Digitale Transformation in der Schweizer Modeindustrie

Die Modeindustrie steht unter massivem Druck: Preissensible Kunden, Überbestände und fragmentierte IT-Systeme erschweren den Alltag. Digitale Lösungen und integrierte Software wie solche von SAP können für Transparenz sorgen, Prozesse optimieren und die Branche fit für die Zukunft machen.

Gastbeitrag von Gerald Reiser, Partner und Co-Leiter Business Unit Fashion und Bekleidung bei Retailsolutions

Die Mode- und Bekleidungsindustrie steht auch 2025 unter erheblichem Druck. Die Branche sieht sich mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, die sich in den letzten Jahren weiter verschärft haben. Einerseits ist die Nachfrage nach Modeprodukten rückläufig, da viele Konsumenten noch preissensibler geworden sind und ihre Ausgaben für Bekleidung konstant halten oder sogar reduzieren. Besonders betroffen sind Anbieter im mittleren und unteren Preissegment, die zunehmend unter dem Druck neuer Factory-to-Customer-Plattformen wie Temu leiden. Diese Plattformen überzeugen durch eine riesige Produktauswahl und aggressive Preispolitik, wodurch sie klassische Anbieter weiter unter Zugzwang setzen.

Gleichzeitig haben viele Hersteller in den vergangenen Jahren ihre Lagerbestände stark aufgebaut. Nun stehen sie vor der Aufgabe, diese Überbestände abzubauen, was sich als schwierig erweist. Die Ursachen hierfür liegen nicht zuletzt in den Herausforderungen der Digitalisierung und des Omnichannel-Handels. Häufig fehlt es an einer durchgängigen Integration der verschiedenen Software-Systeme, was dazu führt, dass Unternehmen keinen vollständigen Überblick über ihre Lagerbestände haben – weder bei den Lieferanten, noch in den Zentrallagern oder in den Filialen. Veraltete Systeme und Insellösungen erschweren es zusätzlich, die heutigen Anforderungen an Flexibilität, Transparenz und Geschwindigkeit zu erfüllen.

Fehlende Transparenz

Ein weiteres Problemfeld ist die Komplexität der IT-Landschaften in der Branche. Viele Unternehmen verfügen noch immer über Eigenentwicklungen oder betreiben in verschiedenen Ländern und Unternehmenseinheiten eigene SAP-Systeme. In der Schweiz beispielsweise betrifft dies etwa 15 bis 20 grosse Mode- und Accessoire-Hersteller mit einem Jahresumsatz von rund einer Milliarde Franken sowie schätzungsweise 200 mittelständische Unternehmen. Diese heterogene Systemlandschaft führt dazu, dass wichtige Informationen nicht zentral verfügbar sind und Prozesse unnötig verkompliziert werden. Die Unsicherheiten auf den internationalen Märkten, etwa durch Handelskonflikte zwischen der EU, den USA und China, verschärfen die Situation zusätzlich. Sie wirken sich sowohl auf die Beschaffungs- als auch auf die Absatzseite aus und machen eine grösstmögliche Transparenz entlang der gesamten Wertschöpfungskette unumgänglich. Modeunternehmen müssten aber jederzeit genau wissen, welche Bestände, Bedarfe und Angebote auf allen Stufen vorhanden sind. Die Realität zeigt jedoch, dass diese Transparenz vielfach fehlt. Die Folge sind lange Beschaffungszyklen, hohe Lagerbestände und eine nur schwer steuerbare Supply Chain.

SAP-Ansatz für alle Unternehmensgrössen

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, ist ein grundlegender digitaler Wandel notwendig. Integrierte ERP-Systeme bieten hier seit Jahren eine solide Basis, doch viele Unternehmen schöpfen das Potenzial der vorhandenen Technologien noch nicht aus. SAP etwa hat sich mit der Lösung S/4HANA for Fashion and Vertical Business auf die spezifischen Bedürfnisse der Modeindustrie eingestellt. Diese Lösung ist sowohl als On-Premise- als auch als Private-Cloud-System für mittlere und grosse Unternehmen verfügbar und wird derzeit als Public-Cloud-Variante für kleinere und mittelständische Unternehmen weiterentwickelt, welche 2026 verfügbar werden soll. Ziel ist es, auch diesen Unternehmen einen einfachen Zugang zu branchenspezifischen Funktionen zu ermöglichen, ohne dass aufwändige und teure Individualentwicklungen notwendig sind.

