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Entwicklungen wie Cloud-Computing, Industrie 4.0, IoT oder Mobile haben unmittelbare Auswirkungen auf künftige Arbeitsplätze, berufliche Rollen sowie Aus- und Weiterbildungskonzeptionen. Marc Lutz, Managing Director von Hays Schweiz, zeigt im Interview mit ICTkommunikation auf, wo für einen Personalrekrutierer aktuell und künftig die grössten Herausforderungen liegen. Das Interview führte Karlheinz Pichler.

ICTkommunikation: Hays hat kürzlich den "Fachkräfte Index Schweiz IT" veröffentlicht. Auf die einzelnen Fachbereiche bezogen fällt hier auf, dass sich die Nachfrage in manchen Berufsfeldern heute kaum vor jener vor drei Jahren unterscheidet, auch wenn es dazwischen ein Auf und Ab gab, während hingegen etwa die Nachfrage nach Netzwerkadministratoren und SAP-Beratern heute deutlich geringer ausfällt. Was ist die Ursache dafür? Hängt dies mit neuen Themen wie etwa die Auslagerung der IT in die Cloud oder IT on Demand zusammen?

Marc Lutz: Der Rückgang der Netzwerkadministratoren lässt sich ganz offensichtlich zumindest teilweise auf die Cloud-Thematik zurückführen. Die Verbreitung der Cloud-Technologie verändert nicht nur die IT-Infrastruktur in Unternehmen, sondern auch Prozesse grundlegend. In der Folge entstehen völlig neue Rollen in der Netzwerktechnik wie beispielsweise der Cloud-Engineer oder die Cloud-Storage-Spezialistin, während der traditionelle Netzwerkadministrator weniger gefragt ist. Grundsätzlich denke ich aber, dass Netzwerktechnik weiterhin ein sehr lukratives Feld für alle ICT-Spezialisten ist. Man muss sich heute nur stärker auf Teilbereiche fokussieren, da die technischen Umgebungen sehr viel komplexer geworden sind. Bei den SAP-Beratern ist die Situation nicht ganz eindeutig. Der Rückgang hat sicher mit der zunehmenden Verbreitung von Konkurrenzprodukten wie Microsoft Dynamics ERP zu tun.

Wir stellen aber trotz allem fest, dass SAP in der Schweiz nach wie vor weit verbreitet ist und entsprechende Spezialisten deshalb sehr gefragt sind. Experten mit ausgewiesenem Know-how in einzelnen Modulen sind noch immer geradezu Mangelware. Die Spezialisierungen Anwendungsentwicklung und IT-Support profitieren hingegen von ihrer breiten Definition und ihrer Flexibilität bei der Anpassung an neue Gegebenheiten. Mit welcher Technologie jemand arbeitet, zum Beispiel mit einer alten oder einer modernen Programmiersprache, spielt bei der Stellenbezeichnung keine Rolle. Gerade Programmierer müssen am Ball bleiben, sich laufend weiterentwickeln und neue Technologien und Architekturen kennenlernen. Dies führt dazu, dass die Anzahl der Jobs in diesem Bereich tendenziell wächst.

ICTkommunikation: Auch allgemeine IT-Berater und Projektleiter sind offenbar stärker gefragt. Hat dies dieselben Ursachen?

Marc Lutz: Ganz allgemein werden wieder vermehrt neue IT-Projekte angestossen, was unter anderem auch mit dem Thema Cloud zusammenhängt. Weil sie in den letzten Jahren die Modernisierung ihrer IT verschlafen haben, müssen viele Unternehmen dies nun nachholen. Applikationen müssen web- und mobilefähig gemacht und die Infrastruktur effizienter aufgestellt werden – mittels Automatisierung oder eben auch mit Cloud-Lösungen. Andere Unternehmen nehmen Innovationsprojekte in Angriff, um als „First Mover“ im Markt zu agieren und damit der Konkurrenz voraus zu sein.

"ES WERDEN VERMEHRT NEUE IT-PROJEKTE ANGESTOSSEN!" (Marc Lutz)

ICTkommunikation: Sehen Sie die aktuelle Entwicklung des Schweizer Stellenmarktes positiv oder negativ?

Marc Lutz: Der Einbruch des Indexes im zweiten Quartal 2015 infolge des starken Schweizer Frankens konnte überwunden werden. Der Markt hat sich wieder stabilisiert, und die Unsicherheit legt sich. Hatten die Unternehmen im zweiten Quartal des letzten Jahres noch deutliche Zurückhaltung an den Tag gelegt, zeigte sich die Nachfrage bereits zum Jahresende hin wieder vergleichsweise robust. Inzwischen hat sie sich wieder auf dem Stand von 2013 normalisiert. Ich gehe hier auch weiterhin von einem leicht positiven Trend aus.

