Drohne (Bild: Bertrand Bouchez auf Unsplash)

Bikesharing, Smart Homes oder selbstfahrende Autos. Wie wir die Welt wahrnehmen und uns darin bewegen, ist zunehmend von digitalen Prozessen abhängig. Der Computerwissenschaftler Christos Tsigkanos arbeitet an mathematischen Methoden, die sicherstellen sollen, dass Systeme an der Schnittstelle von physischer und digitaler Welt zuverlässig funktionieren. Trotz Datenflut und Unvorhersagbarkeit.


Vor zwanzig Jahren dachte kaum jemand, dass wir heute unseren Alltag nur mit kleinen Computern in unseren Taschen meistern würden und sogar mit diesen Geräten sprechen könnten. Auch ist vielen heute noch nicht bewusst, dass das erst der Anfang war: "In den nächsten Jahren werden wir die Entstehung von allgegenwärtigen Systemen sehen, die immer mehr in das Gewebe unserer Gesellschaft eingebettet sind", glaubt Christos Tsigkanos, der als Computerwissenschaftler an "zusammengesetzten Räumen" zwischen der real physischen und der digital errechneten Welt arbeitet.


Wir müssen in Zukunft einem Computer wohl nicht einmal mehr mitteilen, was wir wollen, meint er, weil die Rechenkraft Bewegungen und Bedürfnisse vorhersehen wird – und das in Echtzeit. Seien das automatisierte Abläufe in Fabriken, einfache Alltagsdinge wie Lichter oder Heizungen, die nur angehen, wenn jemand sie braucht, oder Fahrzeuge, die sich mithilfe einer digitalen Dimension, die wir selbst gar nicht wahrnehmen, selbstständig organisieren und durch die Stadt oder durch Katastrophengebiete bewegen. Es sind komplexe Systeme, die alle miteinander verzahnt sind.





Die spezielle Herausforderung an dieser Schnittstelle zwischen physischem und digitalem Raum ist ständiger und nur teilweise vorhersagbarer Wandel, bedingt durch menschliche Handlungen, Wettereinflüsse, plötzliche Ausnahmeereignisse und vieles mehr – nur eines ist hier also sicher: die Veränderung. "In der Computerwissenschaft nennen wir das Dynamik, und die müssen wir berücksichtigen, wenn wir ein solches System entwerfen", erklärt Tsigkanos.

 "Edenspace" nennt er sein Forschungsprojekt dazu, das zwar nicht das Paradies Eden verspricht, aber immerhin eine Welt, in der hilfreiche Technologien vor allem zuverlässig ihre Aufgaben erfüllen. "Wir verwenden einen auf Mathematik basierenden Ansatz und stützen uns dabei auf die sogenannten formalen Methoden. Diese eignen sich hervorragend dafür, zu überprüfen, ob Systeme korrekt funktionieren", so Tsigkanos. Sein Ziel ist, ein stabiles Modell für solche verteilten Systeme (distributed systems) bereitzustellen, bei denen Daten, Verarbeitung und Nutzer nicht am selben Ort und zudem oft in Bewegung sind.



Besseres Bikesharing


Ein einfaches Beispiel für ein verteiltes System zwischen physischem und digitalem Raum ist Bikesharing. Fahrräder haben ein paar Sensoren und Informationen über Standort und Nutzer, aber nicht viel Rechenleistung. Die Sensorinformationen müssen also irgendwie übertragen werden. Man könne die Daten nicht direkt an einen zentralen Ort senden – selbst wenn dieser Ort die digitale Cloud wäre –, denn das wäre zu kostspielig und aufwendig, betont Tsigkanos. Stattdessen verwendet man sogenanntes Edge-Computing, das sind Rechensysteme, die zwischen der Cloud und den Endgeräten stehen und eine Recheninfrastruktur für das Fahrrad bereitstellen. Nähert sich das Rad einem Edge-Gerät, teilt und erhält es Informationen. Und zwar schneller, als wenn alles zu/von einem zentralen Punkt hin- und hergeschickt werden müsste. 

