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Klassische Aufbauorganisationen stecken oft in Abteilungssilos fest - ihre Struktur orientiert sich an Funktionen und der Bündelung von Expertise zu diesen Funktionen. Das erschwert die Zusammenarbeit über Bereichsgrenzen hinweg. Es kommt zu Ressourcenverschwendung, da es am übergreifenden Prozessverständnis fehlt und weil die Wertschöpfung nicht im Fokus steht. Die Werkzeuge von Business Process Management können helfen, konkrete Hürden aufzudecken, Prozesse enger an den Geschäftszielen auszurichten und eine reibungslose Organisation zu schaffen.

Gastbeitrag von Bernd Ebert, Management Consultant Enterprise Service Management, iTSM Group

In der klassischen Aufbauorganisation vieler Unternehmen werden die Mitglieder nach Funktionen gruppiert, ihre Steuerung erfolgt von oben nach unten. Fachliche Expertise wird organisatorisch gebündelt und hierarchisch sowie thematisch gegliedert: vom CEO, über Abteilungs- und Gruppenleiter zu Gruppenmitgliedern bzw. nach Abteilungen wie HR, IT oder Einkauf. In der IT spiegelt sich diese Aufteilung in der Regel zwischen Entwicklung und Betrieb wider, wobei der Betrieb nach Clients, Servern, Datenbanken und Anwendungen unterteilt ist.

Diese organisatorisch gesetzten Entscheidungsstrukturen bestimmen wesentlich die Qualität und Geschwindigkeit der Zusammenarbeit. Das Problem: Es wird zwar sichergestellt, dass die fachliche Expertise in einer Hand liegt; der Zusammenarbeit über Abteilungen hinweg wird aber nicht Rechnung getragen. Die Wertschöpfung wird durch die organisatorische Abgrenzung und durch interne Weisungsstrukturen gestört, weil der Fokus zu sehr auf der Funktion liegt, ohne das grosse Ganze zu berücksichtigen. Auch ein Betriebsmodell ("Target Operating Model“), das über die Organisation gelegt wird, löst das Problem nicht.

Probleme der organisatorischen Silos

So werden durch den Aufbau einheitliche Prozessverständnisse blockiert: Mitarbeitende richten sich auf die Referenzen ihrer Abteilung aus – auf sich selbst, die eigene Funktion und auf die nächsten Schnittstellen im Sinne des Inputs und Outputs. Ihr Blickradius und Einfluss ist darauf beschränkt. Das bedeutet, dass sie nur ihre eigenen Teilprozesse kennen bzw. in ihnen wirken; für die Prozesse anderer Abteilungen sind sie nicht zuständig, Einblicke werden sogar verhindert.

Die Folge sind organisatorische Silos, deren Auswirkungen dann zu Tage treten, wenn Mitarbeitende eine Dienstleistung in Anspruch nehmen: Beim Onboarding benötigen die Neuen zum Beispiel einen Arbeitsplatz mit Schreibtisch, Computer und Zugang zu Programmen sowie Informationen über Abläufe und Zuständigkeiten. Das fordert abteilungsübergreifend HR, Serverbetrieb, Client- und Applikationsbetrieb und Beschaffung. Nimmt ein neuer Vorstand seine Arbeit auf, werden Absprachen ausserhalb der formalen Strukturen ein reibungsloses Onboarding ermöglichen. Ein Sachbearbeiter dagegen muss womöglich schon mehrere Wochen warten, bis er einen voll funktionsfähigen Arbeitsplatz hat. Auch bei Störungen im IT-Betrieb werden die Nachteile der klassischen Organisation offensichtlich: Eröffnet ein User ein Ticket, weil sein Rechner zu langsam läuft, durchläuft die Support-Anfrage die gesamte IT, ohne dass es im Sinne der Wertschöpfung zu einer Lösung kommt: Jedes Silo ist davon überzeugt, dass die Zuständigkeit für die Problemlösung woanders liegen muss und reicht deshalb das Ticket weiter.

Diese Teilleistungsstärken der Silos können der Komplexität einer vernetzten Architektur nicht mehr gerecht werden. Die Aufteilung der Silos mit ihren separierten Zielvorgaben, Prioritäten, Regeln und Abläufen sorgt dann für Liegezeiten und Störungen im Bereitstellungsfluss.

Mit Business Process Management Prozessverständnis schaffen

Business Process Management (BPM) bietet im Gegensatz dazu den nötigen Rahmen einer strukturierten Herangehensweise, der die notwendigen prozessualen Abläufe funktionsübergreifend identifiziert und optimiert. Einheitliche Prozessverständnisse ergeben sich durch das Zusammenholen der tatsächlich am Prozess Beteiligten und die gemeinsame Bestimmung der notwendigen Wertschöpfung für den Markt.

Am Beginn steht z. B. ein Workshop zu den Gesamtprozessen, in dem die Beteiligten in manchen Fällen sogar zum ersten Mal überhaupt zusammenkommen. Dort werden methodisch Verschwendungen aufgedeckt - Wartezeiten, lange Transportzeiten, Rückfragen, häufige Iterationen, Fehler oder die Überlastung einzelner Bereiche. Werden diese Informationen gepflegt, wird für alle ersichtlich, wie sich der Prozess über die Zeit entwickelt. Mit der neuen Perspektive kann den Beteiligten deutlich gemacht werden, wo Beginn und Ende des Prozesses liegen und was ihr jeweiliger Beitrag zum Gesamtergebnis ist.