ICTkommunikation: Der schweizerische IT-Anbieterverband Swico forderte kürzlich im Rahmen einer Aussendung eine deutlich stärkere Ausrichtung der Kontingentszahlen für ausländische Arbeitskräfte auf die Bedürfnisse der Schweizer Wirtschaft. In Zeiten der Frankenstärke und des Brexits seien Schweizer Unternehmen auf eine minimale Flexibilität des Arbeitsmarktes angewiesen, um Firmen und Stellen im Inland zu halten, betonte der Verband. Wie stehen Sie als Personalvermittler zu dieser Forderung und inwieweit ist Hays selber von solchen Kontingentierungen betroffen? Immerhin hat ja der Bundesrat im Zuge der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative schon für 2015 und auch für 2016 die Kontingente für Dienstleistungserbringer aus EU/Efta-Staaten und Drittstaaten markant gekürzt.

Marc Lutz: Da die administrative Abwicklung aufwendig ist und die Erfolgsaussichten eher gering sind, greifen wir schon heute sehr selten auf Spezialisten aus Drittstaaten zurück. Der EU-Raum bietet aktuell noch sehr viel Potenzial, und wir können die Nachfrage damit weitgehend decken. Bei einer strengen Anwendung der Masseneinwanderungsinitiative könnten allerdings manche Projekte nicht mehr mit den besten Ressourcen besetzt werden. Das hätte möglicherweise zur Folge, dass unsere internationalen Kunden diese Projekte ganz ins Ausland verlagern. Für die Schweiz als IT-Standort hätte dies bedeutende Auswirkungen, da die höheren Löhne in der Schweiz auch aufgrund der hohen Verfügbarkeit von Spezialisten gerechtfertigt werden. Klar zu spüren ist, dass das Image der Schweiz durch die Annahme der Initiative bereits gelitten hat. Viele Ausländer fühlen sich nicht willkommen und wollen gar nicht erst in der Schweiz arbeiten.

ICTkommunikation: Die explosionsartige Nutzung von Mobilgeräten, immer und überall, hat sowohl das Berufs- als auch das Privatleben komplett umgekrempelt. Der Generation von heute wird ein Tablet oder Smartphone buchstäblich in die Wiege gelegt, so dass man sie "Digital Natives" taufte. Untersuchungen belegen, dass das Leben in der interaktiven, durch rasche Rückmeldungen geprägten Multimedia-Umgebung sogar die Hirnstrukturen der Digital Natives verändert hat.

Werden heutige Bildungsansätze solchen Fähigkeiten noch gerecht? Klaffen die Fähigkeiten von Ausbildungsabsolventen und die Anforderungen in der Praxis nicht immer stärker auseinander? Denn trotz aller digitalen Versiertheit mangelt es den "Digital Natives" an grundlegendem IT-Know-how.

Marc Lutz: Unsere Erfahrung zeigt, dass die Bildungseinrichtungen bei IT-bezogenen Studiengängen sehr wohl mit der Zeit gehen und mit neuen Technologien arbeiten. Die frisch ausgebildeten IT-Fachkräfte erfüllen die Anforderungen in der Praxis zu einem hohen Grad. Dennoch ist es nicht zu vermeiden, dass Bildungsansätze neuen Anforderungen an die Kompetenzen von Mitarbeitern hinterherhinken. Bis Ausbildungs- und Lehrpläne angepasst werden, dauert es mindestens ein bis drei Jahre. Was die Digital Natives betrifft, möchte ich zwei Punkte anmerken: Erstens ist das ständige hin und her auf Smartphones nicht förderlich für die Konzentration. Vielen Digital Natives fällt es schwer, länger an einem Thema zu bleiben, erst recht in der schnelllebigen Arbeitswelt. Zweitens sind gerade die neuen Apps so smart zu bedienen und so nutzerfreundlich, dass dafür keinerlei IT-Kenntnisse mehr nötig sind. Früher war vieles noch ungleich komplizierter. Anwender mussten über ein Grundwissen verfügen, um mit ihrem Computer und mit Software umgehen zu können. Heute wird die Nutzung durch Learning by Doing erlernt, weswegen es nicht zwingend nötig ist, im Bildungssystem explizit darauf einzugehen. Man muss ja auch nicht wissen, wie ein Auto genau zusammengebaut ist, um es zu fahren.

ICTkommunikation: Könnte mit "integrierten" respektive "hybriden" Lernmethoden die Diskrepanz zwischen "digitaler Lifestyle-Kompetenz" und "digitaler Kompetenz am Arbeitsplatz" beseitigt werden? Wo müsste man hier konkret ansetzen?