Ein zentrales Element moderner SAP-Lösungen ist die Echtzeit-Bestandsverwaltung. Dies ermöglicht es, den Warenfluss effizient zu steuern, Bestände zu optimieren und die Verfügbarkeit für die Kundschaft zu verbessern. Die Integration von Technologien wie RFID und IoT-Sensoren erhöht die Genauigkeit der Bestandserfassung und minimiert manuelle Eingriffe. So können Unternehmen nicht nur Kosten senken, sondern auch die Fehlerquote reduzieren und die Effizienz steigern. Darüber hinaus bieten die Lösungen fortschrittliche Analysetools, die es ermöglichen, Bestandsanalysen durchzuführen und präzise Nachfrageprognosen zu erstellen. Auf dieser Basis können Unternehmen ihre Bestell- und Lagerhaltungsprozesse optimieren und sicherstellen, dass die richtige Menge an Produkten verfügbar ist. Das System schlägt optimale Lagerbestände und Nachbestellzeitpunkte vor und hilft, Überbestände zu vermeiden, ohne das Risiko von Engpässen einzugehen. Der Echtzeit-Datenaustausch über Schnittstellen sorgt dafür, dass alle relevanten Informationen jederzeit aktuell und zentral verfügbar sind.

Zu komplexe Projekte scheitern

Die Einführung solcher integrierten Systeme ist jedoch kein Selbstläufer. Viele SAP-Projekte der vergangenen Jahre waren zu gross angelegt und zu komplex. Häufig wurden riesige Projektteams gebildet, ohne den Projektumfang klar zu definieren oder das notwendige Spezialwissen im Team zu verankern. Ein weiterer Stolperstein war die Tendenz, zu viele kundenspezifische Anpassungen vorzunehmen, was die Projekte unnötig verteuerte und verzögerte.

Erfolgreiche Integrationsprojekte zeichnen sich dagegen durch eine klare Fokussierung auf die Standardisierung der Kernprozesse aus. Zunächst sollten die grundlegenden ERP-Funktionen implementiert werden, bevor Optimierungen und innovative Zusatzfunktionen folgen. Entscheidend ist, dass das Projektteam über ausgewiesene SAP-Fashion-Expertise verfügt und die Zahl der individuellen Anpassungen möglichst gering gehalten wird. Gerade für kleinere und mittlere Unternehmen bietet die kommende Public-Cloud-Lösung von SAP die Chance, mit einem hohen Standardisierungsgrad und minimalem Customizing von den Vorteilen integrierter Systeme zu profitieren.

Für die Modeindustrie empfiehlt es sich zudem, branchenweite Datenkooperationen zu fördern, etwa durch den Aufbau neutraler Datenpools für Lieferkettenanalysen. Auch gezielte Förderprogramme und Ausbildungsinitiativen, wie SAP-Fashion-Zertifizierungskurse an Hochschulen, können helfen, die digitale Transformation voranzutreiben und das notwendige Know-how im Land zu sichern.

Die kommenden Jahre werden zeigen, wie erfolgreich die Branche den digitalen Wandel meistert. Klar ist: Wer jetzt in integrierte, flexible und zukunftssichere Systeme investiert und die Komplexität von Einführungsprojekten aktiv steuert, wird auch künftig den steigenden Anforderungen der Konsumenten sowie den rasanten Veränderungen der Märkte gewachsen sein. Die Digitalisierung ist damit kein Selbstzweck, sondern der Schlüssel zur nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit der Mode- und Bekleidungsindustrie.

Gastautor Gerald Reiser, Partner und Co-Leiter Business Unit Fashion und Bekleidung bei Retailsolutions (Bild: zVg)
Gastautor Gerald Reiser, Partner und Co-Leiter Business Unit Fashion und Bekleidung bei Retailsolutions (Bild: zVg)