscher «Roboearth» um eine Cloud-Processing-Plattform erweitert, die es Robotern erlaubt, komplexe Handlungenabläufe und Aufgaben zu lösen.

«Unsere Idee ist, die riesige Rechenleistung grosser Daten- und Rechenzentren, wie sie zum Beispiel Google oder Amazon nutzen, einzelnen Robotern zur Verfügung zu stellen», erklärt Markus Waibel, Senior Scientist an der ETH Zürich und Projekt-Manager von «Roboearth». So können schnellere, leichtere und intelligentere Roboter entwickelt werden, weil nur noch ein Bruchteil der Berechnungen in der Maschine selbst ablaufen muss und die Entwickler auf einen Grossteil der schweren und teuren Hardware verzichten können. Mit einer einfachen Antenne ausgerüstet, können Roboter über WLAN das gesammelte Wissen der Roboter-Gemeinde anzapfen.

Damit «Roboearth» funktioniert, müssen sich die Roboter untereinander austauschen können. Markus Waibel und seine Kollegen am Institut für Dynamische Systeme und Regelungstechnik entwickeln die Lernalgorithmen für das Projekt. Diese ermöglichen Robotern einfache Aufgaben – wie beispielsweise das Öffnen einer Türe – selbst zu lernen. Die Wissenschaftler nutzen aber auch statistische Methoden, um den Robotern beizubringen, aus der grossen Datenmenge generell gültige Muster herauszufiltern, die dann als Vorlage für neue Aufgaben dienen können.

Robotikwelt mit 3000 Algorithmen

Besonders interessant ist die Cloud-Computing-Plattform für mobile Roboter wie Drohnen oder autonome Fahrzeuge, die viel Rechenleistung benötigen, um an einem bestimmten Ort navigieren zu können. Doch Waibel sieht auch Anwendungsmöglichkeiten für Service- oder Fabrikroboter, die sich in einem menschlichen Umfeld zurechtfinden müssen. «Ein Roboter ist mit alltäglichen Situationen, wie beispielsweise der grossen Auswahl an Artikeln in einem Supermarkt, schnell überfordert», erklärt er. «Wenn der Roboter ein Foto eines beliebigen Artikels an eine Online-Plattform senden könnte, welche die Bildinformation so verarbeitet, dass er die Produktinformationen abrufen kann, dann könnte das seinen Einsatz im Supermarkt – und im Haushalt – erleichtern».

Einzelne Forschungsgruppen verschiedener Universitäten und Firmen nutzen Cloud-Computing bereits für spezifische Robotik-Anwendungen. Mit der „Roboearth-Cloud-Engine“ wurde nun aber erstmals eine Open-Access-Plattform geschaffen. So können Entwickler über die Cloud zum Beispiel auf die über 3000 Algorithmen, die im Rahmen des Roboterbetriebssystems ROS zur Verfügung stehen, zugreifen und sie ohne Modifikation auch dort verarbeiten.

Roboearth offen für alle

Datenaustausch bringt aber nicht nur Vorteile, sondern birgt auch Risiken. Insbesondere wenn Roboter in Umfeldern mit sensitiven Daten, zum Beispiel in privaten Firmen oder in Krankenhäusern, eingesetzt werden sollen. Die Entwickler von «Roboearth» haben sich deshalb auch Gedanken über den Datenschutz gemacht. Innerhalb der Plattform sind die Benutzer frei, einzelne Bereiche mit einem Passwortschutz zu versehen – also eine Art Intranet innerhalb der Cloud zu bilden.

Die Wissenschaftler präsentieren die Alpha-Version nun am EU Robotics Forum in Lyon. Ab sofort haben EntwicklerInnen weltweit die Möglichkeit, die Datenbanken und Rechenzentrale von «Roboearth» zu nutzen und auszuprobieren. «Wir sind gespannt auf die Rückmeldungen und freuen uns schon sehr auf die Ideen von anderen Forschern, wozu man die Plattform auch noch nutzen könnte», sagt Markus Waibel. Zusammen mit den Kollegen des «Roboearth»-Projekts erarbeiten die Wissenschaftler nun konkrete Fallbeispiele für Roboter, um die Plattform selber zu testen. Bereits im Sommer dieses Jahres soll die Betaversion vorliegen.

Roboearth

Das «Roboearth»-Projekt ist eine Initiative von Wissenschaftlern der Technischen Universität Eindhoven, der Universität Stuttgart, der Technischen Universität München, der Universität Saragossa, des Industriepartners Philips und der ETH Zürich. Das Projekt wurde von der EU-Kommission finanziert.



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