Marc Lutz: Wenn es um soziale und kommunikative Kompetenzen geht, helfen hybride Ansätze nicht weiter. Sicher wäre es hilfreich, wenn die IT-Unternehmenswelten stylischer wären und mehr auf Social Media und auf interaktiven Lösungen basieren würden. Heute ist die Kluft zwischen der Bedienung privater Social-Media- und Mobile-Welten einerseits und der starren IT-Welt in Unternehmen andererseits noch tief. Da werden die Digital Natives nicht abgeholt. Die IT-Landschaften im Business neu zu gestalten, ist daher sicher ein guter Ansatz. Dann macht es den Jungen auch Spass, sich in die digitale Welt am Arbeitsplatz zu begeben.

ICTkommunikation: Unternehmer der Generation Y, also die erste Generation von Digital Natives (im Zeitraum zwischen 1980 und 1999 geboren) spielen offenbar in der Startup-Wirtschaft eine grosse Rolle. Inwiefern wird dieses Vorpreschen der Generation Y im Unternehmensbereich den modernen Arbeitsplatz beeinflussen?

Marc Lutz: Die Arbeitsumgebung der Generation Y ist nicht mehr darauf ausgelegt, das ganze Berufsleben lang konstant sein zu müssen. Die Unternehmer wählen Mitarbeiter aus, die ihnen und ihrem Unternehmen – Startups ebenso wie etablierte Firmen – zum Zeitpunkt X einen Mehrwert bieten – ohne den Anspruch, die Person auch noch in zehn Jahren halten zu können. Die Angehörigen der Generation Y ihrerseits wollen ihren Arbeitsplatz selbst gestalten und sich nicht in der alten Welt breitmachen. Sie sind sich gewohnt, schnell und unkompliziert Lösungen zu finden und Informationen zu erhalten. Sie wünschen vermehrt flexible Arbeitszeiten und wollen auch mal von zuhause aus arbeiten. Selbstverwirklichung ist ihnen wichtiger als Geld. Wenn wir das Tempo in der Unternehmens-IT betrachten, stellt sich die Frage, was sich mittel- und langfristig durchsetzt: die Bedürfnisse der Generation Y oder die gewachsenen IT-Systeme. Ich denke, kulturell wird sich einiges ändern: Mehr Feedback wird gewünscht werden, mehr Teilhabe und auch ein bewusstes Achten auf die Work-Life-Balance.

"SELBSTVERWIRKLICHUNG IST DER GENERATION Y WICHTIGER ALS GELD!" (Marc Lutz)

ICTkommunikation: Auch im Bereich der Industrie nimmt die Vernetzung immer stärker zu. Im Hinblick auf die Industrie 4.0 ist es ja so, dass die Maschinen zusehends selbstständig untereinander kommunizieren und agieren. Was geschieht hier mit dem Faktor Mensch? Hat der Mensch im Industrie-4.0-Konzept überhaupt noch Platz, wird er auf der Strecke bleiben?

Marc Lutz: Grundsätzlich ist alles denkbar – von massiver Arbeitszeit- und Arbeitsplatzreduzierung, weil Maschinen uns die Arbeit abnehmen, bis hin zu völlig neuen Aufgaben für die Menschen. Im operativen Bereich gibt es immer mehr Bereiche, in denen der Mensch nicht mehr gebraucht wird. Dagegen dürften dessen Fähigkeiten bei strategischen oder kreativen Aufgaben noch lange Zeit benötigt werden. Ein entscheidender Punkt ist, ob in der Gesellschaft über diese Fragen ernsthaft diskutiert werden wird: Was können wir Menschen besser als IT und Algorithmen? Wie gestaltet sich unser Verhältnis zur Technik? Wenn wir dies nicht gemeinsam regeln, werden einige wenige in ihrem eigenen Interesse über unsere Köpfe hinweg entscheiden.

ICTkommunikation: Welche Themen werden in Hinblick auf den Menschen in der Zukunftsfabrik zentral werden?

Marc Lutz: Seine soziokulturellen Kompetenzen werden entscheidend sein, nicht unbedingt die fachlichen Kenntnisse. Damit meine ich einen souveränen Umgang mit Unsicherheit und dem Wissen, dass die Welt nicht mehr langfristig planbar ist. Wichtig ist auch der Umgang mit einer hohen Diversität in Projekten, das ständige Wechseln von Projektarbeit und den herkömmlichen Aufgaben sowie das Einlassen auf neue Themengebiete.

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Marc Lutz, Managing Director von Hays Schweiz (Foto: Hays)
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Marc Lutz, Managing Director von Hays Schweiz (Foto: Hays)