Je mehr Anfragen aber an die Edge-Geräte gestellt werden, desto schwieriger wird es, die Anforderungen an Rechenleistung, Datenübermittlung und Netzwerkkommunikation richtig zu koordinieren – und dabei sicherzustellen, dass alle Teile des Systems richtig funktionieren. Vor allem, um sich auf die Ergebnisse verlassen zu können – und das ist jener Teil, der im Zentrum von Tsigkanos’ Forschung steht.

Wenn das System also bemerkt, dass beispielsweise manche Daten zeitverzögert kommen oder nicht mit anderen zusammenpassen, dann sollte es, statt falsche Vorhersagen zu treffen, lieber eine Warnung ausgeben, dass das System in diesem Moment nicht richtig funktioniert.



Denkt man die Möglichkeiten allein im Bikesharing weiter, könnte man Informationen über Veranstaltungen oder Wetter mit einbeziehen, um zuverlässige Vorhersagen darüber zu treffen, wo als Nächstes Fahrzeuge gebraucht werden. Man könnte Anwender mit Rabatten oder Bonuspunkten dazu anregen, die Räder näher an solchen Orten abzustellen. Selbstfahrende Autos könnten sich selbst dorthin bringen. Wenig hilfreich wäre es freilich, würde das System Fehler miteinbeziehen – mit dem Ergebnis, dass die Fahrzeuge am falschen Ort landen. 



Zuverlässige Zukunftswelt



Sind die verteilten Systeme jedoch verlässlich, dann könnten sie beispielsweise in Katastrophengebieten Hilfe in Echtzeit wesentlich effizienter koordinieren, ohne auf eine zentrale Datenverbindung angewiesen zu sein. Drohnen könnten Daten einsammeln und an Krankenwägen oder Nutzfahrzeuge vor Ort weitergeben, um Hilfsgüter und Einsatzteams schnellstmöglich dorthin zu bringen, wo sie am meisten gebraucht werden – oder um sie rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.

"Wie solche Datenflüsse koordiniert und abgeglichen werden können, muss man im Vorhinein planen – das geht nicht bei einem laufenden System. Dynamik muss sowohl beim Entwurf als auch beim Betrieb des Systems berücksichtigt werden", sagt Tsigkanos. Ob der Einsatz nun Menschenleben retten oder die Nachfrage für Fahrräder richtig einschätzen soll, die Herausforderung, solche Systeme mit hoher Zuverlässigkeit zu designen, bleibt ähnlich. Und Tsigkanos’ Modell bietet eine Möglichkeit, Systeme zu bauen, die ihre Anforderungen entweder zuverlässig erfüllen oder sich sogar selbst anpassen, wenn sie das nicht tun.

Zur Person:
Christos Tsigkanos studierte Computerwissenschaften in Athen und Amsterdam. Sein Doktorat schloss er 2017 in Mailand ab. Dann folgten Forschungsaufenthalte in Wien und Bern. Demnächst tritt Tsigkanos eine Professur in Athen an. In seiner Forschung interessiert er sich für Kritische Systeme und Methoden für die Entwicklung zuverlässiger Softwaresysteme. Das Lise-Meitner-Projekt Edenspace: Engineering Dependable Cyber-Physical Spaces wurde vom Wissenschaftsfonds FWF mit rund 173.000 Euro gefördert und im Jänner 2022 beendet.

Publikationen:

Tsigkanos C., Bersani M., Frangoudis P., S. Dustdar S.: Edge-based Runtime Verification for the Internet of Things, in: IEEE Transactions on Services Computing, Vol. 15, 2022

Avasalcai C., Tsigkanos C., Dustdar S.: Resource Management for Latency-Sensitive IoT Applications with Satisfiability, in: IEEE Transactions on Services Computing Vol. 15, 2022

Tsigkanos C., Li N., Hu Z., Jin Z., Ghezzi C.: Scalable Multiple-View Analysis of Reactive Systems via Bidirectional Model Transformations, in: IEEE/ACM Automated Software Engineering (ASE), 2020 – ACM SIGSOFT Distinguished Paper Award



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