BPM-Ansätze ermöglichen damit eine abteilungsübergreifende Kommunikation: Workshops zu Strategie, Organisation, Klärung von Rollen und Verantwortlichkeiten bringen die Beteiligten nicht nur ins Gespräch; es wird eine regelmässige Abstimmung zur Notwendigkeit, Leistungsfähigkeit und Verbesserung der Prozesse etabliert, um Kommunikation aufrechtzuerhalten. Dann fungiert BPM als dauerhaftes Werkzeug, um gemeinsam datenbasierte Entscheidungen zu treffen.

Indem darüber identifizierte Verschwendungen und sonstige Brüche eliminiert werden, gewinnen die Rüst- und Bearbeitungszeiten sowie der Mitteleinsatz an Effizienz. Dies gilt vor allem für standardisierbare, repetitive Betriebsabläufe oder Entwicklungsschritte.

BPM-Lösungen und Methoden machen also die systemimmanenten Hürden klassischer Aufbauorganisationen sichtbar. Sie können nur reduziert werden, indem die Steuerungshoheit statt an die Funktion an den Wertstrom gegeben wird. Wird die Organisationsstruktur nicht angepasst, ermöglicht BPM die Sicht auf die notwendigen Zusammenarbeitsschritte der Beteiligten, um die Übergänge reibungsärmer zu gestalten. BPM kann also helfen, datenbasierte Aussagen über den Ist-Zustand und mögliche Ursachen zu treffen und prozessorientierte Empfehlungen geben, damit sie bearbeitet werden können.

BPM in die Breite tragen

Die Geschäftsziele bzw. die potenziellen und tatsächlichen Marktbedarfe sollten die Ausgangsbasis einer BPM-Initiative bilden. Unabhängig davon, in welchem Bereich die Initiative gestartet wird, geht es für jede Organisation immer um Wertschöpfung.

Wie andere Digitalisierungsprojekte ist BPM kein alleiniges Thema der IT. Diese kann zuarbeiten, mit welchen technischen Mitteln die Erhebung, Analyse und Dokumentation von Prozessen erfolgen kann und wie sie in die Systemlandschaft sowie zur Strategie passen. Ausserdem kann sie analysieren, welche Automatisierungsmöglichkeiten und Schnittstellen bedient werden müssen, um das volle Potenzial von BPM in technischer Hinsicht zu entfalten.

BPM gelingt nur, wenn die Initiative auf breiter Ebene in der Organisation mitgetragen wird: Sie sollte im Interesse der Geschäftsbereiche liegen, die mit dem Markt in Kontakt sind und von dort aus in die internen Servicebereiche wirken.

Die Implementierung von BPM

Unternehmen müssen sich bei der Erstellung der Prozesslandkarten und -analysen auf die Kernelemente der Wertschöpfung konzentrieren. Wichtig ist dabei, die relevanten Stakeholder einzubeziehen.

Bestehende Abläufe werden wertschätzend hinterfragt, nicht mehr notwendige Schritte eliminiert und alternative Wege der Wertschöpfung geprüft. Dabei ist es wichtig, die Identifikation des Ist-Zustandes auf tatsächlichen Daten, nicht auf Mutmassungen oder Wünschen zu gründen. Das gelingt mit einer Go-Look-See-Methodik oder Process Mining. Mit Wertstromanalysen können Störungen, Verschwendungen und deren Ursachen erkannt und beseitigt werden, sodass sich der Ablauf dem Sollzustand annähert. Automatisiert bzw. digitalisiert werden nur notwendige, klare und optimierte Prozesse. Gegebenenfalls werden organisatorische Anpassungen initiiert und durchgeführt.

Abhängig vom Entwicklungsstand der Organisation sollte bei einer BPM-Initiative externe Unterstützung hinzugezogen werden. Sie unterstützt bei der Vorbereitung und bringt Erfahrung in der Auswahl und Anwendung der Vorgehensweisen mit. Da in der Arbeit mit Prozessen viel hinterfragt wird, müssen Ziel und Umfang transparent sein, damit die Beteiligten sich darauf einstellen können: Wird der Fokus auf die Wertströme gerichtet, wird häufig Veränderung auf vielen Ebenen angestossen. Bei der Entwicklung von Lösungen helfen die Erfahrung und das Fingerspitzengefühl von Externen, die die Initiative zum Erfolg führen.

Fazit

Business Process Management baut keine Organisationsstrukturen auf, sondern es macht sie und ihre Vor- und Nachteile vielmehr sichtbar. Es ist dann die Aufgabe des Unternehmens, die Organisation weg von Funktionen hin zu Wertschöpfungsketten auszurichten. BPM ermöglicht die Etablierung einer abteilungsübergreifenden Kommunikation und Zusammenarbeit. Durch gemeinsame Analysen können irrelevante Prozesse, Schritte und Lücken datengestützt identifiziert und danach eliminiert werden.